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Blick über Publikum und Bühne auf dem IMK Forum 2025 Service aktuell

Tagungsbericht zum IMK-Forum in Berlin: Mehr europäische Integration wagen

Wie sichern wir unseren Wohlstand? Diese Frage debattierte das diesjährige IMK-Forum in Berlin. Was es braucht: Intelligente, vielschichtige Industriepolitik – und ein Europa, das zusammenhält.

[27.05.2025]

Von Jeannette Goddar und Fabienne Melzer

Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass die Schuldenbremse heute Geschichte ist? IMK-Direktor Sebastian Dullien jedenfalls nicht. In seiner Eröffnung des IMK-Forums Mitte Mai in Berlin erinnerte er an die Diskussion im vergangenen Jahr. Auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, die Entwicklung zeige immerhin: „Manchmal gibt es in Deutschland wirtschaftlichen Fortschritt und Strukturreformen doch im Rekordtempo.“ Weniger überrascht von der politischen Kehrtwende zeigte sich die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Sie erinnerte daran, dass gerade Gewerkschaften trotz Gegenwind hartnäckig an dem Thema festgehalten hatten. „Es ist auch unser Erfolg, dass sich diese Finanzblockade aufgelöst hat“, sagte Fahimi. 

Die erfolgreich gelöste Schuldenbremse leitete dann auch in das Thema des diesjährigen IMK-Forums über, das die Frage stellte: „Wie sichern wir unseren Wohlstand?“ In Zeiten, in denen die USA mit Zollandrohungen die Wirtschaft weltweit verunsichern und China zunehmend auf strategische Unabhängigkeit setze, seien die zusätzlichen Finanzmittel für den Standort Deutschland wichtig, sagte Fahimi. Es käme aber jetzt darauf an, die Gelder auch sinnvoll zu nutzen und sie in Infrastruktur, Wohnungsbau, Krankenhäuser, Kinderbetreuung und vor allem in Bildung und Forschung zu stecken. Wenn Industrien mit öffentlichen Geldern gefördert würden, müsste dies auch an Bedingungen wie etwa Tarifbindung geknüpft werden.

Absurde Diskussion um Arbeitszeiten 

„Die Zeitenwende stellt das bisherige deutsche Wachstumsmodell infrage“, stellte Dullien fest. Denn das beruhte lange auf Export - China und die USA zählten zu den wichtigsten Absatzmärkten. Während die USA den Marktzugang mit Zöllen erschweren, schrumpft in China die Import- und Exportquote bereits seit 2010 kontinuierlich. Angesichts dieser geopolitischen Verschiebungen stellte IMK-Direktor Dullien zunächst klar, was keine Antworten auf die Frage nach der Sicherung des Wohlstands seien: „Ein bisschen Steuerentlastung reicht auf jeden Fall nicht. Und angesichts der weltpolitischen Lage erscheint die Diskussion um Arbeitszeiten und Feiertage nur noch absurd.“ Ein Argument, das bis zu Bundeskanzler Friedrich Merz nicht vordrang. Er postulierte zeitgleich vor dem CDU-Wirtschaftsrat: „Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand nicht erhalten können.“ 

Blick über Publikum und Bühne auf dem IMK Forum 2025

Der IMK-Direktor empfiehlt der Bundesregierung ein kreditfinanziertes öffentliches Investitionsprogramm. Dies stabilisiere kurzfristig die Nachfrage, verbessere die Produktivität und rege private Investitionen an. Außerdem brauche es eine gezielte Industriepolitik für Schlüsselbranchen, eine Verlängerung der Strompreisbremse und einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und Netze. 

Kritisch sieht der IMK-Direktor schuldenfinanzierte Rüstungsausgaben ohne Obergrenze, da sie rein konsumtiv seien und in Zukunft keine höheren Einnahmen generierten. Zwar sei eine höhere Schuldenaufnahme verkraftbar, es fehle aber möglicherweise der Spielraum für andere wichtige gesellschaftliche Ausgaben. Deshalb empfiehlt Dullien, auch die Einnahmenseite zu verbessern und etwa über eine höhere Besteuerung von Vermögen nachzudenken.

Verteidigungsgüter nicht nur national beschaffen 

Guntram Wolff von der Université Libre de Bruxelles sowie Senior Fellow bei Bruegel und am Kieler Institut für Weltwirtschaft kritisierte bei den Rüstungsausgaben nicht nur die Finanzierung durch Kredite. Zwar müsse dringend mehr produziert werden, um den großen Rückstand auf die USA und Russland aufzuholen. Wie groß dieser ist, zeigte er etwa mit diesen Zahlen: Den 400 Panzern, die Russland derzeit pro Quartal produziere, stehen 313 Panzer im Besitz der Bundeswehr gegenüber. Zugleich gäbe es in Sachen Wettbewerb bei den Ausgaben allerdings viel Luft nach oben. Mehr als in jedem anderen Bereich würden Verteidigungsgüter in erster Linie national beschafft: „Das birgt die Gefahr, dass das Geld vor allem in Rendite und Profite von Monopolkonzernen geht“, sagte Wolff. Allerorten ähnliche Technologien, etwa Raketenwerfer, zu entwickeln sei in einem vereinten Europa nicht nötig. Komplexe Systeme wie Spionagesatelliten in jedem europäischen Land vorzuhalten, sei zudem unrealistisch. Wolffs Plädoyer: Skalierungseffekte schaffen, und in der Beschaffung „mehr europäische Integration wagen!“

