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Magazin Mitbestimmung

Daseinsvorsorge: Wettbewerb ums Wasser

Ausgabe 11/2012

Die EU-Kommission will die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen neu regeln. Gewerkschafter und Kommunalpolitiker befürchten eine Liberalisierung durch die Hintertür. Von Lukas Grasberger

Ein Konzern aus dem Ausland macht das Rennen bei der Ausschreibung der Wasserversorgung einer deutschen Stadt. Die neuen Herren bringen eigenes Personal mit, Dutzende Stadtwerke-Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit. Ein paar Altgediente mit Know-how werden übernommen – zu deutlich schlechteren Konditionen. Die Leitungen warten Leiharbeiter zum Billigtarif. Als nach zehn Jahren die Konzession ausläuft, hinterlässt der Konzern den Bürgern hohe Wasserpreise und ein vernachlässigtes Leitungsnetz. Gern würde die Kommune nun die Versorgung wieder in die eigene Hand nehmen – doch dies ist schwer: Zu viel Know-how ist verloren gegangen.

Es ist ein Schreckensszenario, das nach Befürchtungen von Gewerkschaftern und Bürgermeistern in gar nicht ferner Zukunft Wirklichkeit werden könnte – sollte ein Vorschlag der EU-Kommission Wirklichkeit werden, zu dem der Binnenmarktausschuss des Parlaments noch in diesem Jahr eine Vorentscheidung fällen soll. Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass die Vergabe der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, aber auch Dienstleistungen für Energie, Abfall und Verkehr künftig zwingend europaweit ausgeschrieben werden müssen. „Internationale Konzerne könnten regionale Stadtwerke dann aus dem Markt drängen“, sagt Reinhard Klopfleisch, Referatsleiter Ver- und Entsorgungspolitik bei ver.di. Es drohe schlechtere Wasserqualität zu höheren Preisen. Ein „Hauen und Stechen“ zulasten der Bürger und der kommunalen Beschäftigten befürchtet Norbert Portz vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB).

SCHLECHTERE QUALITÄT, HÖHERE PREISE

Wenn derzeit Stadtwerke und Regionalversorger ihre Kunden mit Strom, Erdgas und Wasser versorgen, so tun sie dies auf Basis von Dienstleistungskonzessionen: Kommunen übertragen dabei eigene Aufgaben an öffentliche oder private Unternehmen. Diese Konzessionäre bekommen dafür kein Geld, sie finanzieren sich wesentlich über Einnahmen beim Endkunden. Bislang sind Städte, Gemeinden und Kreise recht frei, welchem Anbieter sie nach welchen Kriterien Konzessionen erteilen. Sie können soziale oder ökologische Aspekte dabei berücksichtigen, die EU gibt rechtlich lediglich die Vergabekriterien Gleichbehandlung, Transparenz und Nichtdiskriminierung vor. Bei sogenannten wirtschaftlichen Tätigkeiten der Daseinsvorsorge wie der Wasserversorgung ist der Wettbewerb ohnehin eingeschränkt: Kommunen können Konzessionen bisweilen direkt ohne Ausschreibung an gemeindeeigene Unternehmen vergeben.

Doch nun will die EU-Kommission die kommunalen Dienstleister in einen Wettbewerb zwingen. „Wir wollen, dass sich alle Firmen, vor allem kleinere und mittlere, in anderen EU-Staaten um Konzessionen bewerben können“, sagt Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Schon ab einem geringen Auftragswert von fünf Millionen Euro soll europaweit ausgeschrieben werden, die Kommunen sollen nur noch nach dem „wirtschaftlich günstigsten“ Angebot vergeben dürfen. Besonders im sensiblen Bereich der Wasserversorgung winkt ein hohes Auftragsvolumen: Nach Angaben von ver.di-Bundesvorstand Erhard Ott laufen in den nächsten Jahren in Deutschland annähernd 1000 Wasser- und mehr als 200 Konzessionen für Stadtwerke aus.

