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Magazin Mitbestimmung

: Glück im Unglück

Ausgabe 06/2006

Die Belegschaft des Münchner Triebwerkbauers MTU Aero Engines machte überraschend gute Erfahrungen mit dem US-Finanzinvestor KKR - und bleibt dennoch grundsätzlich skeptisch.




Von Stefan Scheytt
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Tübingen.



Im Betriebsratsbüro des Triebwerkbauers MTU Aero Engines in München, der 2003 von einem amerikanischen Finanzinvestor übernommen wurde, steht ein Zeitschriftenständer, aus dem blickt Franz Müntefering von einem Magazintitel in den Raum; auf das Titelblatt ist auch ein Zitat von Müntefering gedruckt, es geht um die berufliche Integration von Behinderten; aber hier im Betriebsratsbüro von MTU Aero Engines wirkt das Statement lächerlich bedeutungslos, weil ein ganz anderes Zitat unsichtbar im Raum steht, eines, das schon ein Jahr alt ist, aber noch in den Geschichtsbüchern am ehemaligen SPD-Chef kleben wird: das Zitat von den Finanzinvestoren, die "anonym bleiben, kein Gesicht haben und wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen herfallen, sie abgrasen und weiterziehen. "Betriebsratschef Josef Hillreiner sitzt an seinem Besprechungstisch und sagt über Münteferings Heuschrecken: "Na ja, so weit wie Münte würde ich nicht gehen."

Es war eben nicht so, wie der es beschrieben hatte und wie es viele im Betriebsrat und in der Belegschaft auch befürchtet hatten, jedenfalls nicht bei MTU: Die Triebwerkbauer waren zwar von einem Finanzinvestor übernommen worden - aber der war nicht anonym geblieben, es war die New Yorker Firma Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR), die größte Private-Equity-Gesellschaft der Welt. Der Investor hatte auch ein Gesicht - es war vor allem jenes von Johannes Huth, dem in London lebenden Europa-Chef von KKR, einem Deutschen, dem Josef Hillreiner jetzt mindestens fünfmal im Jahr für einige Stunden im Aufsichtsrat gegenübersitzt.

KKR war auch nicht aus heiterem Himmel über MTU hergefallen, sondern hatte gekauft, was zum Kauf angeboten worden war. Es stimmt, KKR war dann schnell weitergezogen, viel früher als angekündigt, und hatte eine Rendite mitgenommen, die man als unmoralisch bezeichnen kann - und trotzdem behauptet heute keiner, auch nicht im Betriebsrat, der Investor habe MTU "abgegrast" zurückgelassen.

Verkauft und gekauft zu werden, war für MTU nicht neu. Die Münchner Traditionsfirma gehörte schon vielen, mal war BMW der Eigentümer, mal MAN, ab 1985 dann Daimler-Benz. In den besten Zeiten bei Daimler fühlten sie sich als einer der Strahlen im Mercedes-Dreizack, der ein Symbol dafür war, dass der Konzern Motoren baute, die zu Lande, zu Wasser und eben auch in der Luft zum Einsatz kamen.

In den letzten Jahren allerdings kamen sich viele bei MTU als das vor, was sie aus Sicht der "Welt AG" inzwischen auch tatsächlich waren: ein unbedeutendes Tochterunternehmen am Rand, das mit seinen Produkten längst nicht mehr in die Strategie der Autobauer passte und nicht mal zwei Prozent des Konzernumsatzes repräsentierte; für kräftige Gewinnentnahmen allerdings war MTU in den vergangenen Jahren immer noch gut, schließlich konnte DaimlerChrysler das Geld für diverse Konzernbaustellen gut gebrauchen. Und immer wieder kamen Gerüchte auf, DaimlerChrysler wolle MTU verkaufen. Doch Informationen dazu gab es nicht mal im Aufsichtsrat - auch das ist ein Zeichen dafür, wie selbstherrlich sich die Mutter zur Tochter verhielt.

Ende 2003 ist das Verhältnis der beiden dann endgültig beendet: Im Bieterwettstreit setzt sich KKR gegen einen britischen Finanzinvestor durch und kauft MTU für 1,45 Milliarden Euro. Wie in der Private-Equity-Branche üblich, bezahlt KKR den Kauf nur zum kleineren Teil mit Eigenkapital, der große Rest ist auf Pump finanziert, Zinsen und Tilgung muss das übernommene Unternehmen aus den laufenden Erträgen schultern - es kauft sich quasi selbst. Nur eineinhalb Jahre später, im Juni 2005, bringt die US-Beteiligungsgesellschaft die Münchner an die Börse und macht Anfang 2006 auch seine restlichen MTU-Anteile flüssig.

