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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Ohne Besser-Strategie kriegen wir Probleme'

Ausgabe 11/2005

Detlef Wetzel, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, über die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandortes Deutschland und seine Kampagne "besser-statt-billiger".


Mit Detlef Wetzel sprachen Margarete Hasel und Christoph Mulitze in Düsseldorf.  

Ist es nicht sehr mutig, in Zeiten, in denen Geiz als geil gilt, eine Kampagne zu starten mit dem Titel "besser statt billiger"?
Gerade jetzt ist es notwendig, dieser falschen gesellschaftlichen Entwicklung etwas entgegenzustellen. Es ist ein Irrweg, nur über den Preis zu konkurrieren. "Made in Germany" steht nicht für Billigprodukte, sondern für Qualitätsprodukte. Die Exportüberschüsse sind ja nicht entstanden, weil wir die Billigsten auf dem Weltmarkt sind, sondern weil wir zu den Besten gehören. Deshalb führen die Geiz-ist-geil- und die Billiger-Debatte, wenn wir sie nicht stoppen können, unsere Volkswirtschaft an den Rande des Ruins.  

Warum denn das? Billiger zu sein als die Konkurrenz wird doch gemeinhin als Wettbewerbsvorteil gesehen.
Alle Firmen, die sich auf reine Kostensenkungsstrategien konzentriert haben, sind erfolglos. Wer nur Personal abbaut, nimmt sich im Markt Entwicklungschancen. Firmen aber, die auf Innovation gesetzt haben, auf Kundennähe, auf schnelle Umsetzung von Ideen und auf eine gute Prozessorganisation, können auf dem Weltmarkt bestehen. Diese Firmen besitzen eine hohe Konkurrenzfähigkeit - und sie schaffen auch Beschäftigung.  

Gleichwohl wird gerne behauptet, Lohn- und Lohnnebenkosten seien das Hauptproblem. Wie schwierig ist es, Manager davon zu überzeugen, dass das schlechte Standing ihrer Betriebe oft eher auf die Herstellungskosten und auf Investitionsversäumnisse zurückzuführen ist?
Ein Unternehmen muss auch kostengünstig produzieren. Aber das löst das Problem nicht. Als IG Metall werden wir häufig mit dem Wunsch konfrontiert, von Tarifverträgen abzuweichen - in der Regel von Unternehmen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Die nicht genügend investiert und ihre Produktentwicklung nicht nach vorne getrieben haben. Sie haben in der Vergangenheit also erfolgsentscheidende Konzepte vernachlässigt und dadurch Wettbewerbsnachteile erlitten.

Die wollen sie sich jetzt ausgleichen lassen. Da sagen wir grundsätzlich nein. Denn unsere "besser-statt-billiger"-Strategie zielt nicht darauf, Versäumnisse zu honorieren. Das würde ja bedeuten, dass wir den Unterlasser belohnen und den Unternehmer bestrafen. Denn wer wettbewerbsfähig und gut aufgestellt ist, weil er geschickt und innovativ handelt, würde ja benachteiligt, wenn wir ausgerechnet Unterlassern einen tariflichen Nachlass gewähren. Wir sind deshalb die letzten Hüter der Marktwirtschaft, wenn wir die Flächentarife verteidigen. 

Warum kommt es trotzdem zu Abweichungen von Tarifverträgen?
Weil wir, wenn eine Firma ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren hat, nicht einfach zum Unternehmer sagen können: Selbst Schuld, sieh zu, wie du damit fertig wirst. Wenn wir vom Tarifvertrag abweichen, verbinden wir hier in NRW das immer mit der Verpflichtung, dass ein solches Unternehmen eine Besser-Strategie nachweisen muss. Der Unternehmer muss die Probleme, die er verursacht hat, in den Griff bekommen.  

Aber die billigere Konkurrenz im Ausland und die Globalisierung bleiben eine Realität, die man nicht durch betriebliche Bündnisse wegbekommt. Wie kann man unter solchen Rahmenbedingungen die Wettbewerbsvorteile der Firmen hier am Standort sichern?
Wir haben einen hohen Exportüberschuss, auch gegenüber den mittel- und osteuropäischen Ländern. Das heißt, wir sind wettbewerbsfähig. Wir werden aber die Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn wir unseren technologischen und arbeitsorganisatorischen, logistischen und infrastrukturellen Vorsprung aufgeben. Oder wenn wir uns nicht höllisch anstrengen und uns um innovative Produkte kümmern. Wer hier noch meint, mit China über den Preis konkurrieren zu können, liegt ziemlich daneben. Die Chinesen sind unglaublich schnell und dynamisch, und sie haben sich viel vorgenommen. Ohne eine Besser-Strategie kriegen wir bald wirklich Probleme. 

