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Magazin Mitbestimmung

: Eine Effizienzrevolution ist machbar

Ausgabe 06/2007

ZUKUNFTSTECHNOLOGIEN Deutschland ist bereits führend bei erneuerbaren Energien. Der intelligente und sparsame Umgang mit Energie und Rohstoffen ist nicht nur ökologisch geboten, sondern auch der Schlüssel zum langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.



Von Michael Müller. Der Autor ist Staatssekretär (SPD) im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.


Billige Rohstoffe und billige Energie waren die Schmierstoffe des Industriezeitalters und der Schlüssel für Wohlstand. Doch die Grenzen der preisgünstigen Nutzung vieler Rohstoffe rücken schnell näher: Die nachholende Industrialisierung in Schwellenländern wie China und Indien, die die verschwenderische Art der westlichen Volkswirtschaften nachahmen, sowie das Bevölkerungswachstum in vielen Erdregionen spitzen die Nutzungskonflikte um Rohstoffe zu. Das ölreichste Land der Erde, Saudi-Arabien, hat den Höhepunkt der Förderung wahrscheinlich bereits überschritten; mittelfristig ist nicht nur mit Engpässen bei Öl und Gas zu rechnen, sondern auch bei vielen anderen Rohstoffen, insbesondere bei Edelmetallen und seltenen Erden. Selbst Ressourcenkriege werden zu einer realen Gefahr.

Gleichzeitig geraten die Naturkreisläufe aus dem Lot. Die globale Klimaerwärmung wird in diesem Jahrhundert wahrscheinlich 3 Kelvin erreichen, bald schon 0,2 Kelvin pro Jahrzehnt. Eine Zunahme der Extremereignisse ist schon nicht mehr zu verhindern, weil sich die höhere Konzentration von Treibhausgasen mit einer Zeitverzögerung von vier bis fünf Jahrzehnten im Klimasystem auswirkt. Diese ökologischen Grenzen des Wachstums bedeuten einen tiefen Einschnitt.

ÖKOEFFIZIENZ WIRD ZUR SCHLÜSSELFRAGE_ Vor diesem Hintergrund wird die intelligente Nutzung von Energie und Ressourcen zur Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts. Waren in der Vergangenheit die Dampfmaschine, die Eisenbahn, die Elektrotechnik, die Chemieproduktion und die Massenmobilität die wesentlichen Treiber für die Modernisierung der Wirtschaft, haben in den letzten Jahrzehnten die Informations- und Kommunikationstechnologien diese Rolle eingenommen. In Zukunft werden Effizienztechniken die Leit- oder Querschnittstechnologie sein.

In Verbindung mit erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen werden sie der strategische Faktor der Weltwirtschaft sein. Ziel dieser Effizienzrevolution ist nicht nur die Entkopplung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch, sondern die absolute Senkung. Wer bei der intelligenten Nutzung von Energie und Rohstoffen führend ist, wird nicht nur ökologisch das Notwendige tun, sondern auch den nächsten Wirtschaftszyklus entscheidend prägen. Die Weltmarktpreise für importierte Rohstoffe sind im Euro-Raum zwischen 2000 und 2005 um 81 Prozent gestiegen. Langfristig werden nur solche Volkswirtschaften ökonomisch erfolgreich sein, die darauf mit massiven Effizienzsteigerungen antworten.

Damit unser Land vorne bleibt, müssen wir diesen Zukunftstrend erkennen. Unternehmen müssen hochwertige, recycelbare Produkte mit weniger Materialeinsatz produzieren. Eine erfolgreiche Wirtschaft benötigt ökoeffiziente Produkte, die überall auf der Welt immer stärker nachgefragt werden. Sie eröffnen unserem Land große Chancen, denn 20 Prozent der Umweltpatente entfallen auf Deutschland. Wir sind führend bei erneuerbaren Energien und -Effizienztechnologien. Zudem haben wir einen großen Vorsprung bei der Abwasser- und Luftreinhaltetechnik, ebenso im Anlagenbau und bei der Regeltechnik. Dennoch muss die Basis unserer Volkswirtschaft noch schneller umgestaltet werden; die industrielle Wertschöpfung muss noch effizienter und schonender mit Ressourcen und Energie umgehen; müssen zunehmend endliche durch erneuerbare Rohstoffe ersetzt werden.

