Gleichstellung: Gerechtigkeit auf dem Gehaltszettel
„Equal Pay“ auch in der Transformation: Von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Projekte bei den Berliner Wasserbetrieben und der Bundesdruckerei verhindern ungewollte Diskriminierung beim Entgelt. Von Joachim F. Tornau
Aus den Worten von Jan Pedd spricht Stolz. „Wir haben bei uns den umfassendsten Check der Entgeltgleichheit in Deutschland durchgeführt“, sagt der Diversity-Beauftragte der Berliner Wasserbetriebe. Seit 15 Jahren gibt es ein systematisches Verfahren, um die Praxis der Bezahlung von Männern und Frauen in einem Unternehmen zu überprüfen. Es nennt sich Entgeltgleichheits-Check (eg-check.de). Die Sozialwissenschaftlerinnen Andrea Jochmann-Döll und Karin Tondorf haben ihn entwickelt. Er ist aus einem Projekt der Hans-Böckler-Stiftung entstanden.
Der kommunale Ver- und Entsorger aus der Hauptstadt hat sich diesem Check bereits zum zweiten Mal gestellt – und dabei acht Entgeltbestandteile auf mögliche Diskriminierungen untersucht. „Üblich sind zwei oder drei Entgeltbestandteile“, sagt Jochmann-Döll. Doch es lohne sich, gerade bei Zuschlägen wie Leistungsprämien oder Erschwerniszulagen genauer hinzuschauen. „Darin kann eine Menge Potenzial für Willkür stecken.“
Bei den Berliner Wasserbetrieben hat Jochmann-Döll es mit einer 29-köpfigen Projektgruppe zu tun – auch das ein Rekord. Beteiligt waren unter anderem Personalrat, Frauenbeauftragte und Schwerbehindertenvertretung ebenso wie Führungskräfte und Personalabteilung. Gefördert wurde der siebenmonatige Prozess über die Förderlinie Transformation der Hans-Böckler-Stiftung.
Wie jedes Unternehmen verändern sich auch die Berliner Wasserbetriebe durch Digitalisierung und Dekarbonisierung. Personalvorständin Kerstin Oster ist überzeugt: Dieser Wandel kann nur gelingen, wenn ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Fairness und Transparenz gegenüber den Beschäftigten seien unverzichtbar. „Transformation beginnt nicht mit Technik, sondern mit Haltung“, sagt die Arbeitsdirektorin, die auch dem Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung angehört. Deshalb hat Oster die neuerliche Prüfung der Entgeltgleichheit angestoßen. „Gleichstellung darf kein Lippenbekenntnis sein“, sagt sie. „Sie muss spürbar sein, für alle.“
Ich habe gelernt: Entgeltgerechtigkeit ist ein Prozess und niemals abgeschlossen.“
Beim eg-check geht es vor allem um das Aufspüren versteckter Diskriminierungen. Geprüft wird, wie Ermessensspielräume bei der Eingruppierung und bei der Zahlung von Zulagen genutzt werden: Wird neben der fachlichen Qualifikation auch zum Beispiel Sozialkompetenz angemessen gewürdigt? Zählen Erfahrung, Leistung oder Verantwortung immer gleich viel? Gibt es Erschwerniszulagen nur bei körperlich anstrengender (und zumeist männlich dominierter) Arbeit oder auch für psychosoziale Belastungen, etwa im Kundenservice, wo mehr Frauen tätig sind?
Das dreistufige Verfahren beinhaltet die Auswertung anonymisierter Entgeltdaten, die kritische Überprüfung von tarifvertraglichen und unternehmensinternen Regelungen sowie „Paarvergleiche“, bei denen jeweils eine männlich und eine weiblich dominierte Tätigkeit gegenübergestellt werden. Bilanz bei den Berliner Wasserbetrieben: „Wir haben keine unmittelbaren Diskriminierungen festgestellt“, sagt Jochmann-Döll. Aber das bedeutet nicht, dass es nicht noch besser werden könnte.
Fünf Maßnahmen wurden am Ende beschlossen – unter anderem eine tiefere geschlechtersensible Analyse der Leistungsvergütung und eine stärkere Sensibilisierung von Führungskräften. „Ich habe gelernt: Entgeltgerechtigkeit ist ein Prozess und niemals abgeschlossen“, sagt Diversity-Beauftragter Pedd.
