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Magazin Mitbestimmung

: Nein zu diesem Rettungspaket

Ausgabe 07+08/2011

EGB-KONGRESS ATHEN 200 Redebeiträge, 400 Änderungsanträge: Wie sich die Gewerkschaftsdelegierten beim EGB-Kongress zum Athener Manifest durcharbeiteten. Von Cornelia Girndt

Cornelia Girndt ist Redakteurin des Magazins Mitbestimmung/Foto: Anne Graef

TUC-Bureaucrats go home“ – an Ampeln und Pfosten rund um das weiße Megaron-Kongresszentrum hängen die Plakate einer linken Gewerkschaftergruppe, die die einfliegenden 500 EGB-Delegierten gleich wieder heimschicken wollen. Wo doch die Arbeitnehmervertreter aus 39 Ländern am Tag drauf in einer Dringlichkeitsresolution an die EU-Wirtschafts- und -Finanzminister appellieren werden, von solchen Rettungsmaßnahmen abzusehen, die die Lage der griechischen Wirtschaft und der Menschen noch verschärfen.

Sind hier EU-Bürokraten am Werk? Was vier Tage lang auf dem Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes abläuft, ist das übliche Prozedere internationaler Organisationen, das darauf zielt, die naturgemäß unterschiedlichen Ansichten und Kulturen in einer einzigen Kongressresolution münden zu lassen. Den Entwurf dazu hat die Europapolitik-Koordinatorin des DGB, Gabrielle Bischoff, im 60-köpfigen Vorbereitungskomittee mitkonzipiert, wo „viel Vorarbeit investiert wurde in die Konsensgewinnung“. Sie weiß, dass die Skandinavier nicht viel von Finanztransfers zur Unterstützung schwächelnder EU-Länder halten. Weiß, dass die Spanier wegen der abgrundtiefen Wirtschaftskrise derzeit andere Probleme haben und sagen: „Leute, uns steht das Wasser bis zum Hals.“ Ja, gewiss: Die Gewerkschaftsdelegierten tagen 2011 im Auge des Hurrikans der europäischen Finanzkrise. Jeden Tag demonstrieren andere Berufsgruppen auf dem Syntagma–Platz vor dem Parlamentsgebäude, und von zahlreichen geklauten Delegierten-Handys und -Brieftaschen wird berichtet.

Die 27-köpfige deutsche Delegation durch das Zustimmungs- und Ablehnungs-Marathon des EGB-Kongresses zu lotsen ist harte Aufgabe von Annelie Buntenbach, die im DGB-Vorstand die Europapolitik verantwortet. Sie und Bischoff informieren bei der Vorbesprechung die deutsche Gruppe: etwa darüber, dass es zunächst im EGB-Sekretariat Widerstände gegen den deutsch-französischen Vorstoß gab, eine Kampagne gegen Lohn- und Sozialdumping zu machen. Oder dass die Belgier das deutsche Credo als nebensächlich abtaten, dass Mitbestimmungs-Regelungen nicht europäisch ausgehebelt werden dürfen. Eine Position, die man für überholt glaubte.

Delegationsleiterin Buntenbach sagt, wer vor dem Kongress reden wird: Claus Matecki zur Finanzmarktregulierung, Michael Vassiliadis zum Sozialmodell. Sie selbst und Frank Bsirske werden in Talkrunden auftreten. Der ver.di-Vorsitzende ist ungeduldig, dass „das andere Europa“ so wenig Dynamik zeigt. Weder Entsenderichtlinie noch die soziale Fortschrittsklausel seien vorangekommen. Um Letztere in den Verträgen zu verankern, liebäugelt Bsirske mit dem Antrag der Schweizer für ein europäisches Bürgerbegehren (was ab 2012 möglich wäre), denn damit, sagt Bsirske, könnte man „Millionen Unterschriften sammeln und das Thema in die Betriebe tragen“. Buntenbach insistiert stattdessen auf dem DGB-Vorschlag für eine Kampagne gegen Lohndumping, für die man doch gerade die Franzosen mit ins Boot genommen habe. Das sieht auch IG- BCE-Vorstandsmitglied Egbert Biermann so.

