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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Entlassungen für höhere Profite: Die Mehrheit findet das ungerecht

Ausgabe 01/2008

Wenn es um die Sicherheit von Arbeitsplätzen oder Löhnen geht, besteht in Deutschland nach wie vor ein Grundkonsens: Entlassungen und Gehaltskürzungen werden überwiegend als ungerecht empfunden. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage.

Jahrelang haben deutsche Großunternehmen ihre Gewinne immer weiter steigern können, vielfach auf Kosten der Arbeitnehmer. 2004 haben beispielsweise die 30 größten Konzerne ihre Erträge verdoppelt - und zeitgleich in Deutschland knapp 35.000 Stellen abgebaut. Den Gerechtigkeitsvorstellungen der meisten Bundesbürger entspricht dies nicht, so ein Kernergebnis des Projekts "Arbeit und Fairness". Forscher der Universitäten Jena und Hannover und des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung interviewten 3.000 Personen, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung. Sie fragten, unter welchen Bedingungen diese Entlassungen und Lohnkürzungen als gerecht oder ungerecht empfinden.

Das Ergebnis ist eine klare Absage an die Verfechter des von Arbeitsmarktforschern so betitelten "neuen Arbeitsvertrags". Dieser zeichnet sich durch individuelle Eigenverantwortung für den Erhalt und Aufbau von Beschäftigungsfähigkeit in einer unsicheren Arbeitswelt aus. Beide Seiten können ihn jederzeit kündigen, wenn es einer Partei zum Vorteil gereicht. Dieses Modell findet in der Bevölkerung jedoch kaum Resonanz.

Die Mehrheit hat eine andere Vorstellung von Gerechtigkeit in der Arbeitswelt. Ihr liegt der so genannte"alte Arbeitsvertrag" zugrunde: Dieser ist durch Arbeitsplatzsicherheit, interne Aufstiege, Spezialisierung und Loyalität gekennzeichnet. Die Beschäftigten schätzen gegenseitige Verlässlichkeit. Sie bringen ihre Arbeitskraft und Motivation ein und erwarten im Gegenzug, dass der Arbeitgeber ihnen nicht nur Löhne zahlt, sondern sie auch vor Marktrisiken wie dem Verlust des Arbeitsplatzes schützt.

Da in einem Arbeitsvertrag die jeweilige Leistung nicht in allen Einzelheiten schriftlich - explizit - festgelegt werden kann, spricht man auch von impliziten oder psychologischen Verträgen. Diese sind stark von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt: Fühlen sich Beschäftigte von Vorgesetzten fair behandelt, reagieren sie positiv mit hoher Arbeitsleistung. Bricht der Arbeitgeber aber den impliziten Vertrag, etwa durch eine Kündigung oder Lohnkürzung, muss er mit negativen Reaktionen rechnen. Dies zeigen auch die Umfrageergebnisse. Entlassungen und Lohnkürzungen würden in der deutschen Bevölkerung umso eher akzeptiert, "je stärker sie Reziprozitäts- und Gerechtigkeitsgesichtspunkte berücksichtigen", heißt es in der Studie. Entlassungen gelten dann als gerechter,

=> wenn sie mit Abfindungen und professioneller Hilfe bei der beruflichen Neuorientierung verknüpft sind;
=> wenn das Management sich erkennbar bemüht hat, andere Optionen auszuschöpfen, um Kündigungen zu vermeiden; 
=> wenn die Ursache für Kündigungen etwa in einem Absatzeinbruch liegt, also außerhalb des Unternehmens; 
=> wenn das Management auf eine Erfolgsprämie verzichtet;
=> wenn die Belegschaft, etwa über den Betriebsrat, in den Entscheidungsprozess eingeschaltet ist.

Wie Gerechtigkeit wahrgenommen wird, hängt aber auch von individuellen und betrieblichen Faktoren ab. Die Umfrage zeigt drei wichtige Zusammenhänge auf: 

=> Gewerkschaftsmitglieder sind deutlich weniger als andere Befragte bereit, Entlassungen zu akzeptieren.
=> Kündigungen und Lohnkürzungen stoßen in kleineren Firmen eher auf Akzeptanz als in größeren Unternehmen.
=> Wer seine eigenen Beschäftigungschancen als günstig einschätzt, nimmt Entlassungen umso eher als gerecht wahr.

Der Bruch eines psychologischen Arbeitsvertrags wirkt sich aber nicht nur auf die direkt Betroffenen aus, sondern auch auf die diejenigen, die im Betrieb bleiben. "Wenn Entlassungen und Lohnsenkungen vermeidbar sind sowie soziale und Verfahrenskriterien verletzt werden, dann verschlechtern sich Kooperation und Arbeitsmotivation und die Bereitschaft zur Eigenkündigung nimmt zu", schreiben die Autoren. Eine weitere interessante Erkenntnis der Studie: Allein mit der Existenz der Vorschriften zum  Kündigungsschutz verknüpfen sich Gerechtigkeitserwartungen: Das Gesetz "wirkt wie ein staatliches Fairnessversprechen".

  • Entlassungen und Lohnkürzungen werden in der deutschen Bevölkerung umso eher akzeptiert, je stärker sie als gerecht empfunden werden, ergab die Befragung. Zur Grafik

Olaf Struck, Gesine Stephan u.a.: Arbeit und Gerechtigkeit - Entlassungen und Lohnkürzungen im Urteil der Bevölkerung, VS Verlag, Wiesbaden 2006

mehr Infos zum Projekt Arbeit und Fairness

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