Wirtschaftswissenschaftlerin Dalia Marin sprach dem Verteidigungssektor das Potenzial zu, in einer Welt neuer geoökonomischer Herausforderungen ein Motor der Innovation zu werden. Sie forderte zudem, den Wettbewerb als Chance zu begreifen und von China zu lernen. So solle Europa sich sowohl Chinas vertikale Industriepolitik – die vor allem bestimmte Sektoren unterstützt – zum Vorbild nehmen als auch verstärkt auf Technologietransfer setzen. Als ein Beispiel für letztere nannte die an der TU München lehrende Wissenschaftlerin die verstärkte Gründung von Joint Ventures europäischer und chinesischer Unternehmen. Diese sollten mit Bedingungen verknüpft werden: „Die Europäische Union sollte auf eine Beteiligung von 50 Prozent hiesiger Unternehmen bestehen.“ Auch sollten in den Firmen chinesische Fachkräfte arbeiten und europäische Kolleginnen und Kollegen anlernen. 

Mit der Idee, von China zu lernen und Joint-Ventures zu gründen, sympathisiert auch Julia Eder von der Arbeiterkammer Wien und der Johannes Kepler Universität Linz. „Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass die EU sich eingesteht, dass China auf manchen Gebieten inzwischen besser ist“, sagte Eder. Zweischneidig sieht sie die enormen Investitionen des Nachbarlands Deutschlands. Einerseits sei es wegen der vielen Lieferketten auch für Österreich gut, wenn in Deutschland investiert werde. Andererseits warnte sie vor der Gefahr einer sich verstärkenden ungleichen Entwicklung in Europa. Schon die Austeritätspolitik während der Eurokrise habe die Volkswirtschaften der Südeuropäer geschwächt. Auch diese Märkte müssten wieder gestärkt werden. 

Blick über Publikum und Bühne auf dem IMK Forum 2025

Die Vorteile Europas 

Eine gute Prise Optimismus streute der Niederländer Sander Tordoir vom Centre for European Reform in London in die Diskussion. „Europa hat gegenüber den USA zwei große Vorteile: eine starke Industrie und großen fiskalischen Spielraum.“ IMK-Direktor Dullien fügte diesen Vorteilen noch die Rechtstaatlichkeit in Europa hinzu: „In den USA entscheidet die Politik derzeit sehr erratisch, welche Unternehmen gefördert werden.“ 

Tordoir wies darauf hin, dass die Industrie in den USA viel zu klein sei, um alle Industriegüter selbst herzustellen. Big Tech bringe zwar große Gewinne, aber nur wenig Arbeitsplätze. Er plädierte für mehr Selbstbewusstsein: „Mit 450 Millionen Menschen ist Europa ein großer, reicher Markt.“ Er sprach sich für eine gut koordinierte europäische Politik aus, etwa für eine gemeinsame deutsch-französische E-Auto-Prämie: Wer sich ein in einem der Länder produziertes Auto zulegt, sollte beim Kauf unterstützt werden. Er verwies zudem auf das Potenzial, das gerade die deutsche Wirtschaft für die ökologische Transformation besitze: „Der Export von Klimatechnik trägt in Deutschland vier Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.“

Fokus zu Dienstleistungen verschieben 

Der aus den USA zugeschaltete Ökonom Dani Rodrik misst der sozial-ökologischen Transformation zwar noch eine wichtige Rolle bei. Sie werde in den USA und Europa weiterhin gute Arbeit in der Produktion schaffen. Allerdings bei weitem nicht genug, um den massenhaften Verlust von Industriearbeitsplätzen auszugleichen. Der in Harvard/Massachusetts lehrende Ökonom plädierte dafür, den Fokus zu verschieben. „Die Zukunft industriepolitischer Maßnahmen für gute Arbeit liegt im Dienstleistungssektor.“ Insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Pflege und häusliche Unterstützung rechnet Rodrik mit Jobzuwächsen. Dabei sieht er Industriepolitik als kooperativen Ansatz, bei dem Staat und Privatwirtschaft gemeinsam Hindernisse identifizieren und überwinden sollten. Wichtig seien Anpassungsfähigkeit, strategischer Dialog mit Unternehmen und maßgeschneiderte öffentliche Güter wie spezifische Aus- und Weiterbildung oder Infrastruktur. 

Seine These blieb auf dem IMK-Forum nicht unwidersprochen. So wies etwa Julia Eder darauf hin, dass der Dienstleistungssektor nicht losgelöst von der Industrie betrachtet werden könne, da viele Dienstleistungen für die Produktion und produzierte Waren erbracht würden. 

Auch Yasmin Fahimi sieht die Lösung in einer Neuausrichtung der Wirtschaft. „Dabei dürfen wir den Pfad des klimafreundlichen Umbaus unserer Wirtschaft jedoch nicht verlassen“, betonte die DGB-Vorsitzende. Eine Absage erteilte Fahimi dem Ausspielen von Ausgaben für Soziales und sozialer Rechte gegen die Stabilisierung der Wirtschaft. „Wir bekommen keine resilienteren Lieferketten, wenn uns egal ist, wie mit Menschenrechten umgegangen wird“, sagte Fahimi. 

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