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Magazin Mitbestimmung

: Aufbruch im Autoland

Ausgabe 07+08/2010

REGION STUTTGART Elektrofahrzeuge sollen einmal den mehr als 100 Jahre alten Verbrennungsmotor ersetzen. Dem Automotive Cluster um Stuttgart stehen schwierige Zeiten bevor. Von Stefan Scheytt

STEFAN SCHEYTT ist Journalist in Rottenburg am Neckar./Foto: EnBW AG

Als der südwestdeutsche Energieversorger EnBW Anfang Juli in Stuttgart 500 Elektro-Bikes an 500 private Testfahrer übergab, war das weit mehr als nur der Auftakt eines ungewöhnlichen Feldversuchs; die medienwirksam inszenierte Übergabe von "Deutschlands größter Elektroflotte" auf dem zentralen Platz der Landeshauptstadt sollte, so die Projektpartner, "Elektromobilität im öffentlichen Raum sichtbar machen" und "die Akzeptanz für diese zukunftsweisende Antriebstechnologie steigern". Es ging darum zu zeigen, dass die Autoregion die Zeichen der Zeit erkannt hat und sich für die Zukunft rüstet. "500 Testfahrer bringen gemeinsam mit uns E-Mobilität auf die Überholspur", texteten die Werber der EnBW.

ÜBERHOLSPUR ODER RANDSTREIFEN?_ Man kann die Übergabe der E-Bikes aber auch ganz anders deuten - als den Anfang vom Ende des Verbrennungsmotors und damit auch des wichtigsten Automotive Clusters der Welt. In der Region Stuttgart verdienen 180 000 Menschen ihr Geld bei Daimler und Porsche, bei weltbekannten Zulieferern wie Bosch, Mahle, Behr und Eberspächer oder bei Ingenieurdienstleistern wie Bertrandt, insgesamt mehr als 400 Unternehmen. Was Firmenlenker wie der Geschäftsführer des Zulieferers Mann+Hummel als Paradigmenwechsel beschreiben, verdichtet sich im Foto des Oberbürgermeisters von Stuttgart, wie er behelmt auf einem von 25 neuen, in Italien gebauten Elektro-Rollern des städtischen Fuhrparks sitzt.

Ausgerechnet in der Autostadt Stuttgart, die sich bisher ihrer "Premiumautos" und Dickschiffe vom Porsche Cayenne bis zur S-Klasse und zum Maybach rühmte, werden jetzt E-Bikes und E-Roller als "Alternative zum Auto" gepriesen, mithin Fahrzeuge mit einer Handvoll PS, die nicht einmal 50 km/h fahren und spätestens nach 120 Kilometern zum Stromtanken an die Steckdose müssen; und die nicht sehr viel mehr kosten als bei der E-Klasse von Mercedes das Zusatzpaket mit Kartennavigation und DVD-Wechsler. Wechselt die Autoregion mit der E-Mobilität auf die Überholspur, oder gerät sie viel eher auf den Randstreifen?

Wie dramatisch sich der Umstieg vom Verbrennungs- zum Elektromotor einmal auswirken könnte, zeigt der Blick auf das Mercedes-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim, ein klassisches Aggregatewerk mit Gießerei und rund 20 000 Beschäftigten. Was sie entwickeln, an Einzelteilen herstellen und schließlich zu Vier-, Sechs- und Achtzylindermotoren montieren - Zylinderköpfe, Kurbelgehäuse, Pleuel -, dazu Getriebe und Achsteile, ist in einem Elektroauto schlicht überflüssig. "Deshalb diskutieren wir sowohl im Betriebs- und Gesamtbetriebsrat als auch mit dem Management sehr intensiv darüber, wie aus grüner Technologie neue Beschäftigungsfelder entstehen könnten", sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Nieke.

Nieke erinnert an eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1997. Damals wurde festgehalten, dass im Falle eines Erfolgs bei der Brennstoffzelle darauf geachtet werden müsse, auch im Werk Untertürkheim Produktionsmöglichkeiten zu schaffen. "Es hieß damals, 2007 könne man mit der Brennstoffzelle in der A-Klasse in Serie gehen", erinnert sich Nieke. Daraus ist nichts geworden, Brennstoffzellen treiben heute nur wenige Hundert Mercedes-Modelle an. Auch beim Elektroantrieb, sagen die meisten Experten, dauere es noch viele Jahre, bis auch nur wenige Prozent der konventionellen Motoren ersetzt werden könnten. "Wenn man 2020 den Schalter vom Verbrennungs- zum Elektromotor umlegen würde, müsste es einem Himmelangst werden, aber das wird nicht so sein", sagt Nieke. "Zwischen 2020 und 2040 werden sich die Beschäftigungseffekte beider Technologien irgendwie aneinander vorbeischieben."

