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Magazin Mitbestimmung

: Ortstermin Shanghai

Ausgabe 03/2012

WELTFABRIK Wie es in deutschen Tochterunternehmen in China zugeht, lässt sich für Besucher aus Deutschland nur ansatzweise recherchieren. Klar ist: Die Firmen suchen nach Fachkräften, und eine jüngere Generation wird streitbarer und selbstbewusster. Von Annette Jensen

Annette Jensen ist Journalistin in Berlin/Foto: Sinopictures, Brigitte Hiss

Bernd Hergenröther war erstaunt, als er die Werkshalle der Wäschereifirma CWS-boco in der Nähe von Shanghai betrat: „Ich hatte mir eine Wellblechhütte vorgestellt, die an eine Legebatterie erinnert.“ Doch nichts dergleichen. Alles blitzblank, sehr viel deutsche Technik, hohe Räume und auch bei den Reinigungsmitteln die gleichen Standards wie daheim, stellte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Dienstleistungsunternehmens Franz Haniel & Cie fest, zu dem CWS-boco gehört. Einen Pausenraum entdeckte er ebenfalls beim Rundgang. „Wären da nicht die chinesischen Schilder gewesen, hätte das ein Betrieb in Deutschland sein können“, so sein Eindruck. Bernd Hergenröther gehörte zu einer Delegation aus IG-Metall- und Textilbetriebsräten und -Gewerkschaftern, die im November deutsche Unternehmenstöchter in Shanghai, Hangzou und Peking besuchten. „Wir sind überall von der Betriebsleitung geführt worden“, berichtet Thomas Schneidmüller, Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsrat der Unterwäschefirma Triumph. Direkte Kontakte mit Beschäftigten seien schon aus sprachlichen Gründen nicht möglich gewesen. Die Wäschereifirma CWS-boco hat ihr chinesisches Tochterunternehmen vor drei Jahren in der Nähe von Shanghai errichtet. Für die Führung am Nachmittag wurden einige Maschinen extra hochgefahren und vorgeführt. Gearbeitet wird hier nur nachts, weil die Lieferwagen die Hand- und Betttücher aus Hotels nur dann anliefern dürfen; auf diese Weise versuchen die Behörden, den anschwellenden Großstadtverkehr zu entzerren. Der IG-Metall-Tarifsekretär Hans Wettengl, der im CWS-boco-Aufsichtsrat ein Mandat hat, hat sich die Unternehmenszahlen angeschaut und auch mit Kunden gesprochen. Sein Eindruck war positiv. Wie sich die Vorgesetzten verhalten, könne er aber ebenso wenig beurteilen wie die Rolle der Gewerkschafter im Betrieb.

Was der deutschen Delegation auffiel, war, dass es offenbar aufgrund der niedrigen Löhne deutlich mehr Personal als hierzulande gibt. So stünden die Arbeiter bei Bosch in der Bohrmaschinenmontage Schulter an Schulter und reichten ununterbrochen Werkstücke an den Kollegen nebenan weiter, nachdem sie jeweils nur einen winzigen Handgriff erledigt hätten, registrierte Schneidmüller. Ergonomisch erschien ihm das Ganze nicht optimal: Die Tische seien für chinesische Arbeiter zu hoch, so sein Eindruck.

MÄCHTIGE STAATSGEWERKSCHAFTEN_ Natürlich traf die Delegation auch zahlreiche Gewerkschaftsvertreter. Sie werden in China von den Betrieben und vom Staat bezahlt und haben die Aufgabe, Beschwerden entgegenzunehmen und Arbeitskonflikte zu verhindern. „Ich betrachte die Gewerkschaften in China nicht als Gewerkschaften“, stellt Wettengl klar. Schließlich gäbe es keine persönliche Mitgliedschaft, sondern zwei Prozent der kollektiven Gehaltssumme würden direkt von der Unternehmensleitung an die Gewerkschaften abgeführt. Doch offenbar seien die Vertreter des Allchinesischen Gewerkschaftsbundes auch sehr mächtig, meint Bernd Hergenröther nach dem Treffen mit einem für VW zuständigen Mann. „Wenn die stopp sagen, dann ist stopp. Die ganze Unternehmensführung in China ist ein Geflecht, das wir gar nicht richtig nachvollziehen können“, fasst er seine Überlegungen am Ende der Reise zusammen.

PERSONAL IN CHINESISCHER HAND_ Boy Lüthje vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main forscht über die Arbeitsbedingungen in China. Gegenwärtig ist er Gastprofessor an der Sun-Yat-Sen-Universität in Guangzhou und baut in der Zwölf-Millionen-Industriemetropolregion ein Zentrum für vergleichende Arbeitsforschung auf. „Die deutschen Unternehmen decken bei den Arbeitsbedingungen in China das gesamte Spektrum von besonders gut bis ganz schlecht ab“, sagt Lüthje, dessen Forschungen die Hans-Böckler-Stiftung unterstützt. Am oberen Ende rangieren die deutschstämmigen Joint-Venture-Betriebe aus der Auto- und Chemieindustrie, die bei Fragen von Technik, Arbeitsschutz und Organisation überall auf der Welt ähnliche Standards hätten und deren Beschäftigte für chinesische Verhältnisse Spitzenlöhne verdienten. Hier gibt es eine Arbeitsteilung: Die Deutschen bringen in die Joint Ventures die Marke und ihr technisches Know-how ein, während das Personalmanagement in chinesischer Hand liegt, wodurch die Chinesen auch die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern regeln, berichtet Lüthje.

