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Magazin Mitbestimmung

: Wegbereiter der Biokohle

Ausgabe 09/2011

SALZGITTER AG Künftig könnte Kohlestaub für das Hüttenwerk in Salzgitter aus Biokohle kommen. Für Betriebsrat Voges hat dieses wissenschaftliche Pionierprojekt ein riesiges Potenzial. Die Geschäftsführung muss er noch davon überzeugen. Von Karin Flothmann

Karin Flothmann ist Journalistin in Berlin 

Man nehme ein Kilo getrocknetes Gras, etwas Wasser und ein paar Tropfen Zitronensäure und gebe diese Zutaten in einen Schnellkochtopf. Den erhitze man kräftig auf rund 200 Grad Celsius. Der Kochvorgang lässt einen Druck von rund 20 bar entstehen. Und nach rund zwölf Stunden haben sich Gras, Wasser und Säure in ein knappes Pfund Kohle verwandelt. 

Natürlich ist der Dampfdrucktopf kein gewöhnlicher Kochtopf, sondern ein Autoklav, also ein gasdicht verschließbarer Druckbehälter, wie er in der Physik Anwendung findet. Die gesamte Prozedur der Kohlegewinnung im Kochtopf nennt sich hydrothermale Carbonisierung. Und sie ist das Steckenpferd von Thomas Greve. Der Diplomphysiker von der Uni Oldenburg beschäftigte sich schon in seiner Diplomarbeit mit dieser Art der Kohleproduktion. Heute hat er ein kleines Labor an der Fachhochschule Wolfenbüttel, wo er mit seinen Dampfdrucktöpfen und anderen Reaktoren experimentiert. Und das tut er nicht allein. Ein ganzes Netzwerk von Betriebsräten, Wissenschaftlern und der IG Metall versucht sich derzeit hier an der Produktion der Biokohle. 

Einer von ihnen ist Reinhard Voges. Der Betriebsrat der Salzgitter Service und Technik GmbH (SZST), einer Tochtergesellschaft der Salzgitter AG, kann ins Schwärmen geraten, wenn er von den Möglichkeiten der selbst gemachten Kohle erzählt. Als Sprecher des betriebsrätlichen Innovationsausschusses – ein Gremium, das das BetrVG ausdrücklich vorsieht – wollte Voges zusammen mit seinen Kollegen neue Technologien ausfindig machen, mit deren Hilfe sich langfristig Arbeitsplätze im Betrieb sichern oder sogar neue Arbeitsplätze schaffen lassen. Bei einer Konferenz kam der Betriebsrat 2007 mit Professor Joachim Peinke von der Uni Oldenburg ins Gespräch über die Möglichkeiten der hydrothermalen Carbonisierung. Und lernte den damaligen Studenten Thomas Greve kennen. Der arbeitet inzwischen seit April dieses Jahres an einem Pilotprojekt zur hydrothermalen Carbonisierung, das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wird. Das Pilotprojekt läuft bis Oktober 2014. Bis dahin soll in Niedersachsen eine Pilotanlage stehen, die aus Biomasse Kohle macht. Wissenschaftler von fünf niedersächsischen Hochschulen sind beteiligt und zehn Partner aus der Wirtschaft. Außerdem wollen die Kollegen aus Salzgitter das Projekt aktiv begleiten. 

„Wir sind schwer begeistert, wenn ein Betriebsrat sich um innovative, neue Technologien bemüht wie in Salzgitter“, sagt Thomas Müller von der IG-Metall-Bezirksleitung Niedersachsen. „Zuerst haben wir ja gedacht: Was ist denn das für ein Exotenthema?“, gibt Müller zu. Doch inzwischen verweist eine Großtagung über „Biokohle – Klimaretter oder Mogelpackung“, wie die am 5./6. Oktober an der FU Berlin, auf die Potenziale der Biokohle. 

