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Magazin Mitbestimmung

: Rot-grünes Hilfsversprechen

Ausgabe 09/2010

NORDRHEIN-WESTFALEN Die neue Landesregierung will klammen Kommunen unter die Arme greifen - und dafür selbst mehr Kredite aufnehmen. Von Kay Meiners

KAY MEINERS ist Redakteur des Magazins Mitbestimmung und Barbara Underberg Journalistin in Dortmund./Foto: Wolfgang Rattay

Ralf Jäger, so scheint es, wäre gerne der weiße Ritter, der Retter der Kommunen in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Hoch über den Dächern der Landeshauptstadt Düsseldorf hat der neue Minister für Inneres und Kommunales zur Pressekonferenz eingeladen, um zu erklären, was die rot-grüne Minderheitsregierung zur Sanierung der kommunalen Finanzen unternehmen will. Den Termin will er als Kassensturz verstanden wissen, als eine Bilanz der Regierung Rüttgers, die den Kommunen "fünf verlorene Jahre" gebracht habe. Tasächlich reichen die Ursachen der Misere länger zurück. Viele Städte sind schon seit ein oder zwei Jahrzehnten im Defizit.
Finanzlöcher gibt es im Land in allen Schweregraden. Leicht betroffen ist, wer keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen kann. Das sind fast alle NRW-Kommunen: 90 Prozent. Die mittelschweren Fälle sind jene, die unter Nothaushaltsrecht stehen - ungefähr jede dritte Kommune oder 139 in absoluten Zahlen. In den besonders schweren Fällen übersteigen die Verbindlichkeiten die gesamten Vermögenswerte der Kommune, die Immobilien inklusive. Derzeit sind es neun Kommunen, die bankrott sind. "Das Rathaus, die Schulen und die Krankenhäuser gehören dort nicht mehr den Bürgern, sondern den Banken", sagt Jäger. Wenn nichts geschieht, gibt es 27 Kandidaten, die bald folgen könnten.
 
EIN PLUS VON 4 PROZENT_ Was macht man als neu gewählter Minister mit einem solchen Scherbenhaufen? Ohne den Dialog - und vielleicht auch den Konflikt - mit allen Stufenleitern des föderalen Systems ist ihm schwer beizukommen. Geld muss in die Hand genommen werden, und wer keines hat, muss welches aufnehmen. Es muss über den Finanzausgleich gesprochen werden, darüber, wie Aufgaben und Lasten zwischen Armen und Reichen, zwischen Kommunen, Land und Bund verteilt werden. Wer eine solche Aufgabe in einem Bundesland allein lösen will, der stößt schnell an Grenzen. Er muss trotzdem im eigenen Land anfangen - auch wenn man weiß, dass man eigentlich die ganze Republik auf Kurs bringen muss. Eine Herkulesaufgabe.

Zwei Sofortmaßnahmen hat Jäger angekündigt. Als erste Hilfe wird die neue Landesregierung den Kommunen noch in diesem Jahr per Nachtragshaushalt den Anteil an der Grunderwerbsteuer von jährlich insgesamt 130 Millionen Euro zurückgeben, der ihnen seit 2007 vorenthalten wurde. Was wirklich in die Kassen kommt, hängt vom Immobilienmarkt ab. Gleichzeitig werden die Kommunen ab sofort nicht mehr mit jährlich 166,2 Millionen Euro an der Konsolidierung des Landeshaushalts beteiligt. Beide Maßnahmen zusammengerechnet sind also 300 Millionen schwer. Mit ihnen wird das Budget der Kommunen im Land um vier Prozent auf insgesamt 7,9 Milliarden Euro erhöht.

SCHULDENHILFEN_ Mit weiteren 300 bis 400 Millionen Euro pro Jahr will die rot-grüne Regierung den besonders finanzschwachen Kommunen bei der Bewältigung der Altschulden helfen und sie, wie es in einer offiziellen Erklärung heißt, "bei ihren Konsolidierungsbemühungen unterstützen". Die Kreditaufnahme des Landes wird durch solche Hilfspakete steigen. Die genauen Vergabekriterien soll ein Gutachten klären, das die Landesregierung bei den Finanzwissenschaftlern Martin Junkernheinrich und Thomas Lenk bestellt hat und das Kriterien für die möglichen Finanzhilfen festlegen soll. Ergebnisse werden Anfang November erwartet. Jäger legt Wert darauf, dass das Geld "nicht mit der Schrotflinte ins Land geschossen werden soll", sondern den besonders Not leidenden Kommunen helfen soll - ohne diejenigen zu benachteiligen, die bereits aus eigener Kraft Konsolidierungsversuche unternommen haben.

