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Magazin Mitbestimmung

: 'Wir wollen nicht der bessere BUND werden'

Ausgabe 09/2008

INTERVIEW IG-BCE-Vorstandsmitglied Michael Vassiliadis über den richtigen Energiemix für Deutschland, sein Engagement für die Kohle und sein Interesse an CSR

Das Gespräch führte KAY MEINERS/Foto: Michael Cintula

Herr Vassiliadis, wenn Sie Ihrer Gewerkschaft eine Schulnote für Umweltfreundlichkeit geben müssten, wie sähe das Ergebnis aus?
Ich würde uns eine gute Drei geben. Also durchaus befriedigend. Aber in reiner Form wird das Fach bei uns sowieso nicht gelehrt. Uns geht es darum, Zielkonflikte zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft zu bearbeiten. Das ist unser Hauptfach. Wir wollen nicht der bessere BUND werden.

Was heißt das? Soll alles bleiben, wie es ist?
Im Gegenteil, wir sind für Fortschritt, das ist unser Gestaltungsauftrag. Aber Fortschritt hat nicht nur eine ökologische, sondern mindestens genauso eine ökonomische und eine soziale Dimension. Wer das vernachlässigt, wird in keiner der drei Dimensionen eine nachhaltig positive Entwicklung erreichen können. Unsere große Chance ist, dass heute ökonomischer, sozialer und ökologischer Fortschritt eher miteinander zu vereinbaren sind als in früheren Jahrzehnten. Wir suchen nach Win-win-Situationen.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie hat die IG BCE einmal als Hindernis für den Strukturwandel bezeichnet.
Für eine Lobbyorganisation, die sich weder Zielkonflikten stellt noch sie aushalten muss, so wie wir das tun, ist solche Schelte leicht zu machen. Aber in der Sache ist das natürlich reiner Unsinn. Tatsache ist: Wir sind für so einen Verband unbequem, weil wir Wahrheiten auf den Tisch bringen, die man nicht ignorieren kann. Ein Beispiel: Ein Industrieland wie Deutschland kann nicht allein mit regenerativer Energie auskommen. Allein der hohe Flächenverbrauch etwa für Energiepflanzen wird darüber hinaus zu Akzeptanzproblemen führen. Wer das außer Acht lässt, wird scheitern.

Sie sagen, regenerative Energien würden über Gebühr gefördert. Was stört Sie daran?
Dass man nicht über die Kosten spricht. Anschubfinanzierungen sind grundsätzlich in Ordnung. Aber irgendwann muss ein Produkt auch mal marktfähig sein. Man kann nicht ewig subventionieren. Da stellt sich die Frage nach angemessenen Zeiträumen.

Die EU-Kommission hat als Ziel für das Jahr 2020 einen Anteil regenerativer Energien von 18 Prozent im Auge. Ist das unrealistisch?
Möglicherweise kann man das mit extremen Anstrengungen schaffen. Aber die Folgen tragen die Verbraucher - in Form hoher Strompreise.

Sind nachhaltige Strategien eher hinderlich oder eher förderlich für den Wettbewerb?
Wenn wir Nachhaltigkeit ökologisch, wirtschaftlich und sozial definieren, stärkt das langfristig die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und unseres Landes. Es stimmt aber nicht, dass es von vornherein einen Wettbewerbsvorteil gibt, wenn man die Wirtschaft ökologisiert.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Erkenntnis?
Ein Beispiel: Wenn wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, brauchen wir Wachstum, auch wenn das nicht immer umweltneutral möglich ist. Wir wollen nicht auf Wachstum verzichten, weil Wachstum der Motor für alles ist, was wir heute als Fortschritt bezeichnen. Es ist notwendig, das immer wieder in aller Klarheit zu sagen, weil es in Teilen unserer Gesellschaft eine Art ökologischen Fundamentalismus gibt, der unserem Land sehr schaden kann.

Die fossilen Brennstoffe sind endlich.
Das ist sicherlich eine ökologische, ökonomische und soziale Herausforderung. Gerade in Zeiten der Globalisierung, also unter den Bedingungen eines härteren Wettbewerbs. Nicht jedes Land auf der Welt kann sich die umweltverträglichste Technik leisten. Umso wichtiger ist es, realistische Ziele zu setzen.

Nennen Sie uns mal ein Beispiel, wo strenge Umweltstandards einer Wirtschaft Nachteile bringen.
Der Emissionshandel bedeutet für einen Kraftwerksbetreiber und die betroffenen Industriezweige erst einmal höhere Kosten. Um diese Logik kommt man nicht herum.

Die IG BCE hat sich gegen nationale Alleingänge ausgesprochen. Ist das nicht Lobbyarbeit für CO2-intensive Branchen?
Die Idee, marktwirtschaftliche Instrumente zu nutzen, um Emissionen zu beschränken, ist ja nicht völlig abwegig. Aber es gibt eben keinen globalen Emissionsmarkt, sondern eine nationale Politik, die Marktmechanismen verzerrt. Darauf hinzuweisen hat nichts mit Lobbyismus zu tun, das verlangt schon der gesunde Menschenverstand.

