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Magazin Mitbestimmung

Energiewende: Operation am offenen Herzen

Ausgabe 12/2012

Fehlentwicklungen werden nicht angegangen, während bei den Konzernen Investitionsunsicherheit herrscht und für die Verbraucher die Kosten explodieren. Viel Kritik an der Umsetzung der Energiewende gab es beim unternehmensnahen „Innovationsforum Energiewende“ (If.E) der IG BCE. Von Cornelia Girndt

Bundesumweltminister Altmeier zeigte sich verwundert, dass „ich gar nicht auf einem Kongress der IG BCE bin“. In der Tat: Kein IG-BCE-Logo weit und breit. Und viele Industrievertreter da, von denen gerade mal 13 Prozent mit den Maßnahmen rund um die Energiewende zufrieden sind, wie eine Umfrage im Auftrag der IG BCE ergeben hat. Verwundert haben mag den Bundesumweltminister auch, dass beim ersten Kongress des „Innovationsforums Energiewende“ kein einziger Vertreter aus der Branche der erneuerbaren Energien zu sichten war. Was den CDU-Bundesumweltminister anscheinend zur Klarstellung animierte, „wer die Energiewende entschieden hat: diejenigen, die die Fotovoltaik auf die Dächer geschraubt und Windräder installiert haben“ – mithin eine breite Bürgerinitiative.

Auch IG-BCE-Chef Vassiliadis erkennt an, „dass die erneuerbaren Energien heute bereits mit einem 25-Prozent-Anteil einen größeren Beitrag zur Stromversorgung leisten als die verbliebenen Kernkraftwerke“, kritisiert aber das „beispiellos teure Ausbautempo“.

Das Problem, das mittlerweile kaum einer mehr abstreitet und hier in Berlin viel diskutiert wurde: Der Erfolg der Erneuerbaren verteuert die Stromkosten, weil der Staat mit dem EEG einen festen Abnahmepreis garantiert – als Differenz zum Börsenpreis, der derzeit sinkt. Womit die EEG-Umlage steigt, wofür die Verbraucher wiedereinmal zur Kasse gebeten werden. Sie wird mittlerweile von vielen, auch unabhängigen Experten geäußert – die Kritik an ziellosen Subventionen für Wind und Solar, die Überschüsse produzieren und zu „Spannungsschwankungen im Netz führen, die der Industrie zu schaffen machen“, so Deutsche-Energie-Agentur-Chef Kohler im „Spiegel“.

Verdient das den Namen Industriepolitik? Und wer zahlt die Zeche? Michael Vassiliadis macht sich Sorgen um die Verteilungswirkungen der Energiewende. Sie treffe „die Beschäftigten unserer Branchen schon vielfach – als Steuerzahler, als Stromkunden, Mieter und womöglich zahlen es die Beschäftigten am Ende des Tages noch mit ihren Arbeitsplätzen“, hatte der IG-BCE-Vorsitzende auf einer IG-Metall-Betriebsrätetagung Mitte November gewarnt. Unüberhörbar fordern auf dem If.E-Kongress die Betriebsräte Thomas de Win (Bayer) und Frank Gottselig (SCA) mehr Investitionssicherheit von der Politik; Gottselig hofft, „dass die Energiewende nicht auf Kosten sozialversicherungspflichtiger und mitbestimmter Arbeitsplätze geht“.

Das ganze Unterfangen ist für die deutsche Industrie und deren Arbeitsplätze nicht ohne Risiken, was auch der Bundesumweltminister unverblümt ausspricht, indem er von der Energiewende als „einer Operation am offenen Herzen der Volkswirtschaft“ spricht. Die Risiken dieser Großoperation Energiewende erlebt Vattenfall-Betriebsrat Wilfried Schreck täglich, wenn seine Kollegen in den Kraftwerken damit beschäftigt sind, „aus Ackergäulen Rennpferde zu machen“. Das heißt in Schrecks Worten: „Wir sind die Brücke für die Erneuerbaren, wir regeln aus, die Eingreiftage und die Kosten steigen.“ Erfreulich sei dabei, dass die Braunkohle durch die Energiewende gewinnt. Das kann Johannes Lambertz, Vorstandsvorsitzender von RWE-Power, nur bestätigen. Man habe, wenn der Wind nicht weht, bis an die 40 Prozent Braunkohle im Netz. Generell verursachten die Erneuerbaren extreme Schwankungen im Netz, von daher müssten fossile Kraftwerke noch ihre Fähigkeit steigern, „schnell hoch- und runterfahren zu können“, so Lambertz.

„Wie soll so ein hochkomplexer Prozess gesteuert werden?“, fragt die Moderatorin das Podium. SZ-Journalist Michael Bauchmüller meint, dass man bei so einem Großprojekt „permanent nachsteuern müsse. Niemand habe den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien erwartet, der nun viele Folgeprobleme aufwirft“. SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier sagt, die Energiewende kranke daran, dass es keine zentrale Steuerung gibt, entsprechend werde seine Partei ein Energieministerium vorschlagen. Steinmeier verteidigt das rot-grüne Erneuerbare-Energien-Gesetz als Markteinführungsgesetz, jetzt aber, fehle es an Mut und Entschlossenheit, etwas zu ändern. Was genau man ändern müsse, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende aber auch nicht. Genauso wenig wie Altmeier. Die bittere Wahrheit ist: Bis zur Bundestagswahl traut sich da niemand ran. SZ-Journalist Bauchmüller erklärt, warum: „Hier werden“, sagt er, „gerade Milliarden Euro umverteilt von einer traditionellen zu einer neuen Branche.“ Die Politik scheue sich, „über die Details zu beraten, denn dann würde der Verteilungskonflikt offen ausbrechen“.