Das Beispiel der erneuerbaren Energien belegt, wie stark Öko-Technologien weltweit nachgefragt werden. Im Jahr 2020 können erneuerbare Energien bereits 28 Prozent des Strombedarfs hierzulande decken. Welchen Erfolg Deutschland auf diesem Zukunftsmarkt hat, zeigt sich auch daran, dass bereits mehr als 40 Staaten unserem Beispiel zur Förderung dieser Technologien folgen. Aber viele Länder holen auf, deshalb muss das Tempo der ökologischen Modernisierung in Deutschland erhöht werden. Der Staat muss wirtschafts-, technologie- und industriepolitische Instrumente einsetzen, um Impulse zu geben und Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Markt allein kann das nicht erreichen. Eine aktive Innovationspolitik ist nötig.

Effizienztechnologien sind außerdem ein entscheidender Beitrag um aus der Beschäftigungsfalle herauszukommen, die aus dem schwächer werdenden Wirtschaftswachstum in den Industriestaaten resultiert, das deutlich hinter der Arbeitsproduktivität zurückbleibt. Die Folge davon ist, dass Arbeit durch Technik ersetzt wird - die "technologisch bedingte Arbeitslosigkeit" nimmt zu.

WENIGER ENERGIEUMLAUF, MEHR ARBEITSPLÄTZE_ Bei "Qualitätsprodukten" und intelligenten Technologien ist jedoch der gegenläufige Trend zu beobachten: Hochwertige Produkte, die sich durch längere Haltbarkeit, lange Verwertungskaskaden oder intelligentes Ressourcendesign auszeichnen, sind die Gewinner auf den "grünen Märkten" der Zukunft. Indem Energie, Material und Rohstoffe durch bessere Technik und qualifizierte Arbeit ersetzt werden, generiert die Effizienzrevolution mehr Beschäftigung.

Studien von prognos und Arthur D. Little belegen, dass eine Reduktion des Material- und Energieumlaufs um zehn Prozent zwischen 600 000 und 800 000 Arbeitsplätzen schaffen kann. Außerdem stärkt die Effizienzrevolution die Wettbewerbskraft der Volkswirtschaft, indem sie die Kosten der Produktion reduziert und die Importabhängigkeit verringert. Würde zum Beispiel das technische Potenzial der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung umgesetzt, könnte die volkswirtschaftliche Energierechnung um 80 Milliarden Euro reduziert werden.

Angesichts der harten ökonomischen Vorteile eines sparsamen Einsatzes von Energie und Rohstoffen ist es bemerkenswert, wie wenig Ressourcen-Effizienz eingeklagt wird - und wie oft man dagegen den Ruf nach niedrigeren Arbeitskosten hört. Dabei ist das Sparpotenzial bei den Ressourcen wesentlich größer: Mehr als die Hälfte der Kosten im verarbeitenden Gewerbe sind Material-, Energie- und Rohstoffkosten, die Lohnkosten liegen dagegen deutlich unter 25 Prozent; kein Wunder, denn seit 1960 ist die Arbeitsproduktivität um den Faktor 4 gestiegen, während die Materialproduktivität nur um den Faktor 2 und die Energieproduktivität lediglich um den Faktor 1,5 wuchsen.

