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Stipendien

Altstipendiat: Der Philosoph

Ausgabe 11/2016

Der Philosoph und Böckler-Stipendiat Helmut Heit forschte auf vier Kontinenten. Jetzt ist er Professor in Schanghai.

Von ANDREAS SCHULTE

Wirre Haare statt eines akkuraten Seitenscheitels. Ein weit geöffnetes Paisleyhemd statt Schlips und Kragen. Dazu ein legerer Rucksack statt einer piefigen Büchertasche. Dieser unkonventionelle Look kommt in Schanghai gut an. Helmut Heit, Experte für die Philosophie Friedrich Nietzsches, wird in China wie ein Star gehandelt. Seit knapp einem Jahr lehrt und forscht der 46-Jährige an der renommierten Tongji-Universität.

Ein Professor aus Europa ist gut fürs Prestige. Wann immer hoher Besuch an die Uni kommt, schieben sie den legeren, groß gewachsenen Blonden in die erste Reihe. „Ich bin ein Vorzeigeprofessor“, sagt Heit. Weder stört ihn dies, noch scheint er geschmeichelt. „Solange ich inhaltlich alle Freiheiten habe, bin ich hier gerne Professor.“

Vom beschaulichen Emsland, wo Heit 1970 geboren wird, bis in die 23-Millionen-Metropole Schanghai ist es ein weiter Weg. Er ist das jüngste von sieben Geschwistern. Der Vater verdient Geld als Verkaufsfahrer und ist CDU-Mitglied, die Mutter ist Krankenschwester.

Heits Geschwister lassen sich allesamt in Betrieben ausbilden – als Klempner, Automechaniker, Tischler. Doch Helmut kann damit nichts anfangen. Er macht Abitur, dann Zivildienst. Seine Eltern, sagt er, hätten ihn „irritiert unterstützt“, als sie merkten, dass da, für sie völlig überraschend, ein Intellektueller heranwuchs.

Monetär halfen ihm das BAföG sowie Jobs in Kneipe und Altenheim durch sein Curriculum der Philosophie und der politischen Wissenschaften in Hannover. „Beides trägt dazu bei, zu erklären, warum sich Gesellschaften in unterschiedliche Richtungen entwickeln“, erläutert er.

Beruflich liebäugelt er zunächst mit einer Laufbahn in den politischen Medien. Doch ein redaktioneller Job beim Fernsehen läutert ihn. „Zu viel Ellenbogenmentalität.“ Mithilfe der Hans-Böckler-Stiftung studiert er im australischen Melbourne und forscht als Postdoktorand in San Diego.

Aber ihm gefällt die Gesellschaft dort nicht. Ihn stört die schonungslose Haltung zu den krassen sozialen Unterschieden. „Viele Amerikaner argumentieren, die Armen sollten sich einfach ein wenig mehr anstrengen, um gesellschaftlich aufzusteigen.“

Also lieber wieder Deutschland statt USA. In Berlin bewirbt er sich um ein Stipendium der Volkswagen-Stiftung – mit Erfolg. Sein Thema ist sein Trumpf: die Wissenschaftsphilosophie Nietzsches. Warum Nietzsche? „Ich musste mich mit einem Thema im akademischen Umfeld positionieren“, gibt er zu. „Dieses Feld war unbesetzt.“

Dann, 2014 läuft das Stipendium aus. Die dort begonnene umfassende Rekonstruktion von Nietzsches Wissenschaftsphilosophie beschäftigt ihn bis heute – auch weil nach einer Professurvertretung in Hannover sowie zwei Forschungsarbeiten in Princeton und im brasilianischen Pelotas der Ruf aus Schanghai ihn aus der Arbeit reißt.

Auf drei Jahre ist die Stelle befristet. Gemeinsam mit seiner Frau fühlt er sich dort wohl. In China hat er eine Aufbruchstimmung ausgemacht. Die lautet: Dieses Jahrhundert ist das unsrige. Das klinge zwar ein wenig furchteinflößend, aber es sei zumindest eine Haltung, sagt Heit.

„In Europa vermisse ich in der Politik die Idee, etwas entwickeln zu können. Der rein ökonomisch orientierten Europäischen Union fehlt es an einer Zielvorstellung.“ Mit seinem deutschen Wohnsitz Hannover verbindet ihn sein aufgebockter Wohnwagen. Der steht an einem Stichkanal der Leine.

„Ein prima Platz, um hin und wieder ins Wasser zu springen, wenn wir auf Heimaturlaub sind.“ Und dort liest er – aber wenig Intellektuelles. Fantasy-Romane haben es ihm angetan: Harry Potter etwa oder der Herr der Ringe. Ein Sujet, das gut zu seinem Look passt.

Fotos: Anja-Maria Kettwich

 

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