Von den gut 4800 Beschäftigten der Berliner Wasserbetriebe ist knapp ein Drittel weiblich. In den technischen Berufen ist der Anteil geringer. Auf Führungspositionen im Unternehmen gibt es dagegen mehr Frauen als Männer.
Nicht nur bei den Berliner Wasserbetrieben wird ungewollte Ungleichbehandlung durch vage Abgrenzungen zwischen den tarifvertraglichen Entgeltgruppen begünstigt. Wie ein Entgeltsystem aussehen kann, das frei ist von Diskriminierungen nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen im Unternehmen, zeigt ein weiteres Projekt – diesmal bei der Bundesdruckerei. Es wurde durch die Förderlinie Transformation der Hans-Böckler-Stiftung ermöglicht und berücksichtigt auch veränderte Jobanforderungen durch die Transformation.
Bei der Bundesdruckerei entwickelte Projektleiterin Jochmann-Döll auf Initiative der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und zusammen mit der betrieblichen Tarifkommission ein komplexes Arbeitsbewertungsverfahren. Es könnte als Grundlage dienen für einen neuen Rahmentarifvertrag für das digitale Zeitalter.
Verdi-Sekretär Oliver Hauser ist für das Staatsunternehmen zuständig. Nicht nur er findet den Namen „Bundesdruckerei“ mittlerweile ein wenig irreführend. Statt wie früher vor allem Banknoten oder Ausweise zu drucken, steht heute die Entwicklung sicherer IT-Lösungen im Vordergrund. „Die zum Teil mehr als 40 Jahre alten Rahmentarifverträge für die Druckindustrie passen da nicht mehr“, sagt Hauser. Einige Entgeltgruppen würden gar nicht mehr genutzt, im schnell wachsenden Angestelltenbereich herrsche ein Wildwuchs an individuellen Zulagen. „In der Belegschaft wird das als Willkür wahrgenommen.“ Mit dem neuen Arbeitsbewertungsverfahren soll sich das ändern. Es ist einheitlich für alle Beschäftigten.
Dazu wurden 72 repräsentativ ausgewählte Beschäftigte zu den Anforderungen ihrer Arbeit und den Veränderungen durch die Digitalisierung befragt. „Als Grundlage haben wir die Anforderungsarten genommen, die beim Paarvergleich aus dem eg-check berücksichtigt werden“, sagt Projektleiterin Jochmann-Döll. Diesen bewährten Katalog, aufgeteilt in die vier Bereiche Wissen und Können, psychosoziale Anforderungen, Verantwortung und physische Belastungen, ergänzte die Projektgruppe um spezifische Anforderungen bei der Bundesdruckerei wie die Belastung durch Sicherheitsvorkehrungen.
All das mündete in ein Arbeitsbewertungssystem mit insgesamt 26 Kriterien in den vier Bereichen. Je nach Ausprägung und Gewichtung gibt es eine bestimmte Punktzahl. „Systematisch, nachvollziehbar, transparent und gerecht“ nennt das Jochmann-Döll. Was noch fehlt, ist die Übersetzung in Entgeltgruppen.
Anke Thorein von der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei Verdi bedauert, dass der Arbeitgeber sich bislang nicht beteiligte: „Wir hatten gehofft, dass er bei unserem Projekt mitmacht. Leider hat er sich dagegen entschieden, obwohl er grundsätzlich auch nach einem passenden neuen System sucht.“ Es muss also verhandelt werden. Die Tarifkommission der Bundesdruckerei ist dafür jetzt bestens gerüstet.
Bei der Bundesdruckerei arbeiten heute rund 4000 Beschäftigte. Viele sind in der IT oder bei Innovation und Technology tätig. Neben Ausweisdokumenten stellt die Bundesdruckerei Banknoten, Postwertzeichen und elektronische Sicherheitsanwendungen her. Mehr als 3000 Beschäftigte sind Angestellte, knapp 1000 sind Arbeiter.
Der von der Hans-Böckler-Stiftung entwickelte Entgeltgleichheits-Check wird von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes angeboten.
Mit der 2022 aufgelegten Förderlinie Transformation unterstützt die Hans-Böckler-Stiftung die Gestaltung des sozial-ökologischen Wandels. Gefördert wird die Suche nach Lösungen für konkrete betriebliche oder regionale Herausforderungen – schnell, flexibel und praxisorientiert. Mehr als 40 Projekte wurden bereits finanziert.