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Konferenz zur Zukunft der EU: Von der „Next Generation EU“ zum Europa der Vielen?

Die EU steckt in der Krise. Auf unserer dritten Europa-Tagung wurde dennoch Optimismus verbreitet: Die Herausforderungen (nach) der Pandemie sollen für einen Reformschub und für mehr Demokratie genutzt werden.

Von Eric Bonse

Für Martin Schulz steht es außer Frage: Der historische Beschluss vom SPD-Parteitag 1925, der die „Vereinigten Staaten von Europa“ proklamierte, ist für den Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) auch nach einem Jahrhundert noch aktuell. Allerdings dürfte man sich nicht im Klein-Klein verlieren: „Wir müssen nicht das Olivenöl in vorformatierten Kännchen reichen und die Pizza normieren“, stellt der frühere Präsident des Europaparlaments fest. Gefragt sei vielmehr „eine neue Kompetenzordnung“ für die Europäische Union.

Doch wie kann diese neue Ordnung aussehen? Wie vereint und wie einig müssen die Vereinigten Staaten von Europa sein? Und was muss auf EU-Ebene geregelt werden, was können die Mitgliedstaaten bestimmen? Das war die Leitfrage bei der dritten und letzten Konferenz zur europäischen Wirtschaftspolitik, die die Friedrich-Ebert-Stiftung, der DGB, die IG Metall, ver.di und die Hans-Böckler-Stiftung am 19. April in Berlin ausrichtete (Bericht und Video von Teil eins hier). Konkret ging es um „Chancen und Grenzen der flexiblen Integration“ - ein Thema, das angesichts der Corona-Pandemie und der Wirtschafts- und Sozialkrise vielen auf den Nägeln brennt.

Die EU, so die Botschaft in Berlin, habe auf die Krise mit einem Integrationsschub reagiert. Mit dem neuen Corona-Aufbaufonds sei ein „überfälliger Sprung in eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik“ vollzogen worden, sagte Ver.di-Chef Frank Werneke. Das 750 Milliarden Euro schwere, schuldenfinanzierte Programm, das in Brüssel unter dem Titel „Next Generation EU“ firmiert, sei ein „später Ausdruck von Solidarität“, wie ihn sich die Gewerkschaften schon in der Finanz- und Eurokrise gewünscht hätten. Leider würden die „Sozialpartner nur unzureichend konsultiert“, so Werneke.

Die EU braucht mehr Demokratie

Damit zeigt sich ein Dilemma der „Vereinigten Staaten“ in der Wirtschaftspolitik: Sie ermöglicht der EU eventuell ein kohärentes, gemeinsames Vorgehen, können aber zu einem  Bedeutungsverlust von Gewerkschaften und Parteien führen. Die demokratische Legitimation der EU hätten schon vor der Finanzkrise gelitten, konstatierte Vivien Ann Schmidt, Politikprofessorin an der Universität Boston. Umso wichtiger sei es, die Milliardenhilfen der „Next Generation EU“ anders zu steuern. Gefragt sei eine neue Governance - weg von den strengen Defizitregeln, hin zu dezentraler und flexibler Steuerung.

Für ein Umsteuern sprachen sich auch DGB-Chef Reiner Hoffmann und die Direktorin der Denkwerkstatt „Dezernat Zukunft“, Philippa Sigl-Glöckner, aus. „Wir dürfen nicht allein der EU-Kommission das Feld überlassen, wir müssen ihr auf die Finger schauen“, sagte Hoffmann. Die Vereinigten Staaten von Europa seien auf halbem Wege stehen geblieben - jetzt gelte es, die EU demokratischer zu machen. Ähnlich äußerte sich Sigl-Glöckner. Der Aufbaufonds berge die Chance für eine vertiefte Wirtschafts- und Finanzunion - wenn die alten Fiskalregeln überwunden würden.

Die USA sind wieder ein Vorbild

Doch wie kann das gelingen? Eine Möglichkeit wäre, den befristeten Corona-Aufbaufonds zu einem Investitionsfonds auszubauen. Damit ließe sich dann auch eine europäische Industriepolitik konzipieren, so die Expertin. Allerdings müssten auch nationale Besonderheiten berücksichtigt werden, mahnte Hoffmann an. Deutlich skeptischer äußerte sich Lukas Oberndorfer von der Arbeiterkammer in Wien. Die EU-Verträge und ihre „sehr neoliberale“ Ausrichtung stünden vielen geforderten Reformen entgegen, warnte er.

So könne der Corona-Aufbaufonds nicht auf Dauer gestellt werden, da dies dem vertraglich garantierten Verschuldungsverbot widerspreche. Nötig sei eine offene Debatte über das Rechtsfundament der EU mit dem Ziel, es aufzubrechen. Es gehe um das „Europa der Vielen, nicht der Eliten“. Oberndorfer plädierte für ein Bündnis der Gewerkschaften mit der Klimabewegung, um den nötigen Druck aufzubauen.

In der Schlussrunde ging es um die Frage, welche Reformen jetzt schon möglich sind, ohne Änderung der EU-Verträge. Oberndorfer sprach sich dafür aus, eine „goldene Regel“ für öffentliche Investitionen einzuführen. Sie besagt, dass ein Anstieg der öffentlichen Verschuldung immer dann hingenommen werden kann, wenn mit ihr gleichzeitig ein mindestens ebenso großer Anstieg des öffentlichen Netto-Vermögens finanziert wird. Für eine solche Regel hat auch die Hans-Böckler-Stiftung immer wieder geworben.

Sigl-Glöckner empfahl, sich ein Beispiel an US-Präsident Joe Biden zu nehmen. Er lasse sich „von fortschrittlichen Ökonomen beraten - das wäre auch ein Rezept für uns“.

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