Yannis Panagopulos ist Gastredner beim Abendessen, zu dem traditionellerweise die Friedrich-Ebert-Stiftung lädt, die von ihren Auslandsbüros aus einen Teil der internationalen Gewerkschaftsarbeit macht. Der griechische Gewerkschaftsbund-Vorsitzende klagt wortreich über die von IWF und EU verordnete Medizin, die jegliche Wachstumsperspektive im Keim ersticke. „Die Armut wächst, und der Lebensstandard großer Teile der griechischen Bevölkerung wird irreparabel beschädigt“, sagt Panagopulos.

Von Montag bis Donnerstag sitzen die Delegierten eingeklemmt auf Sperrsitzen in einem Sitzungsraum, der eigentlich ein Konzertsaal ist. Und arbeiten sich durch den verschlankten Entwurf einer Kongressresolution von 70 Seiten, also von wegen Bürokraten! Ein Papier, zu dem 400 Änderungsanträge vorliegen und 200 Redebeiträge angemeldet sind. Denn zu jedem der zehn Kapital dürfen 20 Kolleginnen und Kollegen für strikte drei Minuten auf die Bühne: Die Schweden sind alarmiert wegen der Einschränkung ihrer Tarifautonomie durch die EU; die Österreicher befürchten abnehmende Europa-Zustimmung der Bevölkerungen und Rechtspopulismus. Und ein portugiesischer Gewerkschafter berichtet, dass die Opfer der Spardiktate oft die Ärmsten sind. Auch die Iren sind verzweifelt, weil ihre Wirtschaft auch angesichts von Exporterfolgen nicht wächst. Trotz der Vielstimmigkeit – übersetzt wird in 15 Sprachen – ist es nicht schwierig, eine gemeinsame Story zu erkennen: Die Banken und Ratingagenturen haben uns die Suppe eingebrockt, und jetzt sollen die Arbeitnehmer sie auslöffeln.

Nach vielen Reden, Talkrunden, Pausen- und abendlichen Tischgesprächen wählen sich die Delegierten ein veritabel neues EGB-Sekretariat. Generalsekretär John Monks, der dem EGB in acht Jahren Respekt verschafft hat, tritt nicht mehr an. So wie auch EGB-Präsidentin Lundby. Das ausgedünnte EGB-Team hat ein hartes Stück Arbeit hinter sich, denn von sieben EGB-Sekretären zogen sich vier vorzeitig aus dem Amt zurück – wegen anderer Jobs. So war Maria Elena Andre Arbeitsministerin in Portugal geworden, „der schlimmste Job, den es derzeit gibt“, wie John Monks scherzhaft bei der offiziellen Verabschiedung sagt, bei der er auch seinem Stellvertreter Reiner Hoffmann für die gemeinsame Zeit dankt.

Überhaupt gibt es viele Abschiede. Denn von der alten EGB-Führungscrew wird nur der Pole Jósef Niemiec weitermachen und Kontinuität vermitteln können. Alle anderen EGB-Sekretäre sind neu im Amt, so wie auch Claudia Menne. Das ist keine geringe Herausforderung in Zeiten, die für die EU und den Euro brisanter nie waren. Und in denen der EGB offensiver als zuvor die (unsoziale) Politik der EU-Kommission kritisiert.

Und doch fehlten Kontroversen. „Vielleicht haben wir im Vorfeld zu viele Konflikte aus dem Weg geräumt“, gesteht einer aus dem EGB-Stab ein. Dennoch kann sich das Athener Manifest sehen lassen, dessen optimistisches Motto „Mehr Europa, aber anders“ lauten könnte: Mehr Europa, weil es für die Not leidenden Volkswirtschaften einen New Deal und insgesamt eine europäische Wirtschaftsregierung vorsieht. Und anders, weil es mit einer Sozialen Fortschrittsklausel in den Europäischen Verträgen nicht mehr vorrangig marktgetrieben sein soll. Dafür wollen sich die europäischen Gewerkschaften „in Aktionen einsetzen“, wobei sich die 500 EGB-Delegierten mit großer Mehrheit für die deutsch-französische Initiative für eine Kampagne gegen Lohn- und Sozialdumping aussprachen.

MEHR INFORMATIONEN

Weitere Infos zum EGB-Kongress und den neu gewählten EGB-Sekretären: www.einblick.de, www.etuc.org

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