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Susanne Wichert (li.) und Felix Groell von der IG Metall Küste. Magazin Mitbestimmung

Verhandlungen: Auf die Haltung kommt es an

Ausgabe 06/2023

Psychologie kann helfen, bei Tarifverhandlungen zu einem guten Ergebnis zu kommen. In einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt mit der IG Metall Küste wurde ein Training entwickelt, das Gewerkschaftern das nötige Mindset vermitteln soll. Von Joachim F. Tornau

Im Grunde, sagt Michel Mann, sei es wie beim Tennis: „Auch wenn ich schon gut spiele, sollte ich weiter trainieren.“ Um gut zu bleiben. Um besser zu werden. Um Neues zu lernen. Der Ökonom und Sozialpsychologe hat in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt der Leuphana Universität Lüneburg und der IG Metall Küste ein gewerkschaftliches Verhandlungstraining mitentwickelt. Die Beteiligten sind überzeugt, dass besser und erfolgreicher verhandelt, wer sich an den Erkenntnissen der Verhandlungspsychologie orientiert. „Es muss über das Technische hinausgehen“, erklärt Mann. „Wesentlich ist die Haltung, mit der ich in Verhandlungen hineingehe.“

Stefan Soost, beim IG-Metall-Bezirk Küste zuständig für Tarifrecht und Tarifpolitik, hat das gemeinsame Projekt auf gewerkschaftlicher Seite geleitet. „Obwohl Verhandlungen für unsere Arbeit so zentral sind, beruht vieles nur auf Learning by Doing oder auf der Weitergabe von Erfahrungen“, sagt er. „An einem praxiserprobten, wissenschaftlich fundierten Trainingskonzept fehlte es bisher.“ Jetzt liegt ein solches Konzept vor – für ein, wie es heißt, „Mindset-orientiertes Verhandlungstraining“.

Dahinter verbirgt sich eine Grundhaltung. „Es geht um die grundlegende Frage: Wie will ich verhandeln?“, erläutert Michel Mann, Wissenschaftler, der im Januar eine Professur an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn antritt.

Das Konzept für die gewerkschaftliche ­Verhandlungsführung trägt die Abkürzung ­UNITED. Das U steht für Unnachgiebigkeit, verstanden als Standhaftigkeit und Hartnäckigkeit beim Durchsetzen der eigenen Interessen. Das N für Nachhaltigkeit, also dafür, immer auch über die aktuelle Verhandlungssituation hinauszudenken. Das I für Integrität, gemeint sind Redlichkeit und der Verzicht auf Lüge und Täuschung.

Das T ist auf eine Besonderheit des gewerkschaftlichen Verhandelns gemünzt. Es wurde in das Mindset aufgenommen, nachdem das Wissenschaftlerteam Experteninterviews mit 27 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern geführt hatte, und steht für Teamfokussierung. „Das Verhandeln nach außen ist genauso wichtig wie das Verhandeln nach innen“, sagt Mann. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen gelte es, sich im Verhandlungsteam abzustimmen und die Rollen klar zu verteilen. Zum anderen brauche es die Rückkopplung an das viel größere Team, die Gewerkschaftsmitglieder und Belegschaften, für die ja verhandelt wird. „Ich muss wissen, was sie wollen.“

Bleibt noch das E für Empathie. Ein Begriff, den Michel Mann aber nicht als Altruismus oder Blauäugigkeit missverstanden wissen will. Es gehe darum, Augenhöhe mit dem Gegenüber herzustellen, indem man dessen Interessen und Motive versteht. Auch diesen Aspekt brachten die gewerkschaftlichen Verhandler in den Interviews ein. Das D schließlich steht für Durchdachtheit: Die verschiedenen Verhandlungsgegenstände müssen vor Beginn der Gespräche genau analysiert und priorisiert werden.

Anfangs war die Skepsis spürbar

Mit dem UNITED-Konzept als Dreh- und Angelpunkt konzipierten die Wissenschaftler ein Verhandlungstraining, das sie im vergangenen Jahr mit rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der IG Metall Küste erprobten. Dafür gab es, nach anfangs durchaus spürbarer Skepsis, am Ende viel Zustimmung. Susanne Wichert, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall in Bremen und Teilnehmerin des Pilottrainings, formuliert es so: „Ich glaube, wir haben es den Trainern manchmal etwas schwer gemacht.“

In praktischen Übungen wurden zwar verschiedene Verhandlungen simuliert, von Koalitionsgesprächen über den Kauf einer Wohnung bis zur Auswahl von Fußballspielern, aber nichts kam aus der Welt der Gewerkschaften. Was zunächst irritierend wirkte, überzeugte bald. Nichts lenkte so von der Auseinandersetzung mit den Verhandlungsprinzipien und psychologischen Prozessen ab.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlebten zum Beispiel, wie stark der Fortgang von Verhandlungen davon beeinflusst wird, welche Zahl als Erstes im Raum steht – der sogenannte Ankereffekt. Oder wie wichtig es ist, sich vor Verhandlungen ein klares Ziel zu setzen und nicht nur Prioritäten und Limits. „Dann war das Ergebnis am Ende immer besser“, berichtet Wichert. „Das war das, was mich am meisten überrascht hat.“ Die 44-Jährige arbeitet seit 2015 für die IG Metall, Verhandlungen sind für sie nichts Neues. „Vieles hat man unbewusst schon gemacht“, sagt sie. Jetzt aber verstehe sie auch die Psychologie dahinter. „Das hat dazu geführt, dass ich strategischer und mutiger in Verhandlungen gehe“, sagt Wichert.

Wichtige Lerneffekte

Für ihren Kollegen Felix Groell gehörte das Verhandlungstraining dagegen zum Onboarding bei der Gewerkschaft: Der Politikwissenschaftler und ehemalige Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung hatte erst kurz zuvor bei der IG Metall in Bremerhaven angefangen. „Das hat perfekt gepasst“, sagt der 31-Jährige. Einer seiner wichtigsten Lerneffekte: mit genau definierten Positionen, Prioritäten und Interessen in Verhandlungen zu gehen – und alles sauber auseinanderzuhalten. Als in einem Betrieb bei Bremerhaven kürzlich Haustarifverhandlungen anstanden, hat Groell mit der Belegschaft deshalb erst einmal über diese Punkte diskutiert.

Die Interessen seien das übergeordnete Ziel. Etwa der Erhalt der Kaufkraft. Oder mehr Freizeit für die Beschäftigten. „Die Position ist das, was klassischerweise auf unseren Flugblättern steht“, erklärt Groell. Bei den Prioritäten komme es darauf an, sich klarzumachen, wo überhaupt Verhandlungsspielräume sein könnten: „Entgegen landläufigen Vorurteilen funktionieren Verhandlungen ja nicht, indem man sich in der Mitte trifft.“


 

Wer detailliertere Informationen über das Mindset-orientierte Verhandlungstraining haben will, kann sich an Stefan Soost bei der IG Metall Küste wenden: stefan.soost[at]igmetall.de

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