WENIGER "GUTE ARBEIT"?_ Das klingt nach sehr viel Zeit. Aber je entfernter der Horizont, umso mehr Unbekannte gibt es im Wettrennen der Automobilkonzerne um den richtigen Alternativantrieb. Niemand weiß heute, welches Konzept sich durchsetzen wird - der reine Elektroantrieb, Hybride oder am Ende doch die Brennstoffzelle? Niemand weiß auch, wie sich die Klimadebatte entwickeln und welche neuen, restriktiven Regulierungen zum CO2-Ausstoß im In- und Ausland sie noch zur Folge haben wird - worunter besonders die Hersteller hochwertiger Fahrzeuge leiden würden. Zusätzlicher Druck kommt von den Kunden in Westeuropa, die immer öfter auf Kleinwagen umsteigen, was zum Problem der Premiumhersteller wird, aber auch ihrer Zulieferer, die vor allem an neuer Technik für die Oberklasse verdienen. Und was bedeutet es für Daimler, Bosch und Co., wenn der Ölpreis explodiert?

Es gibt viele gute Gründe, sich zu sorgen, aber viele Betriebsräte und Manager sprechen das nur aus, wenn sie anonym bleiben. Jürgen Dispan hat das erfahren. Der Regionalwissenschaftler am Stuttgarter IMU-Institut beschäftigt sich im Auftrag der IG Metall, des Regionalverbands, der IHK und der Handwerkskammer seit Jahren mit der Wirtschaft im Großraum Stuttgart. Im aktuellen Strukturbericht über die Region, für den Dispan mit zwei Dutzend Akteuren gesprochen hat, zitiert er einige ihrer Aussagen anonym: "Es wird nicht so ablaufen wie ein einfacher Modellwechsel. Es werden nicht so viele und nicht so gute Arbeitsplätze im Sinne ‚guter Arbeit‘ wie heute sein. Es wird sehr stark in Richtung neue GmbH-Gründungen gehen, womit dann Billigstandorte in Deutschland geschaffen werden."

"Bei den Automobilherstellern fragt man sich hinter vorgehaltener Hand längst, womit man künftig seine Tausende von Mitarbeitern im Motorenbau beschäftigen soll", sagt einer angesichts der Tatsache, dass die Fertigung des Elektromotors im Vergleich zum Verbrennungsmotor etwa zwei Drittel weniger arbeitsintensiv ist. Dabei ist völlig ungewiss, ob wenigstens das restliche Drittel in der Region bleibt: "Das Produktionsthema wird hier am Standort immer schwieriger. Die große Motorisierung in China und Indien werden wir hier nicht produzieren. Wenn wir gut sind, schaffen wir es, die Forschung und Entwicklung hier zu halten." "Zu dem heißen Eisen, wo die Produktion sein wird, will ich lieber gar nichts sagen." "Der Worst Case wäre, dass der Elektro-Antriebsstrang nicht in der Region produziert wird, weil keine rentable Fertigung hier möglich ist. Dann sieht es ganz düster für die großen Werke im Neckartal und Umgebung aus."

PRODUKTIONSSTANDORT MIT ZUKUNFT?_ Kritisch ist die Lage vor allem bei den kleineren und mittleren Zulieferern. "Sie haben kaum Kapazitäten und Finanzen, sich auf komplett neue Technologien einzustellen", meint IMU-Wissenschaftler Dispan. "Zudem stellen in dieser heftigen Umstrukturierungsphase die Hersteller die Frage ‚Make or buy?‘, es wird neu entschieden über Eigen- oder Fremdfertigung." In seinem Bericht zitiert Dispan den Betriebsrat eines mittleren Zulieferers mit dem Satz: "Wenn der Trend hin zum rein elektrischen Antrieb geht, bleibt für uns als Mechanik-Zulieferer kaum was übrig außer vielleicht der Handbremse."