Die Stadt Solingen ist ein Beispiel dafür, wie sich die Konsolidierung anfühlt. Längst stehen hier Abonnements von Fachliteratur, die Kosten von Städtepartnerschaften und die Öffnungszeiten der Theaterkasse zur Disposition. Um die Einnahmen zu erhöhen, wird demnächst die Grundsteuer von 490 auf 590 Punkte, also um rund 20 Prozent erhöht. Auch der Hebesatz für die Gewerbesteuer steigt in zwei Stufen von 450 Punkten auf 475, womit Unternehmenserträge um sechs Prozent höher besteuert werden. Falls es einer Kommune gelingt, sich durch solche Maßnahmen zu sanieren, muss sie dann andere unterstützen? "In anderen Bundesländern gibt es solche Mechanismen", sagt Jäger, "nur nicht bei uns." Er denkt längst auch darüber nach, ob nicht reichere Kommunen in NRW den ärmeren unter die Arme greifen könnten: Das kann noch für Zündstoff sorgen.

DER BLICK ZUM BUND_ An anderen Stellen weiß Jäger wieder alle Kommunen hinter sich. Nämlich bei den Stellschrauben im Bund, wo es möglich wäre, Geldströme umzuleiten. So fordert er von der Bundesregierung mehr Hilfe für die Kommunen. Besonders wichtig ist ihm, dass der Bund den Bundesanteil bei den sozialen Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung aufstockt. Aber auch bei der Eingliederungshilfe für Behinderte, bei der Grundsicherung im Alter und bei der Hilfe zur Pflege würde er den Bund gerne stärker in die Pflicht nehmen. Doch im Bund wird ein ganz anderes Spiel gespielt. Gerade beratschlagt die Gemeindefinanzkommission sich zu der Frage, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Jäger kann sich mächtig darüber aufregen: "Die Landesregierung sieht zur Gewerbesteuer keine vernünftige Alternative. Wir sollten sie erhalten, sie aber auf eine breitere Grundlage stellen, um sie dadurch weniger konjunkturanfällig zu machen", erklärt er. Er will sich erst einmal dafür einsetzen, dass NRW nach dem Regierungswechsel in dieser Kommission eine Stimme bekommt: "Es liegt jetzt an der Kommission, ob sie dieses Land mit aufnimmt oder die Plätze nach dem Parteienproporz vergibt."

Eine der Stellschrauben, die für die Kommunen in NRW besonders interessant sind, ist auch die Evaluation des Solidarpaktes Ost, die in diesem Jahr ansteht. Die neue Regierung würde die Routineüberprüfung gern für Korrekturen nutzen: "Solidarleistungen müssen nach der Bedürftigkeit verteilt werden und nicht nach der Himmelsrichtung", meint Jäger. Die Stoßrichtung ist klar: Not leidende Kommunen in Nordrhein-Westfalen sollen nicht mehr für den Osten zahlen, sondern selbst von Transfers profitieren. Alte Geldstreitigkeiten zwischen dem Land und den Kommunen, die sich aus komplizierten Verrechnungsregeln des Solidarpaktes Ost ergeben und wegen denen zahlreiche Klagen von Kommunen beim Verwaltungsgericht Münster anhängig sind, will Jäger erst einmal ruhen lassen, bis die Fälle gerichtlich geklärt sind, und auf Forderungen des Landes verzichten. In den Augen des Ministers hat sich sein Land mit den aktuellen Vorschlägen wieder an die Spitze der Diskussion um die Kommunalfinanzen gesetzt. Achim Truger, Finanzexperte am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, stellt fest. "Im Grunde steht im Koalitionsvertrag von NRW nur Richtiges. Es kostet aber Geld. In der Praxis wird sich erweisen, wo die Grenzen liegen - gerade auch vor dem Hintergrund der Schuldenbremse.

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