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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Um jedes Mitbestimmungsrecht kämpfen'

Ausgabe 05/2009

ver.di-Vize Margret Mönig-Raane über die Schwierigkeit, bei Discountern Betriebsräte zu installieren.

Das Gespräch führte Margarete Hasel, Mitarbeit Petra Welzel/Foto: Martin Storz

Im Lidl-Schwarzbuch deckte ver.di schon 2004 illegale Überwachungspraktiken auf, die der "Stern" vier Jahre später publikumswirksam skandalisierte. Seitdem fährt das Unternehmen eine Imagekampagne, und es gibt acht Betriebsräte - in rund 3000 Filialen. Eine richtige Erfolgsgeschichte ist das nicht.
Die Lidl-Kampagne war und ist eine sehr erfolgreiche Kampagne, was die Sensibilisierung der Öffentlichkeit angeht und was konkrete Verbesserungen für die Beschäftigten betrifft. Der durchschlagende Erfolg bei der Gründung von Betriebsräten ist bisher ausgeblieben. Das ist eine Folge der massiven Einschüchterungen und der erlebten Drangsalierung derjenigen, die Betriebsräte gründen wollten oder auch gegründet haben. Und als dann noch durch die Imagekampagne der Eindruck entstanden ist, dass vielleicht doch alles nicht so schlimm sei oder bei den anderen auch nicht besser ist, da haben sich die meisten wohl entschieden, sich lieber nicht zu rühren.

Stimmt es nicht nachdenklich, wie wenig ein öffentlicher Skandal verändern kann?
Ich muss widersprechen. Unsere Lidl-Kampagne ist sogar außerordentlich erfolgreich. Wir haben zum Beispiel erreicht, dass Überstunden bezahlt werden. Nur der Funke ist bisher nicht übergesprungen. Die Lidl-Beschäftigten sagen noch nicht: Okay, wir nehmen das jetzt selbst in die Hand. Das braucht Zeit.

lidl-Vorstand Goudsblom hat unlängst auf Spiegel online Fehler eingestanden, die aber inzwischen abgestellt seien. Könnt ihr diese neue Realität bestätigen?
Wir beobachten, dass Bemühungen von Beschäftigten, einen Betriebsrat zu wählen, nicht mehr damit beantwortet werden, ihnen unter fadenscheinigen Gründen zu kündigen. Stattdessen lässt die Unternehmensleitung Führungskräfte für den Betriebsrat kandidieren, sodass eine absurde Situation entsteht: Diejenigen, mit denen die Beschäftigten im Zweifelsfall Stress haben, sollen also diejenigen sein, an die sich die Beschäftigten vertrauensvoll wenden, um Unterstützung zu erbitten.

Der Discounterbereich gilt als weitgehend mitbestimmungsfreie Zone. Was macht es so schwer, FuSS zu fassen?
Der Discounterbereich ist keineswegs eine mitbestimmungsfreie Zone. Es gibt allerdings noch viel zu tun: Zum einen muss die Betriebsratsarbeit in der Regel neben der eigentlichen Arbeit gemacht werden. Wenn man zu Lehrgängen fahren will, dann hat man die Auseinandersetzung, kann man aus dem Betrieb weg, zahlt das der Arbeitgeber? Das ist überhaupt kein Vergleich mit Strukturen, wo freigestellte Betriebsräte arbeiten können. Das Zweite ist, dass im Einzelhandel fast 50 Prozent der Menschen Teilzeit arbeiten. Gut ein Drittel arbeitet als geringfügig Beschäftigte bei Arbeitszeiten von manchmal sieben bis abends 22 Uhr. Zu kaum einem Zeitpunkt des Tages sind alle Beschäftigten im Haus. Das sind Bedingungen, die allein schon eine Betriebsratswahl außerordentlich schwer machen. Aber wir haben auch Discounter, die flächendeckend Betriebsräte haben, Penny gehört dazu. Auch bei Plus-Netto sind wir bald so weit. Und bei Schlecker wächst die Zahl kontinuierlich.

Was wisst ihr über die Arbeit der Betriebsräte dort, wo es geglückt ist, sie zu gründen?
Bei Schlecker ist es nach wie vor mühsam für die Betriebsrätinnen. Sie müssen um jedes Mitbestimmungsrecht kämpfen, um Arbeitsmaterial und die Teilnahme an Seminaren. Ein Betriebsrat, der ständig in solche Auseinandersetzungen verwickelt ist, wird von seiner eigentlichen Arbeit abgelenkt - sich nämlich um die Arbeitsbedingungen und die Sorgen und Wünsche der Beschäftigten zu kümmern. Der hat schon richtig zu strampeln.

Mit der letzten Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes sollte die Gründung von Betriebsräten erleichtert werden. Könnte der Gesetzgeber auch jetzt helfen?
Ganz wichtig ist - das geht in Richtung Gesetzgebung wie Rechtsprechung -, dass diejenigen, die sich um die Vorbereitung einer Betriebsratswahl kümmern, von Anfang an geschützt sind. Zurzeit haben Mitglieder des Wahlvorstands zwar einen gewissen Kündigungsschutz. Nach unseren Erfahrungen müsste der aber schon vorher greifen, damit die Versuche, die Menschen rauszuklagen und rauszukündigen, vereitelt werden.

Die Spirale von repressiver Unternehmenskultur und Ohnmacht der Beschäftigten kann also durch Hartnäckigkeit durchbrochen werden?
Unbedingt, sonst hätten wir keine Betriebsräte bei Schlecker und in den anderen Discountern. Da darf man sich den Blick nicht verstellen lassen, dass es bei Lidl erst wenige sind.

Bei Schlecker gibt es seit Mitte der 90er Jahre mehr als 100 Betriebsräte und einen Gesamtbetriebsrat. Das hat allerdings noch zu keiner wesentlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt. Zudem begeht man jetzt mit sogenannten XL-Filialen Tarifflucht.
Das ist die aktuelle Auseinandersetzung. Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass die Geschäftsstrategie, von den Kleinstfilialen wegzugehen in ein mittelgroßes Segment, auch die Gelegenheit bietet, die Sicherheitsbedingungen für die Kolleginnen zu verbessern. Und die müssen wir nutzen. Eine Filiale in dieser Größenordnung kann man nicht mehr allein betreiben. Aber es darf natürlich keine neue Schleckerwelt geben, und die alte bleibt, wie sie ist. In beiden Bereichen muss die Tarifbindung gelten, muss es Betriebsräte geben.

In Ländern mit hohem Organisationsgrad wie in Skandinavien achtet selbst Lidl Mitbestimmungsrechte. In Deutschland hingegen ist der Organisationsgrad immer noch nicht berauschend. Droht in diesem Segment eine Amerikanisierung der Arbeitsverhältnisse?
Es gibt auch den umgekehrten Fall, dass deutsche Unternehmen, die sich hier in der Zusammenarbeit mit Betriebsräten ordentlich benehmen, nicht wiederzuerkennen sind in Ländern mit einer anderen Kultur. Da schrecken sie auch vor amerikanischen Methoden wie Gewerkschafts-Busting nicht zurück. Fragt man diese Unternehmen dann, warum sie das machen, erklären sie unumwunden: Wir richten uns nach den nationalen Gegebenheiten. Das trifft den Nagel auf den Kopf: Wenn in einem Unternehmen die Belegschaft nicht gut organisiert ist, nehmen sich Unternehmensleitungen im Zweifelsfall viel, viel mehr raus, als wenn die Belegschaft ihre Interessen nicht nur individuell, sondern auch kollektiv artikuliert.

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