Die "Frankfurter Allgemeine" rechnet darauf vor, die US-Firma habe mit einem Einsatz von gut 270 Millionen Euro Eigenkapital innerhalb von gut zwei Jahren einen Gewinn von schätzungsweise 580 Millionen Euro eingestrichen. Selbst in der renditestarken Investorenbranche gelten derlei Profite als außergewöhnlich.

Selbst manchem Betriebsrat nötigt der clevere Coup der Amerikaner stille Bewunderung ab, mehr noch aber fragen sich angesichts des gigantischen Gewinns viele MTUler: "Warum hat DaimlerChrysler den Reibach dem Investor überlassen und MTU nicht selbst an die Börse gebracht?" Betriebsratschef Josef Hillreiner sagt, sein "Glaube an die Leistungsfähigkeit des deutschen Managements habe darunter stark gelitten - sind wir wirklich so viel schlechter, sind die anderen wirklich so viel besser?"

Eine plausible Antwort darauf lautet: DaimlerChrysler brauchte das Geld aus dem Verkauf so schnell wie möglich, der Konzern hatte schlicht nicht die Zeit zu warten, bis sich die krisengeschüttelte Luftfahrtbranche nach 9/11, nach SARS und dem Beginn des Irak-Kriegs wieder für einen Börsengang eignen würde.

Zu Recht sagt KKR-Europachef Johannes Huth: "An der deutschen Börse ging Ende 2003 überhaupt nichts, MTU-Aktien wären damals nicht platzierbar gewesen." KKR selbst hatte MTU Ende 2003 mit der Perspektive erworben, das Unternehmen erst nach fünf bis sieben Jahren wieder zu verkaufen, was für eine Beteiligungsfirma schon ein relativ langer Zeitraum ist. Doch dann erholten sich die Fluggesellschaften viel schneller, als es alle erwartet hatten, auch zur Überraschung von KKR. "Wir hatten einfach Glück", gesteht Johannes Huth, "und das haben wir durch den Börsengang dann rasch umgesetzt."

Viel schwerer zu erklären ist, warum der Kapitalmarkt KKR den Kauf von MTU refinanzierte - denn die Firma stand beim Börsengang nicht grundlegend besser da als zum Zeitpunkt der Übernahme von DaimlerChrysler. "Wir haben das Umlaufvermögen gewaltig verbessert und die durchschnittlichen Lagerzeiten der Vorräte verkürzt", berichtet Johannes Huth, der bis heute Aufsichtsratschef von MTU ist, "wir haben eine nicht-profitable Tochter verkauft und die Situation bei MTU in Kanada verbessert."

Gleich nach seinem Einstieg halbierte KKR die MTU-Geschäftsleitung auf zunächst drei Personen und reduzierte ebenso mitleidlos die Zahl der leitenden Angestellten um ein Viertel, was auch als Signal an die Belegschaft gewertet wurde, dass nicht nur in den unteren Ebenen Stellen gestrichen werden. Seit dem Einstieg der Amerikaner sank die Zahl der Beschäftigten um rund 800 auf 6700 Mitarbeiter, davon arbeiten 4600 in München. Aber der Abbau sei zu großen Teilen schon zu Zeiten von DaimlerChrysler eingeleitet worden, sagt Betriebsratschef Josef Hillreiner, "man kann KKR ernsthaft nicht vorwerfen, sie hätten hier Kahlschlag betrieben."

All das kann man interpretieren als die erstaunlich moderate Geschäftspolitik eines Finanzinvestors. Aber ebenso gut kann man daraus den Schluss ziehen, dass MTU zum Zeitpunkt der Übernahme schon so gut aufgestellt war, dass KKR in den knapp zwei Jahren seines Engagements nichts Grundlegendes mehr ändern musste, sondern nur noch hier und da Geschäftsprozesse beschleunigen und Strukturen verschlanken. Zugespitzt könnte man sagen, dass KKR nur zu warten brauchte, bis sich die zivile Luftfahrt wieder erholen würde.

Das jetzt von der Geschäftsleitung gefeierte, überdurchschnittliche Wachstum beim Umsatz (plus 12 Prozent), beim operativen Gewinn (plus 35 Prozent) und beim operativen Cashflow (plus 300 Prozent) hat seine Wurzeln in Weichenstellungen, die lange vor dem Einstieg von KKR gemacht wurden. "KKR kam in einer für einen Finanzinvestor extrem günstigen Phase", meint Aufsichtsratsmitglied Babette Haas, die in der IG-Metall-Zentrale das Ressort Betriebswirtschaft leitet. "Die Geschichte konnte für KKR fast nur gut ausgehen."