Für Jürgen Dispan steht deshalb außer Frage, dass nicht alle 180 000 Auto-Jobs in der schwäbischen Auto-Region zu halten sein werden. "Das ist fast ein Allgemeinplatz, und das sagen auch die Betriebsräte durch die Bank." Allein schon wegen des jährlichen Produktivitätsfortschritts, aber auch wegen der "Verschiebung der Märkte in Richtung Asien gerade bei den Premiumherstellern", für die China teilweise schon das größte Absatzgebiet ist. Nimmt man den radikalen Umbau durch den Elektroantrieb hinzu, landet man bei Annahmen wie der von Daimler-Betriebsrat Wolfgang Nieke. Er glaubt, dass zwischen 2020 und 2030 zwischen 10 000 und 20 000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten, also in etwa so viele wie in den Jahren 1990 bis 1996, als 25 000 Stellen im Autobau wegfielen. Verständlich deshalb, dass Jürgen Dispan nicht gefällt, wie in der Diskussion über den Umbruch der Region die Chancen oft sehr viel stärker betont würden als die Risiken. "Politiker und Unternehmer denken vor allem an den Technologiestandort Baden-Württemberg und Stuttgart, und der ist tatsächlich ganz gut gewappnet. Aber es wird zu wenig dafür getan, dass die Region auch im selben Maß Produktionsstandort bleibt."

DAS AUTO NEU DENKEN_ Und was können Betriebsräte dazu beitragen? Dieter Knauß ist Erster Bevollmächtigter der IG Metall Waiblingen und Sprecher der IG-Metall-Region Stuttgart. Er sitzt im Stuttgarter Hauptbahnhof, gleich fährt er zu einer Vorstandssitzung nach Frankfurt - mit dem Zug, nicht mit dem Auto. Der Schlossplatz, auf dem die 500 E-Bikes an ihre Testfahrer übergeben wurden, ist nur fünf Gehminuten entfernt. "Die Automobil-Lastigkeit der Region, die wir schon lange thematisieren, hat in den letzten Jahren sogar noch zugenommen", beklagt Knauß. Das Thema sei aber meist untergegangen, "weil die Stückzahlen in den Autofabriken und bei den Zulieferern stiegen. Jeder der sagte: ‚Das geht nicht ewig so weiter‘, wurde täglich widerlegt."

"Wenn man das Auto richtig denkt", sagt Dieter Knauß, der sich schon vor 20 Jahren mit Konversionsprojekten beschäftigte, "dann muss man auch die Bahn und den ÖPNV mitdenken. Und wenn das Auto nicht mehr dafür steht, dass man es gesellschaftlich zu etwas gebracht hat, dann stellt sich die Frage: ‚Brauche ich überhaupt noch ein eigenes Auto?‘" Dann fahre man die langen Strecken mit dem Zug, die kurzen in der Stadt mit dem E-Smart oder dem E-Bike. "Und wenn man dann wirklich mal ein großes Auto für den Wochenendausflug mit der Familie braucht, dann leiht man sich eines beim Carsharing-Anbieter." Solche Nachdenklichkeit sei in großen Teilen der Arbeitnehmerschaft leider noch nicht sehr ausgeprägt, umso mehr müssten sich Arbeitnehmervertreter darum bemühen, die Debatte weiterzutreiben. "Betriebsräte und Aufsichtsratsmitglieder können nicht sehr viel mehr tun, als beharrlich nachzufragen, Informationen einzufordern über die Strategien der Unternehmen. Nach meiner Erfahrung muss man da kleine Brötchen backen, das ist ein langer, zäher Prozess, aber ohne den geht es nicht."

"Ich glaube", sagt Dieter Knauß, bevor er in den Zug steigt, "wir werden den Strukturwandel nicht ohne Brüche schaffen. Hoffentlich sind sie möglichst sanft." Bei einer der Podiumsdiskussionen zum Thema, die es jetzt häufer gibt in und um Stuttgart, hat sein Kollege Uwe Meinhardt, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Stuttgart, vor wenigen Monaten gemahnt: "Wenn wir den Übergang zu einer anderen Art von Mobilität nicht schaffen, erleben wir hier eine Katastrophe, dann spielen wir Detroit."


Mehr Informationen

Autoland BadenWürttemberg: Die Krise und ihre Folgen. Von Stefan Scheytt (Hier pdf zum Download)

 


 

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