Zurzeit betreiben Greve und seine Mitstreiter noch Grundlagenforschung. Sie schauen, mit welcher Geschwindigkeit welcher Bioabfall reagiert. Sie analysieren die Struktur der Kohle, die je nach Biomasse unterschiedlich aussehen kann. Und sie untersuchen, wie sich Binsenabfälle oder Holzreste bei unterschiedlichen Temperaturen verhalten. Um Kohle herzustellen, braucht es nicht viel. „Man kann jeden Dreck nehmen“, sagt Greve, nur organisch muss er sein. Dazu gehören Abfälle aus der Biotonne, Klärschlamm, Landschaftspflegematerial wie Gräser oder Binsen, Gärreste aus Biogasanlagen oder auch Treber, der beim Brauen von Bier oder Keltern von Wein anfällt. Endprodukt ist kein Klumpen Kohle, sondern eher Schlamm aus Wasser und Partikeln – aber wenn sie herausgefiltert werden, sind es Kohlepartikel. „Temperatur und Druck sind entscheidend“, erklärt Greve. Und natürlich die Dauer des Prozesses: „Nach einer Stunde sind Torfpartikel entstanden“, so Greve, „nach sechs Stunden Braunkohle und nach zwölf Stunden entsteht Steinkohle.“ 

ZEHN VERSUCHSANLAGEN_ Die hydrothermale Carbonisierung, mit der dies gelingt, ist weltweit im Versuchsstadium. Die eigentliche Forschung dazu sei rund fünf Jahre alt, meint Greve. In Deutschland gibt es bisher rund zehn Anlagen, in denen diese Kohlegewinnung erprobt wird. Dabei ist das Verfahren schon seit rund 100 Jahren bekannt, seitdem Friedrich Bergius im Kohle-Forschungsinstitut Hannover 1913 analysierte, wie Kohle entsteht und wie man den Prozess, der in der Natur mehrere Millionen Jahre dauert, beschleunigen kann. Erst um die Jahrtausendwende herum entwickelten Max-Planck-Wissenschaftler aus Potsdam Bergius’ Erkenntnisse weiter. Heute zählt die Biokohle zu den grünen Technologien, weil das in der Biomasse enthaltene CO² wieder nutzbar gemacht wird. Würden die Abfälle verrotten, würde das CO² in die Atmosphäre entweichen und damit zur Klimaerwärmung beitragen. 

Zur Laboranlage von Thomas Greve in Wolfenbüttel kommen immer wieder Arbeitskollegen von Reinhard Voges. Die Beschäftigten aus Salzgitter bringen ihr Know-how in den Forschungsprozess ein. „Mit Druck und Temperaturen kennen die sich alle aus“, sagt Greve. „Über einen Druck von 20 bar können die Salzgitter-Kollegen nur müde grinsen, die haben in ihrem Werk mit bis zu 300 bar zu tun“, sagt Greve. Betriebsrat Voges findet, dass der direkte Austausch zwischen Praktikern und Wissenschaftlern enorm hilfreich sein kann. „Das Kohlepulver hat ein riesiges Potenzial“, meint Voges. So könnte die Salzgitter AG einen Teil ihres Kohlebedarfs für ihr Hüttenwerk in Salzgitter selbst produzieren und würde auf diese Weise sogar Pluspunkte für den Emissionshandel sammeln, der ab 2013 auch für die Stahlindustrie akut wird. Mehr noch: Die Biokohle kann auch in Schwarzerde umgewandelt werden, also nährstoffreiches Substrat, das für gute Ernten sorgt. Kohlestaub ist außerdem für den Betrieb von Brennstoffzellen unverzichtbar. Und spielt bei der Produktion von Carbonfaser-Materialien (CFK-Materialien) für die Autoindustrie eine entscheidende Rolle. 

Warum die Chefs der Salzgitter AG das Projekt ihres Betriebsrates nicht mit der gleichen Euphorie betreiben, versteht der Sprecher des Innovationsausschusses nicht. Voges jedenfalls ist fest davon überzeugt: „Die Biokohle rechnet sich! Sie rechnet sich finanziell für das Unternehmen und fürs Weltklima.“

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