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Magazin Mitbestimmung

: Krisensicher, aber nicht zukunftsfest

Ausgabe 01+02/2010

RENTE Die deutsche Alterssicherung hat die Finanzkrise scheinbar gut überstanden. Doch trotzdem ist nicht alles in Ordnung. Viele jüngere Arbeitnehmer aus Risikogruppen könnten im Alter mit wenig Geld dastehen. Von Guntram Doelfs

GUNTRAM DOELFS ist Journalist in Berlin

Als am 15. September 2008 die amerikanische Lehman-Bank kollabierte, lief es nicht nur den plötzlich arbeitslos gewordenen Finanzjongleuren eiskalt den Rücken herunter. Auch vielen Rentnern rund um den Globus fuhr die Schockstarre ins Gesicht. Viele hatten ihre Ersparnisse in wertlose Zertifikate gesteckt. Insgesamt verloren nach Berechnungen der OECD die privaten Rentenfonds im Jahr 2008 23 Prozent ihres Wertes, was einem Verlust von 5,4 Billionen US-Dollar entspricht. Die Krise löste besonders unter den Pensionären in jenen Ländern ein Beben aus, die überwiegend auf eine kapitalgedeckte Altersvorsorge setzen - etwa in den USA, in Australien oder Irland. "Viele Rentner in diesen Ländern werden massive Einkommenseinbußen haben", prophezeite Gustav Horn, Direktor des Institutes für Makroökonomie und Konjukturforschung (IMK), bei der Vorstellung einer Studie über die Risiken kapitalgedeckter Systeme.

Nach dem Crash gilt die gescholtene gesetzliche Rentenversicherung wieder als krisenfest. Diese erwirtschaftete laut Alexander Gunkel, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Rentenversicherung Bund, im Jahr 2008 einen Überschuss von 3,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2009 rechnet er mit einem minimalen Verlust von 0,1 Milliarden Euro. "Es lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass die Rentenversicherung von der Finanzmarktkrise unberührt geblieben ist", erklärte Gunkel im Dezember vor der Bundesvertreterversammlung der Rentenversicherung. "Die Rentenversicherung ist die einzige Sozialversicherung, die relativ unbeschadet durch die Krise kommt. Der aktuelle Beitragssatz von 19,9 Prozent wird ausreichen, um die Ausgaben zu finanzieren", glaubt auch Peter Weiß, Rentenexperte der CDU-Bundestagsfraktion.

Aber ist die deutsche Altersvorsorge auch dauerhaft zukunftsfest? Bislang ist die Wirtschaftskrise auf dem Arbeitsmarkt glimpflicher verlaufen als zunächst befürchtet. Doch in diesem Jahr werden vermutlich Hunderttausende ihren Job verlieren. Die Konsequenzen: Wer arbeitslos wird, hat meist kein Geld mehr übrig für private Vorsorge. Zudem leidet die betriebliche Altersvorsorge, wenn Firmen pleitegehen oder aufgrund der Krise sparen. Mehr Arbeitslose und daraus resultierende sinkende Beitragszahlungen reißen aber auch erhebliche Löcher in die Rentenkasse. Für 2010 rechnet die Rentenversicherung mit einem Minus von vier Milliarden Euro. Bei sinkenden Reallöhnen müssten die Renten nach Gunkel im Westen um 1,8 Prozent, im Osten um 2,8 Prozent gekürzt werden, da die Rentenentwicklung an die Lohnentwicklung gekoppelt ist.

EINE "RENTENGARANTIE" VERHINDERT KÜRZUNGEN_ "Es ist optimistisch zu sagen, das Rentensystem sei nicht betroffen. Es gibt zwar keine harten, plötzlichen Rückschläge, dafür aber einen gewissen Abschmelzungsprozess infolge der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung", urteilt der Frankfurter Ökonom Diether Döring, der auch in der Riester-Kommission saß. Um eine Kürzung zu verhindern, setzte die Große Koalition eine "Rentengarantie" durch. Greift diese 2010, müssen die Milliarden Euro aus der sogenannten Nachhaltigkeitsrücklage abgezweigt werden. Diese beträgt derzeit 15,9 Milliarden Euro oder 96 Prozent einer Monatsausgabe. Die Rücklage darf jedoch nicht unter 0,2 Monatsausgaben sinken. Also muss das Geld anderweitig wieder reingeholt werden, sofern nicht der Steuerzahler einspringt oder ein massiver Aufschwung zusätzliche Beiträge in die Rentenkasse spült. Gunkel fordert daher von der Regierung, die zusätzlichen Ausgaben mit zukünftigen Rentenerhöhungen zu verrechnen. Nach seiner Einschätzung gibt es 2010 und 2011 bei den Renten erneut Nullrunden, bis 2016 prognostiziert er allenfalls minimale Erhöhungen.

