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Zwölf Euro sind möglich und nötig Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Zeiterfassung ohne Ausnahme

Ausgabe 06/2020

Unternehmen sind verpflichtet, die Arbeitszeiten aller Beschäftigten systematisch aufzuzeichnen. Das ist technisch machbar und kein Freibrief für Überwachung.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Mai 2019 festgestellt, dass die EU-Staaten Arbeitgeber verpflichten müssen, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Mit den Hintergründen und Folgen dieser Entscheidung hat sich der Rechtswissenschaftler Daniel Ulber von der Universität Halle-Wittenberg auseinandergesetzt. Seinem vom DGB geförderten und in der HSI-Schriftenreihe veröffentlichten Gutachten zufolge sind die Vorgaben der Europarichter unmittelbar umzusetzen – und zwar ohne Ausnahmen für einzelne Branchen oder Beschäftigtengruppen. Das ergibt sich aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der Grundrechtecharta der Europäischen Union.

Arbeitsschutz funktioniert nur mit Zeiterfassung

Um Schäden an Leib und Seele der Beschäftigten vorzubeugen, schreibt die Arbeitszeitrichtlinie eine Mindestruhezeit von 11 Stunden sowie eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von maximal 48 Stunden im Durchschnitt vor. In Deutschland sieht das Arbeitszeitgesetz eine Obergrenze für die tägliche Arbeitszeit von in der Regel 8 Stunden vor. Ob diese Vorgaben eingehalten werden, ist nach der Auffassung des EuGH  nur dann überprüfbar, wenn Beginn und Ende der Arbeitszeit erfasst werden. Nur mithilfe entsprechender Aufzeichnungen könnten Arbeitgeber ihren Verpflichtungen zur Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Höchstgrenzen für die Arbeitszeit nachkommen, Behörden und Betriebsräte ihre Kontrollfunktion ausüben und Beschäftigte ihre Rechte wirksam geltend machen.

Die Entscheidung entfalte bereits jetzt verbindliche Wirkung in Deutschland, schreibt Ulber. Unabhängig davon sollte das nationale Recht aus Transparenzgründen rasch angepasst werden. Das „Ob“ der Erfassung stehe dabei nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Das Urteil biete grundsätzlich keine Möglichkeit, bestimmte Personengruppen oder Betriebe pauschal auszunehmen. Lediglich beim „Wie“ der Umsetzung bestehe ein gewisser Spielraum: Ein konkretes System der Arbeitszeiterfassung gebe der EuGH nicht vor. Allerdings habe er festgestellt, welche Anforderungen durch dieses erfüllt sein müssen.

Arbeitszeit muss jederzeit abrufbar sein

Der Jurist arbeitet heraus, dass Arbeitgeber auch schon bislang dafür verantwortlich waren, die Einhaltung der gesetzlichen Höchstgrenzen für die Arbeitszeit sicherzustellen. Zum einen sei dafür erforderlich, dass der Arbeitgeber zu jeder Zeit weiß, ob der Gesundheitsschutz gewahrt ist, um bei Verstößen sofort eingreifen und Beschäftigte schützen zu können. Dabei gehe es grundsätzlich nur um zwei Daten, so der Experte – die Zeitpunkte, zu denen eine Arbeitstätigkeit aufgenommen und beendet wird. Diese Informationen müssten aber unverzüglich abrufbar sein. Verfahren, bei denen die Arbeitszeit nachträglich erfasst wird, indem Beschäftigte beispielsweise Stundenzettel ausfüllen und später beim Personalverantwortlichen abgeben, seien unzulässig. So könnten Verstöße nur festgestellt, aber nicht verhindert werden. Die aufgezeichneten Daten müssten den Beschäftigten zudem jederzeit zugänglich sein.

Darüber hinaus muss die Arbeitszeiterfassung dem Gutachten zufolge so manipulationssicher wie möglich erfolgen. Grundsätzlich geeignet seien technische Systeme, bei denen Beschäftigte sich anmelden und deren Aufzeichnungen sich nicht einseitig ändern lassen. Als Beispiele nennt Ulber elektronische Personalkarten, über die das Betreten und Verlassen des Betriebsgeländes registriert werden kann, oder die Anmeldung per App. Mobile Beschäftigte könnten auch per SMS oder E-Mail die Tätigkeitsaufnahme anzeigen. 

Kein Freibrief für Leistungskontrolle

Eine Rechtfertigung für massive Eingriffe in den Datenschutz stelle das EuGH-Urteil nicht dar, betont der Autor: „Nur zum Zwecke der Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen der Richtlinie dürfen punktuell Informationen erhoben werden.“ Beginn und Ende der Arbeitszeit seien aufzuzeichnen, darüber hinausgehende Maßnahmen, die auf die Kontrolle von Arbeitsverhalten oder Leistung abzielen, wie das Erheben von Bewegungsprofilen oder Keylogging seien von der Entscheidung der Europarichter weder gefordert noch gedeckt.

Generell hat der EuGH mit seinem Urteil laut Ulber keine neuen Tatsachen geschaffen, sondern lediglich klargestellt, was geltendes Recht ist auch im Hinblick auf die sogenannte Vertrauensarbeitszeit: Auch schon bislang befreite die Einführung von Vertrauensarbeitszeit den Arbeitgeber nicht von seinen arbeitsschutzrechtlichen Organisationspflichten. Weder habe es eine Befugnis gegeben, die Arbeitszeit überhaupt nicht zu erfassen, noch eine Möglichkeit, die Verantwortung für die Einhaltung des Arbeitszeitrechts auf die Beschäftigten zu delegieren. Auch künftig sei es möglich, Beschäftigte frei wählen zu lassen, wann sie arbeiten solange Beginn und Ende der Tätigkeit wirksam dokumentiert werden.

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