zurück
Portait der Kulturwissenschaftlerin Silvy Chakkalakal in Uni-Gebäude Magazin Mitbestimmung

Altstipendiatin: Die Medienexpertin

Ausgabe 04/2025

Die Kulturwissenschaftlerin Silvy Chakkalakal erforscht den Alltag der Menschen. Von Stefan Scheytt

Als Silvy Chakkalakal Ende Mai ihre Antrittsvorlesung an der Universität Zürich hielt, war das für sie kein Grund, aufgeregt zu sein, im Gegenteil: „Ich freute mich riesig darauf. Schließlich war es die offizielle Feier meiner ersten unbefristeten Stelle.“ Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Populäre Kulturen mit dem Schwerpunkt populäre Literaturen und Medien. Die 46-jährige Kulturwissenschaftlerin forscht und lehrt darüber, wie Menschen Bilder und Texte in ihrer Alltagskultur konsumieren, deuten und für sich nutzen.

In ihrem jüngsten Buch „Indienliebe“ geht sie der weitgehend in Vergessenheit geratenen Begeisterung nach, die in Deutschland ab etwa 1800 für alles Indische herrschte und sich in Kupferstichen, Zeichnungen und poetischen Ausdrucksformen äußerte; die „Indomanie“ sprach aus Kinderbüchern, zeigte sich in Museen oder in Hagenbecks „Indienschau“ mit leibhaftigen Schlangenbeschwörern und Fakiren. Bei diesen „Bildern des Fremden“ gehe es nie um wertfreie Darstellungen, sondern immer auch um Wünsche, Projektionen, Klischees – oder rassistische Stereotype.

Mit Indien verbindet Chakkalakal die Biografie ihrer Eltern, die 1974 unabhängig voneinander von deutschen, christlichen Krankenhäusern in Indien angeworben wurden. Sie lernten sich über Freunde in Deutschland kennen. Im katholischen Glauben verwurzelt, ließen sie sich später im münsterländischen Ahlen nieder und schickten ihre Tochter aufs bischöfliche Gymnasium. Ihr Vater arbeitete hier als medizinisch-technischer Assistent, leitete das Labor und ihre Mutter war Krankenschwester. Die stark bildungsorientierten Eltern erwarteten von ihren Kindern, dass sie Medizin studieren würden, aber Tochter Silvy entschied sich für Empirische Kulturwissenschaft und Allgemeine Vergleichende Literaturwissenschaft. „Insofern habe ich ihren Aufstiegstraum, der so typisch ist für die erste Generation von Einwanderern, erst mal enttäuscht“, sagt Chakkalakal. Bei ihrer Antrittsvorlesung in Zürich saßen sie nun stolz in der Aula der Universität Zürich.

Von ihren Eltern bekam sie das erste Handwerkszeug mit, Gesellschaft zu verstehen: „Nicht nur den großen Erzählungen und Theorien folgen, sondern die Menschen beobachten, wie sie sich durchwursteln, ihren Alltag gestalten, welche Spielräume sie haben und nicht haben.“ Von da war der Weg zur Professur aber noch lang. Und die Hans-Böckler-Stiftung spielte dabei sogar eine doppelte Rolle: Sie förderte Chakkalakals Promotion am Institut für Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität und sie kofinanzierte für ein Jahr ihre Stelle als Postdoc an der Universität Basel.

Bei ihrer jetzigen Arbeit in Zürich geht es darum, wie die „ästhetische Praxis zutiefst mit gesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft ist“. Chakkalakal analysiert mit ihren Studierenden TV-Serien, Filme, Theateraufführungen oder Science-Fiction-Romane und beobachtet in ihrer ethnografischen Forschung dabei, wie die Künste immer öfter in politische Kämpfe etwa über Kolonialismus, Feminismus oder Generationsfragen verwickelt werden. „Ich wehre mich gegen den Vorwurf, die Künste und auch die Wissenschaft würden Ideologie produzieren, wenn wir uns kritisch zu sozialen Tatsachen wie Ungleichheit, Migration, Gender Bias oder geopolitischen Konflikten äußern“, sagt Chakkalakal.

Mit Sorge schaut sie auf die Angst mancher Institutionen vor notwendigen Debatten. Aber sie spürt auch, wie der Druck zunimmt, sich positionieren zu müssen. „Egal wie man sich äußert, man erntet Empörung und unproduktive Polarisierung.“ Chakkalakal wünscht sich eine offene, produktive Debattenkultur. „In dieser Hinsicht war die Hans-Böckler-Stiftung wie ein Zufluchtsort für mich: Man konnte Themen aufgreifen, die woanders keine Chancen hatten. Ohne die Stiftung wäre ich heute nicht da, wo ich bin.

Zugehörige Themen