Welche Unternehmen sind bereit, mit euch zu kooperieren?
Das ist unterschiedlich. Natürlich machen diejenigen mit, die sowieso gut sind. Denn die haben schon bisher Verstand bewiesen und die Besser-Strategie längst in ihre eigene Geschäftsphilosophie implementiert. Die andere Gruppe will in besonderen Schwierigkeiten vor allem tarifliche Abweichungen. Denen kommen wir nur entgegen, soweit sie eine glaubhafte Besser-Strategie vorlegen.

Bei denen aber, deren Handeln wir als großen Quatsch empfinden, entwickeln wir eine Gegenstrategie ohne jegliche Zugeständnisse. Weil dort so viel im Argen liegt, dass wir schlechten Managern gutes Geld hinterherschmeißen würden. Deshalb ist die "besser-statt-billiger"-Strategie auch kein Co-Management im klassischen Sinne, sondern sie ist, wenn es sein muss, eine konfliktorische Gegenstrategie, bei der wir unsererseits Forderungen aufstellen.  

Übernehmt ihr euch nicht, wenn ihr auf die Geschäftsstrategie der Unternehmen einwirken wollt?
Nein. Selbstverständlich wollen wir Einfluss nehmen auf die Geschäftsstrategie. Von ihr hängen Arbeitsplätze und Einkommen der Beschäftigten ab. Wir sind aber nicht die besseren Unternehmer, sondern wir fordern die Geschäftsführung heraus. Denn Gewerkschaften, Betriebsräte und Belegschaften können sehr wohl analysieren, wo Defizite liegen, und sie wissen, was faul ist.  

Die Ergebnisse von Innovationen schlagen sich bestenfalls in der Zukunft nieder. Wie prüft ihr, ob ein Unternehmensvorschlag tatsächlich Entwicklungspotenzial in sich birgt? Schließlich werden eure Zugeständnisse sofort fällig.
Das ist ein ganz großes Problem. Wir versuchen, das zu umgehen, indem wir keine Abweichungen vom Tarifvertrag zulassen, ohne dass Experten eine wirtschaftliche oder strategische Prüfung vorgenommen haben.  

Ihr holt euch Unternehmensberater?
Nicht nur Unternehmensberater. Auch Steuer- und Wirtschaftsprüfer. Das hängt davon ab, wo es hakt. Wir fühlen uns dafür verantwortlich, ein arbeitnehmerorientiertes Management in die Prozesse hineinzubringen, so dass die Interessen der Belegschaft nicht auf der Strecke bleiben. Denn das Weihnachtsgeld ist schnell kassiert. Deshalb beinhalten unsere Sanierungsvereinbarungen auch so genannte Meilensteine, und wenn diese nicht erfüllt werden, stoppen wir die Vereinbarungen. Die Ansprüche, die abgetreten wurden, werden dann rückwirkend fällig.

Die entscheidenden Fragen für uns sind: Wie kriegen wir Innovationsprozesse in die Firmen? Und wie kriegen wir die Manager dazu einzusehen, dass der Griff in die Taschen der Mitarbeiter auch für sie keine Lösung ist? Denn die Ursachen müssen beseitigt werden, deretwegen sie in diese Situation gekommen sind. Das Geld von den Mitarbeitern verschafft vorübergehend etwas Luft. Aber es löst das Problem der verloren gegangenen Wettbewerbsfähigkeit nicht. 

Wie wichtig sind die politischen Rahmenbedingungen? Hat sich der Wechsel in der nordrhein-westfälischen Landesregierung ausgewirkt?
Nein, der Prozess ist zunächst ein innerbetrieblicher, der allerdings vom gesellschaftlichen Klima beeinflusst wird. Und da nimmt die Erkenntnis zu, dass "besser statt billiger" das richtige Konzept ist. Die Anzahl der Ahnungslosen nimmt parteiübergreifend ab. Auch steigt die Zahl der Unternehmer, die zwar sagen, wir müssen kostengünstig sein, die aber auf Einhaltung vereinbarter Tarifverträge pochen. 

Was ist damit gemeint?
Dazu ein Beispiel aus meiner Zeit als Bevollmächtigter des IG-Metall-Bezirks Siegen/Wittgenstein: Zwei Drittel der Unternehmen, die damals auf uns zukamen, wollten eine Abweichung vom Tarifvertrag. Ein Drittel aber hat gesagt: "Bloß nicht! Wenn ihr meinem Konkurrenten eine Arbeitszeitverlängerung gewährt oder ihm zugesteht, das Weihnachtsgeld einzubehalten, ist das ein direkter Wettbewerbsnachteil für mich. Dann muss ich schon aus Gründen der Fairness diese Möglichkeit auch bekommen." Sie pochten auf die Tarifverträge mit ihren einheitlichen Standards. Denn die Spirale nach unten nutzt niemandem, und diese Erkenntnis nimmt erfreulicherweise zu. 

