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Globalisierung braucht soziale Regulierung Böckler Impuls

Weltwirtschaft: Globalisierung braucht soziale Regulierung

Ausgabe 19/2019

Dass Schwellen- und Entwicklungsländer von der Produktion für internationale Konzerne ökonomisch und sozial nennenswert profitieren, ist keineswegs garantiert. Das zeigt ein Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung. 

Anhänger wirtschaftsliberaler Handelstheorien argumentieren, die Verlängerung der Wertschöpfungsketten schaffe Wohlstand in weniger entwickelten Ländern: Wenn dort für große Unternehmen aus den Industrieländern produziert werde, komme Geld und Knowhow ins Land, was ein allgemeines wirtschaftliches und soziales „Upgrading“ bewirke – also zum einen die Basis für eine eigenständige industrielle Entwicklung schaffe und zum anderen den Lebensstandard erhöhe. Inwieweit dieses Versprechen in der Praxis eingelöst wird, untersuchen Petra Dünhaupt, Hansjörg Herr, Fabian Mehl und Christina Teipen von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt. Ihre ersten Ergebnisse machen deutlich: Automatisch funktioniert das erhoffte Upgrading nicht. Ob Zulieferbetriebe oder Produktionsstätten der großen Konzerne aus den Industrieländern nennenswert zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beitragen oder nicht, hängt von den Rahmenbedingungen ab. Etwa von der Art und Weise, wie investiert wird, von der Stärke der örtlichen Gewerkschaften, der nationalen Wirtschaftspolitik oder den von internationalen Organisationen durchgesetzten Mindeststandards. 

 

Die Branche spielt dabei nicht unbedingt die entscheidende Rolle. So hat etwa die Produktion für die Auto­industrie in China zu einem merklichen wirtschaftlichen Aufschwung geführt. In Südafrika und Brasilien kommt jedoch kein ökonomisches Upgrading in Gang. Dort sind – dank relativ starker Gewerkschaften – mit Blick auf Löhne und Arbeitsbedingungen immerhin soziale Verbesserungen in den Werken von Autoherstellern und -zulieferern zu beobachten, schreiben die Forscherinnen. In Indien hingegen sieht es in beiderlei Hinsicht schlecht aus. „Konträr zu der verbreiteten Annahme, dass die Integration in globale Wertschöpfungsketten mit der Schaffung von formellen und gut bezahlten Arbeitsverhältnissen einhergeht, zeigt sich im Fall der indischen Autoindustrie ein entgegengesetzter Trend: Die Mehrzahl der Arbeitsplätze ist informell und damit keiner nationalen Arbeitsregulierung unterworfen.“ Hier stagnieren die Reallöhne und der Anteil der Leiharbeit in der Autoproduktion nimmt immer weiter zu, von 13 Prozent im Jahr 2000 auf 46 Prozent im Jahr 2015. 

 

Dass die Produktion für internationale Autokonzerne in Indien kaum positiv auf die übrige Wirtschaft ausstrahlt, liegt daran, dass die exportstärksten Unternehmen einschließlich ihrer direkten Zulieferer mehrheitlich ausländischer Herkunft sind. Es findet jedoch kein nennenswerter Technologietransfer zu der im internationalen Vergleich großen Anzahl von kleineren und mittleren Zulieferern statt; die Wirtschaft vor Ort profitiert so kaum von der Produktion von Vorleistungen. Unternehmen, die in Zukunft selbstständig Produkte entwickeln und Investitionen tätigen können, entstehen selten. In Brasilien und Südafrika hat es die Automobilindustrie in noch geringerem Ausmaß geschafft in die Bereiche hoher Wertschöpfung wie Forschung, Design und Aufbau von eigenen Marken vorzudringen. Ganz anders in China: Hier hat staatliche Industriepolitik mit harten Vorgaben von Anfang an verhindert, dass sich ausländische Investoren darauf beschränken, das Lohngefälle zu Europa oder Nordamerika auszunutzen. Die Regierung ließ Direktinvestitionen nur in Form von Joint Ventures mit einheimischen Unternehmen zu und verpflichtete die Investoren, Vorprodukte bei örtlichen Anbietern einzukaufen. So ist die chinesische Autoindustrie inzwischen zur größten der Welt avanciert – auch mit eigenen Marken und im nationalen Vergleich guten Löhnen und Arbeitsbedingungen. 

 

Weitere Branchen, die sich die Forscherinnen angeschaut haben, sind die Bekleidungsindustrie, die Produktion von Elektronik-Hardware und IT-Dienstleistungen. Die Bekleidungsindustrie unterscheidet sich dabei am deutlichsten vom Automobilsektor. Hier haben die führenden Firmen fast die gesamte Produktion in Niedriglohnländer ausgelagert. Die Produktion ist wenig spezialisiert und Aufträge können relativ umstandslos dem einen Unternehmen entzogen und an ein anderes vergeben werden. So hat die „ausgesprochen starke Machtasymmetrie zwischen den Firmen im globalen Norden gegenüber den Produzenten in den Ländern des globalen Südens zu einem race to the bottom geführt”. Die Preise sinken. Und die „Niedriglohnkonkurrenz geht mit einer Missachtung von Arbeitnehmerinteressen einher. Exzessive Überstunden sind die Regel: einerseits aufgrund niedriger Stundenlöhne und andererseits aufgrund schwankender Produktionsaufträge und kurzfristiger Lieferziele“.