Die meisten Ökonomen sind der Ansicht, dass die komparativen Vorteile des Emissionshandels die Nachteile überwiegen.
Es ist die Aufgabe der Politik, den effizienten Einsatz von Ressourcen zu fördern. So weit gehen wir mit. Aber Energie ist in Deutschland schon jetzt ziemlich teuer. Wir haben eine spezifische Form der Energieerzeugung, auf die wir Rücksicht nehmen müssen.

Sie meinen die Kohleverstromung mit einem hohen Anteil von Braunkohle. Tut es einem Chemiegewerkschafter nicht in der Seele weh, wenn fossile Rohstoffe einfach verbrannt werden?
Es gibt höhere Veredelungsstufen. Wir wissen, dass wir es mit knappen und wertvollen Rohstoffen zu tun haben. Aber Strom brauchen wir auch. Und Kohle ist nun einmal unverzichtbar, um die Grundlast bei der Stromerzeugung zu decken. Sie ist der wichtigste Energieträger in der Stromwirtschaft.

Brauchen wir einen hoch subventionierten deutschen Steinkohlenbergbau, wenn man die Kohle auf dem Weltmarkt billiger kaufen kann?
Erstens sind die Beihilfen für die Steinkohle längst nicht so hoch, wie wider besseres Wissen von ihren Gegnern behauptet wird. Zweitens sinken diese Beihilfen kontinuierlich, anders als beispielsweise in der Landwirtschaft. Drittens schrumpft der Preisvorteil von Importkohle gegenüber der Steinkohle derzeit dramatisch. Viertens wären wir in Deutschland schlecht beraten, wollten wir unsere Energieversorgung nur von Importen abhängig machen. Deshalb hat die IG BCE auch durchgesetzt, dass der Bundestag im Jahr 2012 den für 2018 beschlossenen Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlenabbau überprüfen wird. Ich halte es für sehr gut möglich, dass dieser Ausstiegsbeschluss dann gekippt wird.

Derzeit könnte man mit dem Ausstieg viel Geld sparen.
Der Ausstieg aus der heimischen Steinkohle ist genauso wenig umsonst zu haben. Wir verlieren Arbeitsplätze und die Basis unserer international höchst leistungs- und wettbewerbsfähigen Bergwerkstechnik. Im Übrigen, das sei gesagt, weil die Gegner der Kohle da keinen Unterschied machen: Unsere Braunkohle ist absolut wettbewerbsfähig. Aber das entscheidende Argument bleibt, dass aus Gründen der Energiesicherheit heimische Kohle unverzichtbar ist.

Braunkohle, der wichtigste heimische Energieträger, ist leider sehr schmutzig. Kaum ein Land nutzt sie in dem Ausmaß wie Deutschland zur Stromerzeugung - ihr Anteil liegt bei 25 Prozent.
Gemessen an anderen Ländern, etwa China, und auch gemessen an unserer Wirtschaftskraft, halte ich das, was wir in Deutschland absolut an Emissionen freisetzen, für vertretbar. Außerdem haben wir alle Möglichkeiten, den im internationalen Vergleich schon guten Wirkungsgrad unserer Kraftwerke noch weiter zu steigern.

In 30 Jahren ist der Wirkungsgrad von 35 Prozent auf 45 Prozent gestiegen. Das ist löblich, aber eine Revolution sieht anders aus.
Wenn wir Wirksames für den Umwelt- und Klimaschutz tun wollen, sollten wir neueste Braunkohletechnik aus Deutschland nach China bringen. Das geht aber nur, wenn wir in Deutschland nicht selbst Investitionen in neue Kohlekraftwerke erschweren - mit dem Hinweis, man wolle das Kohlezeitalter nicht verlängern. Anderswo laufen deshalb alte Braunkohlekraftwerke weiter. Das ist doch widersinnig.

Der Emissionshandel und die so genannte Clean-Coal-Technik, die Emissionen verhindern oder z.?B. in Gesteinsschichten einlagern soll, dürften die Kohle noch teurer machen.
Warten wir doch erst einmal die Ergebnisse der laufenden Pilotprojekte ab. Diese Technologie ist genauso neu wie manches auf dem Feld alternativer Energien. Clean-Coal verdient genauso eine Chance wie man sie anderen neuen Formen der Energiegewinnung einräumt.

Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Regierung den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die IG BCE steht offiziell hinter dem Ausstieg, aber kommt das von Herzen? Hubertus Schmoldt redet ganz offen über eine Verlängerung der Laufzeiten.
Wir wollen einen guten Energiemix. Wenn die Politik ihn aus dem Gleichgewicht bringt, muss sie eine Lösung finden.

Ihre Organisation hat den Ausstieg nicht gewollt.
Wir warnen seit jeher, fundamentalistisch mit solchen Fragen umzugehen. Heute stellt sich die Aufgabe, wie man den Ausstieg konkret ausgestaltet - auch vor dem Hintergrund der Energiepreise oder der CO2-Debatte. Wir haben es dabei mit einem klassischen Zielkonflikt zu tun. Mein Eindruck ist, dass die Politik sich um klare Antworten herummogelt.