Am akutesten treffen würde die Neuregelung Stadtwerke, die im Laufe der Jahre einen privaten Partner mit an Bord geholt haben. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schätzt ihre Zahl auf mehrere Hundert. Laufen ihre Konzessionen aus, so müssten diese ultimativ europaweit ausgeschrieben werden. Doch selbst vollständig kommunal kontrollierte Wasserwerke und Zweckverbände, denen Kommissar Barnier eigentlich zugesichert hatte, sie würden vom europaweiten Ausschreibungszwang ausgenommen, bleiben verunsichert. „Die Richtlinie ist nach wie vor sehr komplex und nicht eindeutig“, klagt Hubert Barth vom Zweckverband Wenzlesmühle, der sechs Gemeinden mit insgesamt 30 000 Einwohnern mit Wasser versorgt. Der kleine lokale Anbieter aus dem Schwäbischen steht stellvertretend für die feingliedrige und vielfältige Struktur der Wasserwirtschaft, die vor allem Bayern und Baden-Württemberg prägt.

Nach Brandbriefen aus den süddeutschen Kommunen fügte die Kommission zwar Vorschriften ein, die diesen dezentralisierten deutschen Strukturen Rechnung tragen sollen. „Wenn man sich die Regelungen genauer anschaut, kommen diese Ausnahmen für Versorger in rein kommunalem Besitz gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße zum Tragen“, sagt DStGB-Fachmann Portz – zumal zudem die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte solchen Sonderstellungen enge Grenzen setze. Denn Stadtwerke erzielten eben nicht im Wasserbereich das Gros des Umsatzes der Leistungen, die sie für die Eignerkommune erbringen, wie für eine Ausnahme erforderlich, sondern mit der Energieversorgung. Da diese Mehrsparten-Versorger damit bereits in einem Markt tätig seien, könne ihnen auch beim Wasser keine privilegierte Position – und damit das Recht für Direktvergaben ohne Ausschreibung – zugestanden werden. Dies betrifft dem DStGB zufolge 800 Stadtwerke in Deutschland, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit Trinkwasser versorgen. Schränke die Kommission so die Handlungsfreiheit kleinerer Kommunen massiv ein, ihre Wasserversorgung selbst oder im Verbund mit Nachbargemeinden zu organisieren, drohen Portz zufolge „tief greifende Strukturveränderungen“.

„WASSER IST MENSCHENRECHT“

„Es muss den Städten und Gemeinden selbst überlassen bleiben, wie sie diesen Bereich der Daseinsversorge organisieren“, fordert der bayerische SPD-Europaabgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler. Der Vertrag von Lissabon habe das Recht der Kommunen auf Selbstverwaltung gestärkt – was durch die Konzessionsrichtlinie konterkariert würde. Bei einer Liberalisierung befürchtet Kreissl-Dörfler „enorme Kaufkraftverluste“. Statt dem Handwerker vor Ort bekämen billige Subunternehmer Aufträge für Reparaturen und Instandhaltung. „In dem Moment, in dem die Wasserversorgung entnationalisiert oder entkommunalisiert wird, haben die Beschäftigten dort schlechte Karten.“ Eine Sorge, die ver.di-Mann Klopfleisch teilt. Es könnte dann ein ausländischer Bieter kommen, der keinem Tarifvertrag unterliege – und dann dank des Kostenvorteils den Zuschlag für die Konzession bekommen. Wirtschaftlicher als früher die Stadtwerke könne er aber nur durch soziale Abstriche arbeiten: „Zulasten von Tariftreue, der Übernahme von Azubis, von Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne, die in einen Sog nach unten geraten würden.“

Klopfleisch verweist daher auf das erste europäische Bürgerbegehren „Wasser ist keine Ware, Wasser ist Menschenrecht!“, das von ver.di mitinitiiert wurde. Mit der Sammlung von mehr als einer Million Unterschriften will die Initiative die Kommission zu einem Gesetzesvorschlag bewegen, der Wasser- und Abwasserversorgung als öffentliche Dienstleistung für alle sicherstellt.

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