Am unteren Ende der Skala gibt es auch von deutschen Mittelständlern betriebene „Sweatshops“, wo wenig gezahlt und extrem lange gearbeitet wird. Oft handelt es sich dabei um Zulieferer von Zulieferern. Im Mittelfeld, so Lüthje, bieten große Zulieferer wie Bosch relativ gute, wenn auch flexible Arbeitsbedingungen. Dort stehen westliche Manager an der Spitze – anders als bei den Joint-Venture-Konzernen der Autoindustrie. Die schlecht bezahlte Massenproduktion wie bei Foxconn, dem weltweit größten Hersteller von Computern, Handys und Playstations, oder in der Textilindustrie findet dagegen meist unter asiatischer Regie statt, und die internationalen Markenfirmen treten hier nur als Auftraggeber und Einkäufer auf. Wie katastrophal die Arbeitsbedingungen dort sind, haben Nichtregierungsorganisationen aus Hongkong durch Befragungen von Arbeiterinnen und verdeckte Ermittlungen in den Betrieben mehrfach nachgewiesen: zwölf- bis 15-Stunden-Schichten, Redeverbot, immens hohe Stückvorgaben, demütigende Strafen und Kontrolle bis in die Wohnheime hinein.

Die deutsche Außenhandelskammer zählt inzwischen fast 4500 deutsche Unternehmen in China – von den großen Automobilherstellern bis hin zum kleinen Ingenieurbüro. Den Schwerpunkt bildet die Metallbranche, aber auch Finanz- oder Dienstleistungsunternehmen versuchen inzwischen, Fuß zu fassen. Vor allem in den Autokonzernen gäbe es schon so etwas wie sozialpartnerschaftliches Denken, so Lüthje, doch das bedeute weder, dass Tarifverträge existierten noch dass die deutsche Mitbestimmung hier langsam einsickere. „Tendenziell orientieren sich die Unternehmen an den regionalen Standards.“ Auch die zunehmende Verbreitung von Selbstverpflichtungen zur Corporate Social Responsibility (CSR) erscheint ihm als Augenwischerei: In den chinesischen Betrieben vor Ort gäbe es oft nicht einmal entsprechende Aushänge, geschweige denn eine systematische Umsetzung von CSR.

ARBEITSKRÄFTE GESUCHT_ Obwohl in China 1,3 Milliarden Menschen leben, haben viele Firmen in den Industriegürteln Probleme, Personal zu finden. „Aufgrund der irrsinnigen Zuflüsse von Auslandsinvestitionen gibt es eine riesige Nachfrage nach neuen Arbeitskräften“, erläutert Lüthje. Dabei ist absehbar, dass sich die Situation weiter verschärfen wird. Denn bereits in fünf Jahren dürfte aufgrund der Ein-Kind-Politik der Scheitelpunkt des Arbeitskräfteangebots erreicht sein. Hinzu kommt, dass die Arbeitnehmer in China selbstbewusster werden. Die dem deutschen Wirtschaftsministerium unterstehende Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing drückt das ungeschminkt so aus: „Waren in den Jahren seit Beginn der Öffnungspolitik in den 1980er Jahren relativ anspruchslose und hart arbeitende Chinesen (insbesondere Wanderarbeiter) in jeder gewünschten Anzahl verfügbar, so drängen mittlerweile Arbeitskräfte auf den Markt, die in der Zeit des raschen wirtschaftlichen Aufstiegs der VR China aufgewachsen sind und das karge Leben früherer Generationen nicht mehr kennengelernt haben.“

Triumph-Aufsichtsrat Schneidmüller fiel bei sämtlichen Betriebsbesichtigungen auf, wie jung die Belegschaften sind. Dennoch geht er davon aus, dass die Unterwäschefirma Triumph ihre zwei Produktionsstätten in China mit einigen Tausend Beschäftigten aufgrund von Arbeitskräftemangel irgendwann wird schließen müssen. „Die nachwachsende Generation besteht vorwiegend aus Einzelkindern. Viele haben eine gute Ausbildung bekommen und wollen nun auch gehobenere Arbeitsplätze besetzen.“