Worauf gründet sich dieser Eindruck?
Manche Politiker reden, als käme nach dem Ausstieg aus der Kernenergie der Kohleausstieg. Auf beide Energieformen verzichten zu wollen ist aber Träumerei. Wir wollen einen Energiemix, der Freiräume schafft, auch für erneuerbare Energien.

Hält Ihre Gewerkschaft an der Position fest, dass Deutschland unabhängig von der Nutzung im eigenen Land weiter Atomtechnik exportieren sollte?
Wir sind der Meinung, dass eine Firma wie Siemens in der Lage sein muss, an anderen Stellen der Welt Kernkraftwerke zu bauen, wenn dies gewünscht wird.

Hubertus Schmoldt hat von einer "Betonmentalität" in der Atom-Frage gesprochen, auch in Teilen der SPD und bei den Gewerkschaften. Was ist damit gemeint?
Kerntechnik birgt auch Risiken, wer wollte das bestreiten? Das Fatale in Deutschland ist aber, dass sich das politische Spektrum entlang einer Energieform sortiert. Das gibt es so in keinem anderen Land.

Viele Leute sind besorgt.
Sorgen müssen genauso ernst genommen werden wie Fakten und Argumente. Deshalb sollten wir die überholten Debatten der 70er Jahre nicht weiter führen. In anderen Fragen, etwa zur Beteiligung der Bundesrepublik an UN-Mandaten, haben die Grünen oder die SPD sich ja auch enorm gewandelt.

Seit 2007 sitzen Sie im Rat für nachhaltige Entwicklung, der stark auf Selbstverpflichtungen im Sinne von Corporate Social Responsibility (CSR) setzt. Was schätzen Sie an dem Gremium?
Der Rat ist multidisziplinär zusammengesetzt, und dort diskutieren auch Leute ernsthaft miteinander, die in der Öffentlichkeit sonst eher diplomatische Noten austauschen. Wichtig ist, dass im Rat ein umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit entwickelt und definiert wird - nicht nur ökologisch, sondern eben auch ökonomisch und sozial.

Können Sie denn schon Ergebnisse vorweisen?
Aufgabe des Rates ist, die Bundesregierung zu beraten und die jeweiligen Interessen und Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen. Das hat zum Beispiel schon zu einer höheren Qualität der Debatte um CSR beigetragen.

An den Veranstaltungen nehmen auch PR-Agenturen teil. Da werden manche Leute misstrauisch.
Auch wenn CSR seine Ursprünge im Marketing hat, so hat sich dieser Ansatz doch in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Es ist in der Regel ein ernsthafter Versuch der Unternehmen, sich gesellschaftlich verantwortlich zu verhalten. Das finde ich sehr spannend.

Auf einer Veranstaltung des Rates im vergangenen Jahr sollten alle Teilnehmer sagen, was sie von den anderen erwarten. Auffällig war, dass keinerlei Erwartungen an die Arbeitnehmervertreter formuliert wurden.
Die Gewerkschaften haben bisher das Thema CSR nicht ausreichend mitgestaltet. Aber wer sich nicht beteiligt, der spielt auch keine Rolle. Wir müssen höllisch aufpassen, in dieser Debatte nicht den Anschluss zu verpassen.

Müssen wir nicht auch höllisch aufpassen, dass CSR keine Konkurrenzveranstaltung zur Mitbestimmung wird?
Gerade wenn wir Mitbestimmung wollen, müssen wir uns bei CSR einbringen. Nur wenn wir das nicht tun, erwächst daraus eine Gefahr für die Mitbestimmung.

Wie ist das zu verstehen?
Die Gewerkschaften dürfen nicht nur zu Kontrolleuren sozialer Standards werden, die andere setzen. Unsere Aufgabe ist es, die Gestaltungsrolle, die uns in der sozialen Marktwirtschaft zukommt, auch auszufüllen. Wir kommentieren, bewerten, kritisieren. Aber wir müssen wieder stärker dahin, die Unternehmen und die Arbeitswelt selbst zu gestalten.

Eine Möglichkeit wäre, sich über grüne Themen zu profilieren - zum Beispiel im Aufsichtsrat.
Immer, wenn es um konkrete Entscheidungen geht - um Investitionen, Verkäufe oder Erweiterungen - hat das auch eine ökologische Komponente, übrigens bei beiden Seiten. Mir ist der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen wichtig, aber ich würde grüne Themen nicht nutzen, um mich als Arbeitnehmervertreter einseitig zu profilieren..


ZUR PERSON

MICHAEL VASSILIADIS wurde 1964 in Essen geboren, machte bei Bayer eine Ausbildung zum Chemielaboranten und wurde 1980 Mitglied der IG Chemie-Papier-Keramik. Er hat zahlreiche ehrenamtliche Funktionen in der Gewerkschaft übernommen und ist seit März 2004 Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der IG BCE. Vassiliadis ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der K+S AG und der K+S Kali GmbH, Mitglied der Aufsichtsräte der Henkel KGaA, Düsseldorf, der BASF SE, Ludwigshafen, und der Evonik Steag GmbH, Essen. Er ist Mitglied der SPD.

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