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Thorsten Schulten Editorial Newsletter Hans 08/2023 Service aktuell

Existenzsichernde Untergrenze: Wie weiter mit dem Mindestlohn?

Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro war richtig und zur rechten Zeit. Allerdings besteht noch erheblicher Handlungsbedarf. Bei der zukünftigen Festlegung des Mindestlohns sollte die Mindestlohnkommission unbedingt die aktuellen Kaufkraftverluste der Niedriglohnbeschäftigten mitberücksichtigen, so Thorsten Schulten.

[17.4.2023]

Das Jahr 2022 war ein vergleichsweise gutes Jahr für alle Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Durch die außerordentliche Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde wurde der gesetzliche Mindestlohn innerhalb nur eines Jahres um mehr als 22 Prozent angehoben. Wie im aktuellen Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) nachzulesen ist, hat Deutschland nach Luxemburg damit nun den zweithöchsten Mindestlohn in Europa.

Die Mindestlohnerhöhung kam zur rechten Zeit: Beschäftigte mit geringem Einkommen leiden in besonderen Maßen unter den aktuellen Preissteigerungen. Sie müssen einen vergleichsweisen hohen Anteil ihres Einkommens für Güter wie Energie und Lebensmittel ausgeben, die in letzter Zeit besonders teuer geworden sind. Die Mindestlohnerhöhung hat da erst einmal Entlastung geschaffen. Zugleich haben die hohen Inflationsraten jedoch die beabsichtigte strukturelle Anhebung des Mindestlohns auf ein einigermaßen existenzsicherndes Niveau zu einem guten Stück wieder zunichte gemacht.

Für die Mindestlohnkommission, die spätestens bis zum Juli dieses Jahres erneut eine Empfehlung zur Anpassung des Mindestlohns aussprechen muss, besteht also nach wie vor ein erheblicher Handlungsbedarf. Dabei wird sie nicht umhinkommen, in ihren Beratungen über die zukünftige Höhe des Mindestlohns auch die aktuellen Kaufkraftverluste der Niedriglohnbeschäftigten zu berücksichtigen.  

Hinzu kommt, dass mit der im Oktober 2022 verabschiedeten Europäischen Mindestlohnrichtlinie eine Reihe von Kriterien vorgegeben werden, die die Mindestlohnkommission zukünftig in ihrer Arbeit berücksichtigen muss. Hierzu zählen unter anderem die allgemeine Lohnentwicklung, die Kaufkraft des Mindestlohns und die Entwicklung der Produktivität. Als wichtigste Orientierungsgröße für ein angemessenes Mindestlohniveau empfiehlt die Europäische Mindestlohnkommission, dass der Mindestlohn nicht weniger als 60 Prozent des sogenannten Medianlohns betragen soll. Nach jüngsten Daten des Statistischen Bundesamtes liegt der aktuelle Mindestlohn in Deutschland mit 12 Euro bei etwa 53 Prozent des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten. Um die 60-Prozent-Schwelle zu erreichen, müsste der Mindestlohn demnach auf 13,50 Euro angehoben werden.

Prof. Dr. Thorsten Schulten leitet das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Weitere Informationen

Gemeinsame Stellungnahme von IMK und WSI anlässlich der schriftlichen Anhörung der Mindestlohnkommission 2023

WSI-Mindestlohnbericht 2023

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