Die Löhne sind in China in den vergangenen Jahren durchschnittlich um zehn Prozent gestiegen. In Guandong, dem größten Industriegebiet der Welt, liegt der gesetzliche Mindestlohn zwischen 950 und 1300 Renminbi (RMB), was umgerechnet etwa 120 bis 160 Euro pro Monat entspricht. In Shanghai, wo die deutschen Autofirmen sind, schreibt der Staat ein ähnliches Niveau vor. Dagegen gibt es in den Provinzen im Landesinnern für die gleiche Arbeit nur die Hälfte. Die gesamte Textilwirtschaft, aber auch die Montage von Elektronik oder Waschmaschinen basiert auf Mindestlöhnen, berichtet Lüthje. Um über die Runden zu kommen, leisten die meisten Beschäftigten viele Überstunden – oft deutlich mehr, als offiziell erlaubt sind. So können sie ihr Einkommen noch einmal um etwa ein Drittel erhöhen; arbeiten sie im Akkord, sind es noch ein paar RMB mehr.

Es sind vor allem die Wanderarbeiter, die unter oft unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. „Das ist ein sehr großes Potenzial für soziale Unruhen, zumal die Wanderarbeiter einen rechtlich diskriminierten Status haben“, erklärt Boy Lüthje. Nicht selten werden sie sogar noch um ihr hart verdientes Geld betrogen: Manche Firmen machen einfach von einem Tag auf den nächsten dicht. „Wir würden das betrügerischen Bankrott nennen, aber das ist die normale Art, wie in China Unternehmen vom Markt gehen“, so Lüthje. Es gibt eine Spaltung in der Arbeitnehmerschaft Chinas. So arbeiten in der Zulieferindustrie Guangdongs fast ausschließlich Wanderarbeiter. Dagegen kann man die Belegschaften der Kernbetriebe von Toyota und Honda als eine Art Arbeiterelite bezeichnen, die in der Region schon immer ansässig war. Sie erhalten einen für chinesische Verhältnisse sehr hohen Lohn von knapp 370 Euro und bekommen darüber hinaus Sozialleistungen und Aufschläge. Ein Ingenieur mit einigen Jahren Berufserfahrung verdient im IT-Sektor oder in der Autoindustrie umgerechnet etwa 1000 Euro. In Shanghai, wo die deutsche Autoindustrie ihre Fertigungsstraßen aufgebaut hat und auch Zulieferer wie Bosch angesiedelt sind, ist das Niveau ähnlich – allerdings ist die Zusammensetzung der Belegschaften dort weniger strikt getrennt, es gibt dort heimische und Wanderarbeiter.

STREIKWELLE_ 2010 kam es in japanisch geführten Zuliefererbetrieben zu heftigen Streikbewegungen. In der Zwölf-Millionen-Metropole Guangzhou entluden sich die Spannungen in einer Serie von Streiks, davon über 100 im Automobilsektor. Ausgehend von einem Honda-Zuliefererbetrieb griffen die Arbeitsniederlegungen schnell um sich. Die Streikenden nutzten dabei das Internet und SMS, um ihre Positionen zu verbreiten und untereinander zu kommunizieren. Boy Lüthje sieht eine Hauptursache darin, dass die Arbeiter schlecht bezahlte Arbeitsmigranten waren, die aus anderen Teilen Chinas kommen. „Das zeigt eine sich verändernde politische Kultur, bei der die Gewerkschaften auch getrieben werden, sich anders zu verhalten als bisher“, sagt der Wissenschaftler.

Erstmals stellten sich in einigen Fällen Gewerkschafter aus der Distriktebene vor die Arbeiter und übernahmen schließlich die Schlichtung. Die Ergebnisse dieser Tarifverhandlungen waren für viele Arbeiter sehr erfreulich: Ihre Löhne stiegen um 20 bis 50 Prozent. „Wenn Tarifverhandlungen durch Arbeitsniederlegungen erzwungen und von gewählten Streikkomitees erfolgreich abgeschlossen werden, ist der Nachweis für die Irrelevanz der offiziellen Gewerkschaften offensichtlich“, beschreibt Rudolf Traub-Merz, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Shanghai, die Situation. Unabhängigere Gewerkschaften sind in Guangzhou inzwischen offizielle Politik – ein absolutes Novum in China.

Was den ausländischen Firmen zu schaffen macht, ist die geringe Bindung der Arbeiterinnen und Arbeiter an die Firmen. Wie in vielen Betrieben, deren Belegschaft aus Wanderarbeitern besteht, ist die Fluktuation auch bei der Haniel-Tochter CWS-boco hoch, wie die Besuchergruppe der IG-Metall/Textiler feststellte. Durchschnittlich ein Drittel der Beschäftigten kehrt nach dem Frühlingsfest aus ihren Dörfern nicht wieder zurück. Wenn sich ein Job näher der Heimat findet, ziehen die Arbeiter ihn heute häufig einer besser bezahlten Stelle in den Boomregionen vor, zumal die Lebenshaltungskosten im Westen geringer sind. 75 Prozent der deutschen Firmen tun sich schwer damit, ihr Personal zu halten, schreibt die deutsche Außenhandelskammer.

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