EINSPAREN UND ERNEUERN_ Ehrgeizige Ziele für eine Effizienzrevolution zu formulieren bedeutet nicht, Komfortverzicht zu predigen. Es ist möglich, weniger Energie und Rohstoffe zu verbrauchen ohne Abstriche bei den gewünschten Leistungen wie behagliche Raumwärme, konstante Stromleistungen oder bequeme Mobilität. Im Bereich Bauen und Wohnen etwa kann durch eine intelligente Nutzung und ein Recycling der Materialien der Verbrauch in den nächsten 20 Jahren halbiert werden. Im Energiebereich kann bis Mitte des Jahrhunderts die 2000-Watt-Gesellschaft (Leistungsbedarf pro Kopf) gegenüber heute 5500 Watt verwirklicht werden, rund zwei Drittel davon mit Hilfe erneuerbarer Energien. Folgende Schritte sind dafür notwendig:

- Potenziale zur Steigerung der Produktivität und zur Reduktion von Umweltbelastungen müssen für die wichtigsten Rohstoffe und Materialien und über die gesamte Prozesskette hinweg systematisch erfasst werden. In einem ersten Schritt haben das BMU und das Umweltbundesamt dafür sieben konkrete Aktionsfelder vorgeschlagen. Dazu gehören beispielsweise der Ressourceneinsatz in der Informations- und Kommunikationstechnologie, die Zukunft von Stahl und Phosphor oder der Bereich Bauen und Wohnen.

- Konkrete Branchen- und Regionalkonzepte, um die Handlungsoptionen zur Nutzung der Energie- und Ressourcenproduktivität zu erfassen und zu nutzen. Dazu werden Branchendialoge geführt, die in der Zusammenarbeit von Ministerium, Wissenschaft und Vertretern von Unternehmen entsprechende Programme entwickeln sollen.

- Einsatz von Instrumenten wie Einpreisung des Naturkapitals, Ökodesignstandards, Top-Runner-Programme (bei denen das jeweils effizienteste Gerät den Standard setzt), erweitertes Abfallrecht (Produktverantwortung), Innovations- und Technologieförderung, Abbau umweltschädlicher Subventionen, Kennzeichnungspflicht oder Marktanreizprogrammen zur Umsetzung von Produktivitätssteigerungen.

DIE ALTERNATIVE IST KLAR_ Nur wenn es generell zu Einsparungen, Effizienzsteigerung und erneuerbaren Energien kommt, wird der weltweit wachsende Energiehunger keine dramatischen Folgen haben. Dasselbe gilt für alle Rohstoffe. Die Möglichkeiten für eine Effizienzrevolution sind da: In der Regel rechnet sich das "Einsparkraftwerk" durch die Vernetzung einer Vielzahl technischer, organisatorischer und kultureller Maßnahmen mehr als der Ausbau von Mega-Watt. Von daher ist die ökologische Modernisierung keine Frage der technischen Möglichkeiten, sondern eine der politischen Durchsetzungskraft. Und das ist nicht zuletzt ein Argument für den Ausbau von Mitbestimmungs- und Teilhaberechten.


 



DER ÖKOLOGISCHE NEW DEAL
Netzwerk für "grüne Zukunftsmärkte"

Auf Initiative des Bundesumweltministeriums ist Anfang März das "Netzwerk Ressourceneffizienz" gegründet worden.

Es soll das Know-how zum sparsameren Umgang mit Energie und Rohstoffen bündeln und den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik intensivieren. Unternehmer, Ingenieure, Entwickler, Wissenschaftler, Ausbilder, Vertreter von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen sollen die branchenübergreifende Plattform dazu nutzen, relevante Technologien und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten und im Idealfall konkrete Kooperationsprojekte zwischen den Netzwerksteilnehmern anzustoßen.

Ziel sei es, "Deutschland bis zum Jahr 2020 zur ressourceneffizientesten Volkswirtschaft der Welt" zu machen, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel bei der Auftaktkonferenz. Regelmäßige Netzwerkkonferenzen, Expertenveranstaltungen, eine neue Internetplattform und Pilotvorhaben sollen dazu beitragen, dass sich vor allem kleine und mittlere Unternehmen die exportträchtigen "grünen Märkte der Zukunft" erschließen.

 

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