Arbeitszeit-Debatte: Das Arbeitszeitgesetz ist relevanter und zeitgemäßer denn je
„Mehr Bock auf Arbeit“ und eine „dringende Reformierung des Arbeitszeitgesetzes“ gehen als Forderungen an den eigentlichen Herausforderungen unserer Zeit komplett vorbei, schreibt Yvonne Lott. Vielmehr sollten dringend die Zeitbedürfnisse der Beschäftigten ernst genommen werden.
[27.10.2025]
Wie viel Erwerbsarbeit passt ins Leben? Werden die Beschäftigten gefragt, ist die Antwort deutlich: Der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten ist in der Erwerbsbevölkerung weit verbreitet. Frauen wie Männer wollen im Durchschnitt vier Stunden in der Woche weniger arbeiten. Einen Bedarf an kürzen Arbeitszeiten von mehr als zwei Stunden pro Woche hat knapp die Hälfte der erwerbstätigen Männer (53 Prozent) und Frauen (47 Prozent). Nachzulesen im WSI Genderdatenportal.
Die Politik muss dringend die Zeitbedürfnisse der Beschäftigten ernst nehmen – mit Maßnahmen, die die Gesundheit, die Vereinbarkeit von Beruf und Sorgearbeit sowie soziale Gerechtigkeit stärken. Die aktuelle Bundesregierung scheint jedoch einen anderen Weg einschlagen zu wollen: noch mehr Zeit für den Erwerbsjob. Damit folgt sie Arbeitgeberverbänden und konservativen Stimmen, die seit langem eine Aufhebung bestehender Arbeitszeitregelungen und „mehr Bock auf Arbeit“ fordern.
Interessanterweise wird die Reform des bewährten Arbeitszeitgesetzes mit dem Argument begründet, die Regelungen seien nicht mehr zeitgemäß. Nun ist es tatsächlich so, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen deutlich verändert haben. Als Folge der gestiegenen Erwerbstätigkeit von Frauen und des demografischen Wandels stehen viele Beschäftigte vor der Herausforderung, Beruf und Sorgearbeit zu vereinbaren. Hohe Belastungen im Arbeitsleben schlagen sich in steigenden Fehlzeiten nieder.
Aufgrund tiefgreifender Transformationsprozesse des Arbeitsmarkts stehen Beschäftigte nicht nur unter zunehmendem Druck, sich kontinuierlich weiterzubilden – wofür selbstverständlich ebenfalls Zeit benötigt wird. Sie müssen zudem mit den Anforderungen einer digitalen Omnipräsenz, eines „Always-on“, umgehen, die durch Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht wird. Knapp 22 Prozent der Beschäftigten geben beispielsweise an, außerhalb der normalen Arbeitszeiten beruflich erreichbar sein zu müssen, etwa per E-Mail oder Telefon.
Unsere biologischen Bedürfnisse bestehen jedoch nach wie vor: Wir brauchen ausreichend Schlaf und Zeit zur Erholung, um gesund zu bleiben. Daran hat der Wandel in der Arbeitswelt nichts geändert. Im Gegenteil: Deren Erfüllung wird zunehmend erschwert. Vor diesem Hintergrund ist unser Arbeitszeitgesetz keineswegs veraltet, sondern relevanter und zeitgemäßer denn je.
Dr. Yvonne Lott leitet das Referat Geschlechterforschung im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Weitere Informationen
Der komplette Newsletter
Newsletter Hans.
Unsere Inhalte bequem alle 14 Tage in den Posteingang?
Jetzt hier unseren Newsletter HANS. abonnieren!