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Besser geht's mit.bestimmt! 2025: Europäisch kämpfen für die Zukunft der Industrie

Bei einer Tagung von IGBCE und Hans-Böckler-Stiftung in Brüssel diskutierten Mitglieder von europäischen Betriebsräten mit Vertreter*innen von EU-Kommission und EU-Parlament. Die Botschaft: Es muss dringend mehr getan werden, um Industriestandorte und Arbeitsplätze zu erhalten.

[21.05.2025]

Von Joachim F. Tornau

Der Einblick in den Maschinenraum der EU gelang fast in Echtzeit. Mehr als 80 Mitglieder von europäischen Betriebsräten waren der Einladung zur diesjährigen Kooperationstagung „Besser geht’s mitbestimmt!“ von IGBCE und Hans-Böckler-Stiftung nach Brüssel gefolgt – auch um zu erfahren, wie es um die geplante Neufassung der EU-Richtlinie für europäische Betriebsräte (EBR) steht. Doch Stefan Gran, der Experte des Europäischen Gewerkschaftsbunds für dieses Thema, verspätete sich: Er musste noch zu einer Vorbesprechung für die dritte Verhandlungsrunde im Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament, die in der kommenden Woche stattfinden soll. Dafür brachte der Gewerkschafter gute Nachrichten mit: „Ich bin verhalten optimistisch, dass wir die Verhandlungen abschließen können.“

Und er kündigte substanzielle Verbesserungen an. Gültigkeit der Richtlinie auch für ältere Gremien, die von Unternehmen vor 1996 freiwillig eingerichtet wurden. Anspruch auf mindestens zwei EBR-Sitzungen pro Jahr und auf Übernahme von Anwaltskosten. Klarere Definitionen, was transnationale Angelegenheiten sind, die die Zuständigkeit des EBR begründen, und wann die Interessenvertretung unter Hinweis auf „Vertraulichkeit“ vom Arbeitgeber zum Schweigen verdonnert werden kann. All das werde wohl kommen. „Der große Knackpunkt ist noch die Frage der Sanktionen“, sagte Gran. Doch klar sei: Es brauche eine Regelung. Verstöße gegen das Recht auf Information und Konsultation dürften vom Unternehmen künftig nicht mehr aus der Portokasse bezahlt werden können. Sonst werde es keine Einigung geben.

Politische Verwerfungen wirken bis in die Betriebe

Die Revision der EBR-Richtlinie ist nicht das einzige Anliegen, das die Beschäftigtenvertreter*innen mit Blick auf die EU umtreibt. Sie erleben in ihren Betrieben tagtäglich, wie sich die wirtschaftlichen Herausforderungen und politischen Verwerfungen unserer Tage auswirken, von Transformation und Dekarbonisierung über den ruinösen Preiskampf mit China und den USA bis zu Rechtsruck und zunehmendem Vertrauensverlust in die Demokratie. Industriestandorte und Arbeitsplätze sind so gefährdet wie lange nicht. Ein Teilnehmer fasste es knapp zusammen: „Bei uns brennt die Hütte.“  

Es war ein zentrales Ziel der Tagung, Verantwortungsträger*innen in Brüssel den Ernst der Lage zu vermitteln. Dazu sagte Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung: „Wenn Brüssel nicht zu uns kommt in die Unternehmen und Betriebe, dann bringen wir die Unternehmen und Betriebe nach Brüssel.“

Für die EU-Kommission stellte sich Carsten Schierenbeck, Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW), der Diskussion. „Wir schaffen die Dekarbonisierung nicht ohne Wettbewerbsfähigkeit“, sagte Schierenbeck und stellte den „Clean Industrial Deal“ vor, mit dem die Kommission beide Ziele vereinbaren will, der den Fokus, anders als noch beim „Green Deal“, auf Wettbewerbsfähigkeit legt. „Wir wollen die Ziele im Bereich Umwelt nicht zurückdrehen, aber Belastungen gerade für kleine und mittlere Unternehmen verringern.“ Um Europa als Industriestandort zu stärken, hat sich die Kommission unter anderem vorgenommen, für bezahlbare Energie zu sorgen, Leitmärkte für grüne Technologien zu schaffen, die Vergabe öffentlicher Aufträge auch an „Made in Europe“ zu knüpfen und einen gemeinsamen Einkauf kritischer Rohstoffe zu organisieren.

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Wasserstoffwirtschaft dringend aufbauen

Das sind Schritte in die richtige Richtung, doch sie kommen spät und reichen nicht aus, wie die Diskussionen zeigten. Gefordert wurde mehr und schnellere Förderung, etwa als Anschubfinanzierung für den Aufbau der dringend benötigten Wasserstoffwirtschaft oder um Europa – im Sinne einer „industriellen Daseinsvorsorge“, wie es IGBCE-Vorstand Francesco Grioli ausdrückte – unabhängig zu machen von Wirkstofflieferungen aus China.