Dennoch verteidigt der DGB die Garantie. "Mit der Rentenschutzklausel wird ein erster, wenn auch kleiner Beitrag dazu geleistet, das Niveau in der gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren. Das nutzt den heutigen und den zukünftigen Rentnerinnen und Rentnern", erwiderte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in der Frankfurter Rundschau auf die Kritik von Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der die Rentengarantie als Belastung für jüngere Generationen kritisiert hatte. Steinbrück ist mit seiner Kritik nicht allein. Längst gibt es einen Generationenkonflikt quer durch die Parteien. Jeder überdimensionierte Rentenzuwachs verkleinert ohne einen radikalen Systemwandel in der Altersvorsorge den Kuchen für die nachfolgende Generation. Auch wenn viele Rentner bereits heute unter den massiven Eingriffen und Nullrunden infolge der Rentenreformen seit 2001 leiden, ist die Altersarmut mit derzeit 2,3 Prozent noch gering.

Nach allen Prognosen wird sich das in der Zukunft ändern. Im Jahr 2030 werden laut Statistischem Bundesamt 28 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein, auf zwei Beitragszahler kommt dann ein Rentner. Eine Fortschreibung des Status quo hätte die Rentenversicherung nur dann verkraftet, wenn die Rentenbeiträge auf rund 25 Prozent gestiegen wären. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Politik für zwei markante Einschnitte in der gesetzlichen Rentenversicherung. Zunächst verabschiedete sich die rot-grüne Koalition von der solidarischen Finanzierung der Rente und vom bis dahin gültigen Grundsatz in der Rentenformel, die Sicherung des Rentenniveaus in den Vordergrund zu stellen. Stattdessen wurde die Höhe des Beitragssatzes zur entscheidenden Größe, um den Anstieg der Lohnnebenkosten zu begrenzen. Später führte die Große Koalition eine schrittweise Verlängerung des Renteneintrittsalters auf 67 bis zum Jahr 2029 ein.

45 JAHRE ZAHLEN BIS ZUR GRUNDSICHERUNG_ Die mit den Rentenreformen eingeführten sogenannten Dämpfungsfaktoren können zwar den Anstieg des Beitragssatzes vermutlich bei 22 Prozent begrenzen, sorgen jedoch gleichzeitig für ein drastisches Absinken des Rentenniveaus bis 2030. Wer heute ins Berufsleben eintritt und 45 Jahre lang nur als Niedrigverdiener arbeitet, erhält im Alter kaum mehr als die gesetzliche Grundsicherung. "Da stellt sich doch die Sinnfrage dieses Systems", meint Volkswirt Diether Döring. Selbst die OECD kritisiert, dass 2030 "in keinem anderen Land der OECD" das gesetzliche Rentenniveau so niedrig sein werde wie in Deutschland.

Um die Lücke zu stopfen, sollen Arbeitnehmer privat die dahinschmelzende gesetzliche Rente aufbessern, etwa mit der staatlich geförderten Riester-Rente. Bis März 2009 wurden 12,4 Millionen Riester-Verträge abgeschlossen. Doch die Förderung krankt an einem Systemfehler. Riester setzt als Grundannahme einen gut verdienenden Arbeitnehmer voraus, der bis zum 65. Lebensjahr vier Prozent vom Bruttoeinkommen für Riester sparen kann. Angesichts des stetig wachsenden Niedriglohnsektors und zunehmend gebrochener Erwerbsbiografien fehlt vielen Menschen jedoch das Geld für private Vorsorge. So wuchs der Niedriglohnsektor laut Statistischem Bundesamt im Zeitraum von 1998 bis 2008 von 15 auf 22 Prozent.

Immer mehr Mini-Jobs, Teilzeitarbeit und Lohndumping sorgen dafür, dass Millionen Menschen zukünftig ohne ausreichende Altersversorgung dastehen. Weil die Riester-Rente im Alter zu 100 Prozent auf die Grundsicherung angerechnet wird, hält dies Bezieher von Niedrigeinkommen zusätzlich davon ab, für Riester zu sparen. So erreicht die Förderung ausgerechnet die nicht, die sie am dringendsten benötigen. "Riester scheint mir im Moment eher eine Förderung der Versicherungswirtschaft zu sein", konstatiert IMK-Volkswirt Rudolf Zwiener. Zudem wächst seit Jahren die Zahl der Selbstständigen unaufhörlich. Von den heute rund 4,5 Millionen Selbstständigen sind nach Schätzung der gesetzlichen Rentenversicherung zwei Drittel ohne obligatorische Altersvorsorge. Der Sozialbeirat sieht in seinem Gutachten zum aktuellen Rentenbericht der Bundesregierung daher "sozialpolitischen Handlungsbedarf" und fordert eine Versicherungspflicht für diese Selbstständigen. Zumindest in der CDU findet diese Idee Anklang. "Ich glaube, dass das ein Thema ist, was in den kommenden Jahren angegangen werden muss", sagt CDU-Rentenexperte Peter Weiß.