 

Der größte Kleidungsexporteur ist China. Dort gibt es der Analyse zufolge gewisse Anzeichen für ein Upgrading. Einige Produzenten haben begonnen, eigene Marken zu entwickeln und investieren in neue Technologien oder in umliegende, weniger entwickelte Länder. 60 Prozent der chinesischen Hersteller sind jedoch noch immer „einfache Erstausrüster mit entsprechend geringen Profitmargen“. Die Bezahlung ist in den vergangenen zehn Jahren infolge höherer Mindestlöhne und regionalen Arbeitskräftemangels zwar besser geworden, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus. Beschäftigt in der chinesischen Kleidungsindustrie sind überwiegend Wanderarbeiterinnen. 

 

Deutlich trostloser ist das Bild, das die Wissenschaftler­innen von der Bekleidungsindustrie in Vietnam und Bangladesch zeichnen. Dort wird im Auftrag internationaler Konzerne zugeschnitten und genäht, dabei entwickelt sich jedoch keine Industrie, die ihren Auftraggebern mit größerem Selbstbewusstsein gegenübertreten könnte. Zu Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen kommt es am ehesten punktuell durch wilde Streiks. 

 

Eine Besonderheit in Bangladesch: Infolge des Rana-Plaza-Unglücks, bei dem 2013 mehr als 1100 Menschen beim Einsturz einer Textilfabrik starben, gilt hier ein internationales „Multi-Stakeholder-Abkommen“: der sogenannte Bangladesch-Akkord, eine Vereinbarung zwischen internationalen Einkäuferfirmen sowie nationalen und internationalen Gewerkschaften, die die internationalen Einkäufer zur Durchsetzung von Sicherheitsstandards in Gebäuden bei ihren Zulieferern verpflichtet. „Im Hinblick auf Gebäudesicherheit kam es seitdem zu einigen Verbesserungen; der Akkord wird jedoch vonseiten einheimischer Unternehmensverbände und der Regierung zunehmend als Einmischung in nationale Angelegenheiten und Bevormundung wahrgenommen. Mittelfristig wird daher der Einfluss nationaler Akteure gegenüber transnationalen Akteuren wachsen“, schreiben die Forscherinnen.

 

In der Branche Elektronik-Hardware, insbesondere bei der Herstellung von Mobiltelefonen, ist Vietnam in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Low-Cost-Standorte für die Produktion geworden. 99 Prozent des Exportwerts der Branche beruhen auf der Fertigung für multinationale Konzerne, zum Beispiel Samsung. Dabei montieren die Standorte in Vietnam lediglich importierte Komponenten. Zu einem ökonomischen Upgrading komme es auf diese Weise nicht, urteilen die HWR-Wissenschaftlerinnen. Auch in sozialer Hinsicht ist die Bilanz ernüchternd: Die Bezahlung sei nicht Existenz sichernd, was die Beschäftigten, darunter viele Frauen, zu vielen Überstunden zwinge. Anders ist die Lage in Brasilien, wo die großen Elektronikkonzerne nicht wegen der niedrigen Löhne, sondern wegen der hohen Importzölle für Fertigprodukte produzieren lassen. Hier waren zumindest die Löhne und Arbeitsbedingungen deutlich besser – nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen eine Folge des strikten Arbeitsrechts und relativ starker Gewerkschaft

en. So zählten die brasilianischen Werke von Samsung und des taiwanesischen Konzerns Foxconn zu den wenigen gewerkschaftlich organisierten Standorten dieser Unternehmen. 

 

Der Export von IT-Dienstleistungen spielt besonders für Indien eine Rolle. Hier ist es einigen Unternehmen gelungen, in die internationale Liga aufzusteigen. Unter anderem wegen des vergleichsweise hohen Qualifikationsniveaus der Beschäftigten haben einheimische Unternehmen „teils ein beachtliches ökonomisches Upgrading durchlaufen“. Gemessen am Landesdurchschnitt ist die Bezahlung gut und die Beschäftigten arbeiten im formalen Sektor, was in Indien keineswegs selbstverständlich ist. Allerdings „bieten die Arbeitsbedingungen oft wenig Kreativitäts- oder Innovationspotenzial“; zudem sind exzessive Überstunden und Nachtarbeit verbreitet. 

 

Aus ihren Beobachtungen folgern die Forscherinnen, dass die Integration der Länder des globalen Südens in weltweite Wertschöpfungsketten nicht automatisch zu einem Aufholprozess in diesen Ländern führt. Lasse man den Marktmechanismus gewähren, steige nur die Ungleichheit zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern sowie innerhalb der jeweiligen Ländergruppen an. Ein zentrales Ergebnis des Forschungsprojektes sei, dass ökonomisches Upgrading nur durch umfangreiche Industriepolitik und soziales Upgrading durch starke Gewerkschaften sowie gute – und durchgesetzte – Arbeitsgesetze in den jeweiligen Ländern erreicht wurde. Bemühungen in dieser Richtung können vom globalen Norden unterstützt werden, auch durch die Gewährung von mehr Freiheiten für weniger entwickelte Länder in Sachen Industriepolitik. Ebenso dringend bräuchten Schwellen- und Entwicklungsländer „Unterstützung durch internationale Organisationen sowie zivilgesellschaftlicher und gewerkschaftlicher Akteure in Ländern des globalen Nordens“, um eine Politik durchzusetzen, die ihnen längerfristig eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt ermöglicht. Naheliegend seien Regulierungen entlang der Wertschöpfungskette – auch wenn mit dem Bangladesch-Akkord dafür bislang nur ein einziges, für einen kleinen Teilbereich wirksames Musterbeispiel vorliegt.

Petra Dünhaupt, Hansjörg Herr, Fabian Mehl, Christina Teipen: Entwicklungschancen durch Integration in globale Wertschöpfungsketten, WSI-Mitteilungen 6/2019

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