Was sich tatsächlich grundlegend und zur Überraschung des Betriebsrats positiv verändert hat, ist die Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat. Und das hat viel mit Aufsichtsratschef Johannes Huth zu tun. "Zu DaimlerChrysler-Zeiten sind viele Themen gar nicht bis in den Aufsichtsrat vorgedrungen", sagt Aufsichts- und Betriebsrat Josef Mailer, "und wenn doch, waren sie meist längst im Vorfeld besprochen." Das Gremium entsprach eher einer netten Herrenrunde, die oft nur abnickte, was andernorts längst entschieden worden war.

Heute dagegen wird das Management von der Kapitalseite viel stärker gefordert, aber auch von den Arbeitnehmer-Vertretern. Möglich ist das vor allem dank einer Aufsichtsrats-Satzung, die eine sehr umfangreiche Liste der zustimmungspflichtigen Geschäfte, von Investitionsentscheidungen über die Kreditaufnahme bis zum Verkauf von Tochterfirmen, hat. "Zu Daimler-Zeiten hätte es so eine Satzung nie und nimmer gegeben", meint Betriebsratschef Josef Hillreiner, "so viele Informationen und Transparenz waren früher undenkbar."

Auf Wunsch der Arbeitnehmerseite gibt es auch eine fünfte Aufsichtsratssitzung, in der nur über die Unternehmensstrategie gesprochen wird, und einige Gremienmitglieder bekamen Schulungen durch Wirtschaftsprüfer. "Die Mitbestimmung ist durch KKR und Johannes Huth richtig ins Rollen gekommen", meint Josef Hillreiner.

Tatsächlich redet Johannes Huth nicht so, wie man es von einem angelsächsischen Finanzinvestor erwarten würde. "Wir haben bei MTU und in anderen deutschen und österreichischen Unternehmen sehr gute Erfahrungen mit der Mitbestimmung gemacht", sagt der in London lebende Huth; vor allem "die betrieblichen Vertreter der Arbeitnehmer" sieht er im Aufsichtsrat "sehr gerne". Wenn sich Geschäftsleitung und Arbeitnehmer frühzeitig in "konsensgetriebenen Verfahren" über die wichtigen Themen verständigten, könne das nur gut sein für ein Unternehmen, vom deutschen Modell könnten andere Länder noch lernen.

Freilich, für Huth ist das eine durch und durch rationale Entscheidung: "In unserer Branche kann man heute kein Geld mehr dadurch verdienen, dass man Unternehmen billig kauft und teuer verkauft. Heute müssen wir die erworbenen Unternehmen durch Effizienzverbesserungen industriell nach vorne bringen, bevor wir sie mit Gewinn wieder abgeben können. Und solche Maßnahmen kann nicht der Vorstandsvorsitzende alleine durchziehen, die greifen nur, wenn die Mitarbeiter mitziehen."

"Ich will Johannes Huth nicht auf einen Schild heben, der verfolgt ganz klar seinen eigenen Vorteil und den von KKR", meint Betriebsrat Josef Hillreiner. Aber unter Huth gebe es kein Lagerdenken mehr im Aufsichtsrat, keine Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Spielchen. "Huth taktiert nicht, er steht zu dem, was er sagt." Er hat sogar schon Frotzeleien über Heuschrecken im Aufsichtsgremium mit Humor ertragen.

Doch trotz aller positiven Überraschungen zweifeln viele bei MTU unverändert und ganz grundsätzlich am Sinn von Finanzinvestoren, die sie für ein Unglück halten: Deren kurzfristige Profitinteressen und die langfristigen Interessen eines Industrieunternehmens und seiner Belegschaft, zumal in einer Traditionsfirma wie MTU, passten einfach nicht zusammen: "Finanzinvestoren gehen nicht durch dick und dünn mit dir, sondern sind bald wieder weg, ob nach zwei, fünf oder sieben Jahren", sagt ein Aufsichtsrat.

"Der zentrale Begriff ist Glück", meint Betriebs- und Aufsichtsrat Josef Mailer. "Wir hatten Glück, dass wir von KKR übernommen wurden und nicht von einem Wahnsinnigen." Aber dieses gute Gefühl wird getrübt von einem anderen Gefühl, das nicht wegzureden ist - vom Gefühl der Ohnmacht, letztlich ein Spielball zu sein. "Was, wenn die Luftfahrtbranche eben nicht so schnell wieder auf die Beine gekommen wäre?", fragt Mailer, "dann hätte KKR uns vielleicht an einen anderen verkauft, der uns dann noch mal verfrühstückt hätte, wie es anderen Firmen schon passiert ist. MTU wäre dann ganz schnell ausgesaugt gewesen." Genau so, wie es Franz Müntefering beschrieben hat.

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