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Frust an der Basis Böckler Impuls

Arbeitswelt: Frust an der Basis

Ausgabe 15/2025

Sie leisten oft Arbeiten, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Dennoch erhalten ­Beschäftigte in Berufen ohne formale Qualifikation nur wenig Anerkennung. Das ist nicht gut für die Demokratie.

Während die öffentliche Debatte sich vor allem um den Fachkräftemangel dreht, steht eine große Gruppe von Beschäftigten im Schatten. Es sind die Menschen, die an Supermarktkassen sitzen, Krankenhäuser oder Büros putzen, Pakete ausliefern oder alte oder kranke Menschen unterstützen. Auch sie bilden das Rückgrat der Gesellschaft. Zugleich sind sie in mehrfacher Hinsicht benachteiligt und werden von der Politik zu wenig beachtet. Zu diesem Ergebnis kommen Johanna Siebert und Mara Buchstab vom Progressiven Zentrum, einem Berliner Thinktank.
 
Siebert und Buchstab, die auch auf der diesjährigen LABOR.A auftreten werden, haben untersucht, wie Menschen, die un- und angelernte Tätigkeiten verrichten, auf ihre eigene Arbeit, den Wandel der Arbeitswelt und die Gesellschaft blicken. Sie fragen, wie diese Beschäftigten – die Autorinnen nennen sie „Basisarbeiter:innen“ – ihre oftmals schwierigen Arbeitsbedingungen und unsichere Arbeitsplatzsituation wahrnehmen. Und nicht zuletzt, welche Auswirkungen das auf ihre Offenheit gegenüber Transformationsprozessen und ihr Vertrauen in die Demokratie hat. Die Analyse stützt sich auf Interviews mit Gruppen und einzelnen Personen sowie auf eine Befragung von rund 1000 Basisarbeiterinnen und -arbeitern sowie einer etwa ebenso großen Gruppe von Erwerbstätigen in qualifizierten Berufen.

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Infografik: Im Vergleich zur übrigen Erwerbsbevölkerung sind Basisarbeiter:innen im Durchschnitt einer stärkeren körperlichen Belastung ausgesetzt. Rund ein Drittel der Befragten aus diesem Bereich – gegenüber gut einem Fünftel der höher Qualifizierten – ist sich unsicher, ob sie bis zum Renteneintritt durchhalten werden. Auch bei Job-Sicherheit, Weiterbildung und Anerkennung in der Gesellschaft sehen sie sich im Nachteil.
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In Deutschland gibt es zwischen fünfeinhalb und knapp acht Millionen Menschen in un- und angelernten Tätigkeiten. Damit stellen die Basisarbeiterinnen und -arbeiter rund ein Fünftel der gesamten Erwerbsbevölkerung dar. Sie bilden jedoch alles andere als eine homogene Gruppe: Es gibt Überschneidungen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnsektor, aber auch gut entlohnte, gewerkschaftlich organisierte und sichere Basisarbeit. Was viele Menschen an der Basis eint, sind Sorgen um die Zukunft. Während gut bezahlte, tarifgebundene Arbeitsplätze in der Produktion abgebaut werden, wachsen von prekärer Arbeit geprägte Branchen. Auch bei jenen, die bislang sichere und gut bezahlte Jobs haben, nimmt angesichts des Strukturwandels vielfach die Angst vor einem Statusverlust zu – man befürchtet, in prekäre Verhältnisse abzurutschen.

Basisarbeit ist im Dienstleistungssektor am weitesten verbreitet: 72 Prozent der Basisarbeiterinnen und -arbeiter sind dort beschäftigt, in der Industrie sind es rund 26 Prozent. Eine Aufschlüsselung der Basisarbeit nach Berufsgruppen zeigt, dass der größte Teil im Bereich Verkehr und Logistik arbeitet, dicht gefolgt von den Reinigungsberufen. Viele sind außerdem als Hilfskräfte im Gesundheitswesen, in Erziehungsberufen, in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung, in der Metallbranche, im Gastgewerbe sowie im Einzelhandel tätig.

Vielfach benachteiligt

Im Durchschnitt verfügen Basisarbeiterinnen und -arbeiter über ein geringeres Bildungsniveau und Einkommen und ihre Interessen werden seltener durch einen Betriebs- oder Personalrat vertreten. Zudem werden sie schlechter entlohnt. Viele von ihnen empfinden ihre Arbeit als so belastend, dass sie sich fragen, ob sie diese bis zum Renteneintritt ausüben können. Im Vergleich zu Menschen in qualifizierten Berufen verfügen Basisarbeiterinnen und -arbeiter über weniger Möglichkeiten, sich an eine veränderte Arbeitswelt anzupassen, etwa durch Weiterbildung. In Debatten über die Zukunft der Arbeit angesichts von Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischem Wandel wird Basisarbeit selten thematisiert. Ein Beispiel: Obwohl sowohl in qualifizierten als auch in ungelernten Berufen  Arbeitskräfte fehlen, konzentriert sich die Diskussion oft allein auf das Fehlen von Fachkräften.

Die Folge ist, dass viele Betroffene das Gefühl haben, abgehängt zu werden, ohne etwas dagegen tun zu können. Knapp die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft nicht ausreichend anerkannt wird. Auch von der Politik fühlen sich viele mit ihren Anliegen übersehen. Fast die Hälfte stimmt der Aussage zu: „Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut.“ Dies sagen allerdings auch knapp 40 Prozent der Beschäftigten in qualifizierten Berufen. Der Anteil derjenigen, die darauf vertrauen, dass die Politik ihre Sorgen ernst nimmt und sich um ihre Probleme kümmert, liegt in beiden Gruppen mit unter zehn Prozent äußerst niedrig.

Das ist umso bedenklicher, als Basisarbeiterinnen und -arbeiter oft in Jobs arbeiten, die für das Funktionieren der Gesellschaft unverzichtbar sind. Sie leisten systemrelevante Arbeit – auch wenn das nicht auf sämtliche Basisarbeit zutrifft und natürlich auch Menschen in qualifizierten Berufen wie beispielsweise Pflegefachkräfte, Feuerwehrleute oder Ingenieurinnen in der Energieversorgung systemrelevante Arbeit leisten. „Angesichts der Relevanz ihrer Arbeit dürfen wir es uns als Gesellschaft nicht länger leisten, die Anliegen von Basisarbeiter:innen politisch unbearbeitet zu lassen“, schreiben Siebert und Buchstab. Es sei notwendig, den Menschen an der Basis zuzuhören und praktische Maßnahmen zur Aufwertung ihrer Berufe umzusetzen. Dazu zählten unter anderem eine Erhöhung des Mindestlohns, eine Stärkung der Tarifbindung oder die Rückführung zentraler Tätigkeiten in den öffentlichen Dienst.

Für das Funktionieren unserer Demokratie sei es von zentraler Bedeutung, sich um die Anliegen von Arbeiterinnen und Arbeitern zu kümmern – nicht zuletzt angesichts der wachsenden Zustimmung zu rechtspopulistischen Parteien. „Denn je selbstbestimmter und sicherer Beschäftigte in ihrer Arbeit sind, desto offener sind sie gegenüber Transformationsprozessen und desto stärker ist ihr Vertrauen in die Demokratie.“

Johanna Siebert, Mara Buchstab: Die Unverzichtbaren: Menschen in Basisarbeit. Erkenntnisse für eine politische Auseinandersetzung mit ihren Perspektiven und Forderungen in der Transformationsgesellschaft, Das Progressive Zentrum, Berlin 2025

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