WAS ALLES GRÜNDLICH SCHIEFLÄUFT

Schluss mit der Lagerfeuerromantik, die im Jahr eins nach Fukushima herrschte, die Energiewende muss gemanagt werden, reklamiert E.ON-Vorstandsvorsitzender Johannes Theyssen so etwas wie die Führungsrolle der Wirtschaft. Und zählt auf, was alles „gründlich schiefläuft“: Wenn Siemens und Bosch aus dem Wüstenprojekt Solartec aussteigen. Wenn die Chinesen die Geschäfte bei Solar machen und nicht die heimischen Werke. Wenn die Stadtwerke Frankfurt und Nürnberg „mich auffordern, das zweitmodernste Gaskraftwerk abzuschalten“. Wenn die energieintensive Industrie nach USA abwandert, wo Energie derzeit richtig billig sei. Wenn Betriebe bei kleinsten Spannungsschwankungen ihre Hochtechnologieprodukte nicht mehr produzieren können.

Sein Fazit: „Wir gehen den Weg ineffizient und unklar.“ Derzeit sei es auf der Grundlage des EEG egal, ob der regenerativ erzeugte Strom überhaupt beim Kunden ankommt. Weiterhin pflege jedes Bundesland seine eigenen Ideen zur Energiewende. In Deutschland steigen die Stromabgaben und Umlagen, allein die Netzgebühr sei um 50 Prozent gestiegen – und das bei sinkenden Großhandelspreisen. „Alle Unternehmen haben in den letzten zwei Jahren weniger für Strom gezahlt“, sagt Theyssen und weist in den Saal: „Fragen Sie doch das Publikum.“

Womit wir bei der Strompreiskompensation für die energieintensiven Industrien wären, die von Jürgen Trittin eingeführt worden war, um die Grundstoffindustrie wie Aluminium, Stahl, Kupfer als Teil der Wertschöpfungskette zu erhalten. Dafür haben die Industriegewerkschaften gekämpft, und das ist heute breiter gesellschaftlicher Konsens. Doch seit einer schwarz-gelben Gesetzesänderung in 2012 gilt die Befreiung von Netzentgelten auf einmal auch für Golfplätze und Geflügelfarmen. Oder für Rolltreppen-Gesellschaften, die eigens outgesourct werden, um ermäßigte Energiepreise zu erhalten, worauf Betriebsrat Gottseelig vom Papierhersteller SCA verwundert hinweist. „Ein Instrument, mit dem wir energieintensive Industrie schützen wollten, ist zu einem Instrument für die weiträumige Subventionierung von Unternehmen geworden“, kritisiert auch Frank-Walter Steinmeier.

Trotz der zahlreichen Baustellen: Die Índustrie- und Arbeitnehmervertreter stellten sich klar hinter die Energiewende, die damit verbundenen Innovations-Chancen für den Industriestandort und den Klimaschutz. Gleichwohl wird es eine Herkulesaufgabe bleiben: die Erneuerbaren Energien zu integrieren, sie mit einem flexiblen Kraftwerkskorsett zu versehen, das Stromnetz auszubauen, – und das alles zu sozial gerecht verteilten Kosten.

Was ist das If.E?

In der Flughafenhalle Tempelhof, heute ein repräsentabler Veranstaltungsort, präsentieren sich zum Foto-Shooting am 27. November die Unterstützer-Unternehmen des Innovationsforums Energiewende (If.E). Management- und Arbeitnehmervertreter aus 23 namhaften Konzernen klettern gemeinsam auf die Bühne – Sozialpartnerschaft pur. BASF ist dabei und Lanxess, Evonik und die Wacker Chemie. Auch im Publikum sitzen Unterstützer und rund 300 Unternehmens- und Arbeitnehmervertreter – letztere in Betriebs- und Aufsichtsräten verbunden mit der Crème de la Crème deutscher Energie- und Chemiekonzerne – von Vattenfall, RWE, E.ON, RAG über Dow Chemical, Bayer bis hin zu den energieintensiven Unternehmen, wie dem Kupferhersteller Aurubis und Hydro Aluminium.

Die IG BCE hat eigens einen Verein gegründet, ihr Vorsitzender Michael Vassiliadis will einen Innovationspakt und „dass bis zur Bundestagswahl die bisherige Konzeption der Energiewende und der Instrumentenkasten gründlich überprüft wird“. Er will auch „dafür kämpfen, dass die Energiewende sozial läuft“, wie Vassiliadis auf einer IG-Metall-Betriebsrätetagung Mitte November sagte. Dabei auch deutlich machen, was die tradierten Industrien einbringen können und dass wir sie brauchen für die Energiewende, denn „kein Offshore-Windrad funktioniert ohne Chemiekleber, Verbundstoffe, Stahl“. Genauso wenig wie die Energiewende ohne Kohle und konventionelle Kraftwerke auskommen wird. Zuschauen gilt nicht mehr. Als„wesentliche Impulsgeber einer erfolgreichen Energiewende“ (Einladungstext) stellten drei Konzerne ihre FuE-Projekte vor: RWE die Flexibilisierung konventioneller Kraftwerke, E.ON die Power-to-Gas-Speichertechnologie und Bayer die Sauerstoffverzehranode, die im Produktionsprozess Energie einspart.

Weitere Informationen vom 1. If.E-Kongress am 27.11.2012 gibt es auf der Homepage des Innovationsforums.
Geschäftsführende Vorstandsmitglieder sind Ralf Bartels, der Leiter Industrie- und Energiepolitik der
IG BCE, und Yasmin Fahimi, Leiterin der IG-BCE-Grundsatzabteilung.

 

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