Heftige Kritik der Gewerkschaften und der Sozialverbände erntet auch die Rente mit 67 in ihrer jetzt geplanten Form. In der CDU wird dagegen die Rente mit 67 nicht infrage gestellt; gleichwohl denkt die Partei über eine "Flexibilisierung beim Übergang vom Beruf in die Rente nach", sagt Peter Weiß. Wohl auch deswegen, weil zum Jahresende die bisherige Altersteilzeitregelung von der neuen Koalition endgültig begraben wurde, gegen den Widerstand von SPD und Linke. Die Grünen konnten dagegen mit der Abschaffung der Altersteilzeit gut leben, weil sie sie in der bisherigen Form für unsinnig halten. "90 Prozent der Betroffenen arbeiten nicht in Teilzeit, sondern in Blockteilzeit, die zunächst eine Vollzeitarbeit ist und dann zu einem früheren Ausstieg führt. Dies ist gar keine Teilzeit", kritisiert Wolfgang Strengmann-Kuhn, rentenpolitischer Sprecher der Partei.

DIE AKTUELLEN REFORMPLÄNE_ In der schwarz-gelben Koalition soll erst eine noch zu berufende gemeinsame Kommission rentenpolitische Fragen klären. Dort soll auch die Idee besprochen werden, die bislang kaum genutzte Teilrente "attraktiver zu gestalten" - eine Idee, wie sie auch der DGB für sinnvoll hält. Wahrscheinlich ist ein erneuter Vorstoß der FDP für eine Rente mit 60. Danach sollen Arbeitnehmer unter gewaltigen Einbußen mit 60 in Rente gehen und unbegrenzt hinzuverdienen können. Die Idee des FDP-Rentenexperten Heinrich Kolb stieß auf breite Ablehnung, auch die Koalitionspartner lehnen sie ab. Der Vorschlag sei nur "für Großverdiener attraktiv", heißt es bei CDU und CSU.

Die schwarz-gelbe Koalition denkt ferner darüber nach, für Arbeitnehmer mit Niedrigeinkommen ein "zusätzliches Sicherungsniveau" einzuführen, das oberhalb der Grundsicherung liegt. "Nur so wird die Legitimation der gesetzlichen Rentenversicherung auch für die Zukunft erhalten bleiben", meint der CDU-Politiker. Ein vergleichbares Instrument gibt es jedoch längst - oder besser gesagt noch, denn es läuft seit 1991 aus. "Wir haben eine paradoxe Situation: Einerseits eine Ausweitung des Niedriglohnsektors, andererseits schaffen wir die Rente nach Mindesteinkommen ab", kritisiert Döring. Diese Rente stockt niedrige Entgelte, die vor 1991 verdient wurden, auf 75 Prozent des Durchschnittseinkommens auf.

Grundsätzliche Korrekturen am deutschen System der Altersvorsorge bleiben weiter aus, obwohl sie dringend notwendig wären. "Keine Partei wagt sich angesichts der Wirtschaftslage derzeit an eine ernsthafte Diskussion des notwendigen Systemwandels in der Rentenpolitik heran", urteilt Gislinde Fischer-Köhler, zuständige Abteilungsleiterin Politik bei der Katholischen Frauengemeinschaft (KFD), einem der fünf katholischen Sozialverbände. Dabei werden seit Jahren in Parteien, Sozialverbänden, DGB und Wissenschaft eine Vielzahl grundlegender Systemänderungen am deutschen Rentensystem diskutiert. Diese Modelle orientieren sich häufig an den Rentensystemen der europäischen Nachbarländer.

Besonders vom Schweizer Drei-Säulen-System könnten die Deutschen lernen. Erste Säule bei den Eidgenossen ist die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), eine umlagenfinanzierte Sockel- oder Mindestrente. Diese wird ergänzt durch eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge sowie private Ersparnisse. Gleich mehrere Grundsätze zeichnen nach Expertenmeinung das Schweizer Modell aus: Es müssen nahezu alle Bürger einzahlen, also auch Selbstständige und Beamte. Ferner wird das gesamte Einkommen ohne Bemessungsgrenze herangezogen und die Rente bei einer Maximalhöhe von umgerechnet 1377 Euro gedeckelt. Damit zahlen Spitzenmanager zwar riesige Beträge ein, bekommen aber nicht mehr als die Maximalrente ausgezahlt.

Für höhere Renten sorgt die obligatorische betriebliche Vorsorge. Altersarmut ist daher in der Schweiz ein Fremdwort, das Leistungsniveau "deutlich höher als in Deutschland", sagt Rentenexperte Döring. Er hofft, dass Deutschland in der Altersvorsorge seine Hausaufgaben macht, und mahnt außer der Übernahme der Schweizer Grundsätze auch grundsätzliche sozialpolitische Korrekturen an. "Unser Rentensystem hätte weniger Probleme, wenn wir sinnvolle Ausstiegsregelungen in die Rente hätten, viel energischer in die Weiterbildung der Älteren investierten und auf eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit bei den Frauen setzen würden."

Mehr Informationen

Einen guten Überblick über die in Deutschland diskutierten Rentenmodelle bietet:
Barbara Riedmüller/Michaela Willert: AKTUELLE VORSCHLÄGE FÜR EINE MINDESTSICHERUNG IM ALTER. Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, Berlin 2009, www.boecklerboxen.de/5665.htm

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