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HBS Böckler Impuls

Entwicklungsländer: Deregulierung ist kein Erfolgsrezept

Ausgabe 02/2006

Im Zuge der Globalisierung haben bisher jene Länder die größten wirtschaftlichen und sozialen Erfolge erzielt, die sich nicht an marktliberalen Dogmen orientierten, sondern sich vorsichtig an den Weltmarkt herantasteten - wie China oder Südkorea. Damit widerlegen sie die Globalisierungstheorie, die ganz auf freien Handel und freien Kapitalverkehr setzt.

Die fortschreitende weltwirtschaftliche Integration ist nur auf den ersten Blick eine Erfolgsgeschichte, konstatiert der ehemalige Hauptabteilungsleiter der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, Werner Sengenberger*. Die oft vertretene Hypothese, dass freier Handel und Kapitalverkehr im globalen Maßstab zu mehr Produktivität, Beschäftigung und letztlich einer Angleichung der Lebensverhältnisse führen, erweist sich für viele Entwicklungsländer als falsch, so seine Analyse.

Weltweit ist die Zahl der Armen in den vergangenen Dekaden zwar zurückgegangen. Doch diese oberflächliche Betrachtung blendet entscheidende Details aus: Während sich die Lebenssituation vieler Menschen in Ostasien verbesserte, hat sich die Lage in weiten Teilen Afrikas und einigen lateinamerikanischen Ländern dramatisch verschlechtert.

Der Einkommensvorsprung der Industrie- gegenüber den Entwicklungsländern wächst seit Jahrzehnten rasant:
Während sich das Bruttosozialprodukt pro Kopf in den 20 reichsten Ländern zwischen 1960 und 2002 beinahe verdreifacht hat, kamen die 20 ärmsten Länder nur auf einen mageren Zuwachs von 26 Prozent.

Auch innerhalb vieler Länder werden die Einkommensdifferenzen größer. Das gilt nicht nur für Afrika und Lateinamerika, sondern selbst für das Boomland China. Während fast 90 Prozent der Städter seit 2001 Einkommenszuwächse verzeichneten,  ging das Einkommensniveau der Landbevölkerung sogar leicht zurück.

Interessant ist: Warum haben sich Länder wie China, Südkorea, Vietnam, Malaysia oder Indien zumindest insgesamt zum Besseren entwickelt, während anderswo seit 40 Jahren Stagnation herrscht? Sengenberger betont, dass die genannten Länder - im Gegensatz zu vielen afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten - nicht auf von IWF und Weltbank propagierte marktradikale Programme setzten.

Marktöffnung, Deregulierung, Privatisierung - das alles nahmen Asiens Boom-Ökonomien nicht auf einen Schlag, sondern in kleinen Schritten in Angriff.

Sie betrieben gleichzeitig  staatliche Industriepolitik, um international wettbewerbsfähige Exportindustrien aufzubauen. Subventionen und Importzölle schützten die entsprechenden Wirtschaftszweige vor übermächtiger Weltmarkt-Konkurrenz. Staatlicher Regulierung unterworfen waren (und sind) nicht nur Güter-, sondern auch Kapitalmärkte. So sei es gelungen, den Einfluss ausländischer Investoren und deren unberechenbaren Anlageverhaltens zu begrenzen.

Sengenberger zieht eine aufschlussreiche historische Parallele zum asiatischen Entwicklungsmodell: "Dieses Vorgehen bei der Liberalisierung entsprach in etwa der Praxis der fortgeschrittenen Industriestaaten in Nordamerika, Europa und Japan im Laufe des letzten Jahrhunderts."

Er stellt klar: Die Globalisierungstheorie, die Wohlstand nur mit den Kräften des freien Marktes erklärt, geht an der Realität vorbei. In Afrika und Lateinamerika sei zu beobachten gewesen, was geschehe, wenn die Wirtschaft abrupt den globalen Marktkräften ausgesetzt werde: Eine Schwemme billiger Importgüter ruinierte heimische Wirtschaftszweige, ausländisches Kapital verdrängte inländische Investitionen. Die Verschlankung der öffentlichen Verwaltung - von internationalen Organisationen gefordert - brachte den Staat mancherorts an den Rand der Handlungsfähigkeit. Zudem erreichte die Auslandsverschuldung vielfach Rekordstände. "Die Vorstellung der ausländischen Gläubiger, dass durch Exporte der armen Entwicklungsländer deren Schulden bedient werden könnten, erwies sich als Irrglaube."

Sengenbergers Fazit lautet: "Nicht die Liberalisierung der Märkte an sich, sondern nationale und internationale Politik entscheidet primär darüber, ob die weltwirtschaftliche Integration Nutzen oder Schaden stiftet."

  • Zwischen 1981 und 2001 hat sich die Zahl der armen Menschen in Ostasien deutlich verringert. Zur Grafik
  • Schon 1960 war der Unterschied zwischen den ärmsten und den reichsten Ländern gewaltig; vierzig Jahre später hat er nochmals zugenommen. Zur Grafik

Werner Sengenberger: Was bringt die Globalisierung den Entwicklungsländern?, in: WSI-Mitteilungen 1/2006.

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