Andreas Ogrinz nahm als Vertreter des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) an der Tagung teil und zeigte sich ebenfalls verhalten angesichts der Ankündigungen. „Der Kurswechsel der EU löst bei mir keinen Sturm der Begeisterung aus, aber ein laues Lüftchen der Erleichterung“, sagte Ogrinz. Er hätte gerne noch mehr Deregulierung als das, was sich die Kommission vorgenommen hat. Die Gewerkschaften sehen das größte Defizit dagegen ganz woanders: Maßnahmen zur Stärkung der Mitbestimmung, zum Schutz vor einer weiteren Aushöhlung der Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichtsräten kommen in den Plänen der Kommission nicht vor.  

Im Gegenteil: Die geplante Schaffung eines neuen „gesellschaftsrechtlichen Regimes“ mit europaweit einheitlichen Regelungen auch im Arbeitsrecht könnte zu Lasten von Beschäftigtenrechten gehen, wie I.M.U.-Expertin Maxi Leuchters erklärte. IGBCE-Vorstand Grioli betonte: „Die Transformation ist die größte Restrukturierung seit der Industrialisierung. Das kriegen wir nur mit den Menschen, mit Mitbestimmung hin.“ 

Soziale Fragen ins Zentrum der Transformation rücken

Bei den EU-Abgeordneten, die sich bei der Konferenz mit den Anliegen der EBR-Mitglieder auseinandersetzten, rannte er damit offene Türen ein. Rasmus Andresen (Grüne) sagte bei einem Besuch der Teilnehmenden im EU-Parlament: „Die sozialen Fragen müssen dringend viel stärker ins Zentrum der Transformation gerückt werden.“ Später stieß seine Fraktionskollegin Katrin Langensiepen beim „parlamentarischen Abend“ ins selbe Horn.  

Der CDU-Abgeordnete Dennis Radtke, Bundesvorsitzender der CDA, warnte davor, dass die Schlagworte „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Bürokratieabbau“ auch gegen die Mitbestimmung ins Feld geführt werden könnten. „Diese Tricks kennen wir ja, wir müssen aufpassen, dass sie nicht erfolgreich sind.“ Und Gaby Bischoff (SPD) machte deutlich, wie sehr der Rechtsruck im EU-Parlament nach der jüngsten Wahl einem Fortschritt bei Beschäftigtenrechten entgegensteht: „Wir alle müssen Druck machen, wenn jetzt noch etwas Substanzielles für die Unternehmensmitbestimmung, für gute Arbeit, für die Regelung von KI am Arbeitsplatz erreicht werden soll.“  

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Nachhaltigkeitsberichterstattung ist eine Chance

Zu den Maßnahmen, mit denen die EU-Kommission Unternehmen entlasten will, gehört neben der Aufweichung der Lieferkettenrichtlinie auch eine erheblich eingeschränkte Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Aber ist es wirklich nur aufwendig bedrucktes Papier, wenn ein Unternehmen zu ökologischen und sozialen Fragen Rechenschaft ablegen muss? Auch das wurde kontrovers debattiert. Arbeitgebervertreter Ogrinz zweifelte wie manches EBR-Mitglied am Sinn der umfassenden Datenerfassung. I.M.U.-Expertin Leuchters widersprach dem energisch. „Nachhaltigkeitsberichterstattung ist eine Chance“, sagte sie. Für Betriebsräte, die auf diesem Weg etwa den Gender Pay Gap im Unternehmen oder die Tariflosigkeit einer Tochterfirma thematisieren können. Aber auch für die Zukunft des Unternehmens. „Der Klimawandel hört ja nicht auf, wenn sich die politischen Prioritäten ändern.“

Wie IGBCE-Gewerkschafterin Sophia Schönborn erläuterte, steht die Nachhaltigkeitsberichterstattung in enger Verbindung zur Unternehmensstrategie. Klar könne ein Unternehmen à la Donald Trumps „Drill, baby, drill“ weiter voll auf fossile Energien setzen. „Dann hat man vielleicht noch ein paar Jahre eine Cash Cow – aber danach ist es vorbei.“ Und zwar ein für alle mal. BASF-Betriebsratsvorsitzender Sinischa Horvath plädierte darum für einen anderen Blickwinkel: Ja, die Berichterstattung sei aufwendig. „Aber können wir nicht einen Business Case daraus machen?“ Also: gute Arbeitsbedingungen, hohe Sozial- und Umweltstandards als Verkaufsargument nutzen? „Das machen wir als Zwischenproduktehersteller noch viel zu wenig.“ 

Auch praktische Tipps

Neben diesen Diskussionen, neben Austausch und Vernetzung ging es bei der Tagung in Brüssel auch um ganz praktische Tipps für die Arbeit der europäischen Betriebsräte: In Workshops wurden betriebliche Regelungen für den Umgang mit KI besprochen, der vom globalen Gewerkschaftsverband IndustriALL entwickelte interaktive Transformations-Navigator (www.restructuring-navigator.eu) vorgestellt und Wege zur effektiven Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertreter*innen in anderen EU-Ländern erörtert. 

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