Lässt sich die "besser-statt-billiger"-Strategie in Unternehmen mit funktionierender Mitbestimmung besser umsetzen?
Natürlich. Erfolgreiche Unternehmen, die Außergewöhnliches leisten, haben immer beteiligungsorientierte Strukturen. 

Warum ist das so?
Weil nur im Miteinander innovative Kräfte freigesetzt werden können. Nur in einer offenen Atmosphäre blüht die Kreativität. Wo die Strukturen autoritär sind, verkümmert die Kreativität. Technische Innovationen, produktive Arbeitsstrukturen, Entwicklung von Kunst und Kultur brauchen Freiräume. Das gilt für Unternehmen wie für Gesellschaften, auch wenn das nicht immer ohne Konflikte abläuft. Die Unternehmenskultur ist ausgesprochen wichtig für den Innovationsprozess. 

Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?
Empirie hin, Empirie her: Das spürt man. Teilhabe der Belegschaft ist ein notwendiges Element einer Besser-Strategie. Die Mitarbeiter sind der entscheidende Motor für Innovationen. Das ist ja der Vorteil von Demokratien und offenen Gesellschaften. Es will doch wohl niemand ernsthaft behaupten, in Nordkorea könnten Kunst, Kultur und wirtschaftliche Entwicklung zur Blüte gelangen! Wie könnte jemand auf die Idee kommen, in einer autoritär geführten Firma ließen sich die Kräfte der Mitarbeiter optimal freisetzen? 

Wenn Mitbestimmung und Partizipation als Essentials für innovationsfördernde Arbeitsformen ganz vorn liegen, müssen dann nicht auch die repräsentativen Beteiligungsformen, auf die das Betriebsverfassungsgesetz besonders abhebt, überdacht werden?
Wir brauchen die Mitbestimmungsgremien als Motoren für Innovationen, aber wir müssen auch unsere Mitglieder aus der Objektrolle herausholen und sie dafür gewinnen, als Subjekte für sich und andere verantwortlich zu handeln. Das macht unsere Kampagne derzeit ja auch so erfolgreich. Weil wir uns anstrengen und das Mitglied ins Zentrum unserer Betrachtungen stellen. Mit Stellvertreterpolitik werden wir auf Dauer keine Besser-Strategie hinbekommen. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, sich einzubringen mit ihren Interessen, Erfahrungen und ihrem Wissen. Das ist eine qualitative Weiterentwicklung von Mitbestimmung. 

"Besser statt billiger" bedeutet eine Ausweitung der Mitbestimmung?
Genau. Weil wir kein Co-Management machen, bei dem sich der schlaue Betriebsrat und die schlaue Unternehmensführung gemeinsam überlegen, was zu tun ist, sondern die Belegschaft in allen Phasen beteiligt ist. Bei uns gibt es zum Beispiel keine Tarifabweichung ohne den Segen einer betrieblichen Tarifkommission. Die Mitglieder entscheiden über die Aufnahme von Verhandlungen, über die Prozesse und am Ende über das Ergebnis.

So entstand auch der Bonus für die Mitglieder. Das haben wir uns ja nicht ausgedacht, sondern das war ein Wunsch unserer Mitglieder, die bei Tarifabweichungen besser gestellt sein wollten als Nicht-Mitglieder. Deshalb ist die "besser-statt-billiger"-Strategie organisationsstärkend. Wir gewinnen wieder mehr Mitglieder in NRW. Jede Auseinandersetzung erhöht den Organisationsgrad im Unternehmen um durchschnittlich zehn Prozent. 

Eine dezentrale, betriebsnahe Tarifpolitik ist eine moderne Tarifpolitik?
Was ist schon modern? Ich ziehe den Begriff offensiv vor. Wir versuchen, eine mitgliederorientierte, betriebsbezogene Offensivstrategie zu formulieren. "besser statt billiger" verfolgt deshalb einen betrieblichen und auch einen tarifpolitischen Ansatz. Insgesamt stabilisiert diese Strategie den Flächentarifvertrag. Insofern gibt es eine Dualität von Betrieb und Fläche. Logischerweise können wir unter den genannten Voraussetzungen nur von einem Flächentarifvertrag abweichen, wenn es einen gibt.


Zur Person
Detlef Wetzel, 53, ist seit Juli 2004 Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen. Der gelernte Werkzeugmacher - er studierte danach auf dem zweiten Bildungsweg mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung - begann 1980 seine hauptamtliche Tätigkeit in der IG Metall. 1997 wurde er zum 1. Bevollmächtigten der Verwaltungsstelle Siegen gewählt.

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