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Crowdworker: Nur scheinbar unabhängig Böckler Impuls

Künstliche Intelligenz: Crowdworker: Nur scheinbar unabhängig

Ausgabe 12/2020

Die auf Crowdworking-Plattformen übliche computergesteuerte Auftragsvergabe verändert die Arbeitswelt. Diese Ausübung von Arbeitgebermacht könnte auf andere Branchen übergreifen.

In der Frühphase der Industrialisierung versuchten Unternehmer, durch Verschärfung der Fabrikdisziplin und Ausweitung der direkten Kontrolle von Beschäftigten ihre Profite zu steigern. Heute sind Fabriken und Büros für etliche Erwerbstätige nicht mehr der zentrale Schauplatz der Arbeit. Daher haben sich neue Mechanismen herausgebildet, um die Beschäftigten zur Verausgabung ihrer Arbeitsleistung zu bewegen. An der Spitze der Entwicklung steht die Arbeitszuteilung und -bewertung über Crowdworking-Plattformen. Christine Gerber vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat anhand von Interviews mit Plattformbetreibern und Crowdworkern sowie einer Onlinebefragung, an der sich mehr als 1000 Crowdworker beteiligt haben, untersucht, wie das Plattformregime funktioniert. Ihr Ergebnis: An die Stelle der direkten Überwachung ist eine ebenso wirksame indirekte Kontrolle getreten. Plattformarbeiter disziplinieren sich selbst, weil sie wissen, dass regelkonformes Verhalten die besten Bewertungen und damit Aufträge einbringt. Allerdings liegen die Regeln, die Algorithmen, nicht offen. Gerade diese Unsicherheit hält die Crowd in Atem – und stellt die Unterordnung der Auftragnehmer unter den Auftraggeber und das Plattformmanagement sicher. 

Trotz formaler Unabhängigkeit seien die Akteure auf den Plattformen keineswegs gleich, vielmehr seien die sozialen Beziehungen hier „klassenförmig strukturiert“, schreibt Gerber. Wer als Crowdworker bewusst oder unbewusst von der gewünschten Norm abweicht, wird nicht getadelt, sondern muss Abstriche bei seinem Ranking hinnehmen und bekommt die schlechteren Aufträge. Beschwerdemöglichkeiten gibt es oft gar nicht oder sie sind so undurchsichtig gestaltet, dass sie schwer zu nutzen sind. 

Intransparenz ist ein wesentliches Merkmal der Plattformarbeit: Denjenigen, die – als Selbstständige – ihre Arbeitskraft anbieten, werden viele Informationen vorenthalten. Gerade bei Mikroaufgaben, etwa dem Abschreiben von Tondokumenten oder Verschlagworten von Bildern, wissen sie oft nichts über den Auftraggeber, das Gesamtprodukt oder darüber, wie viele andere gerade an derselben Aufgabe arbeiten. Ob Aufträge wegen einer allgemeinen Flaute ausbleiben, ob der Zuteilungsalgorithmus damit frühere Leistungen sanktioniert oder ob er andere Crowdworker bevorzugt und wenn ja, warum – all dies ist ungewiss. Teilweise werden die Crowdworker nicht einmal bezahlt für ihre Arbeit. Mit der oft betonten Offenheit von Plattformen ist es in Wirklichkeit nicht weit her. Nur bei wenigen ist es möglich, alle vorhandenen Projekte oder Aufgaben zu überblicken. Algorithmen sorgen dafür, dass gerade als leistungsschwach eingestufte Crowdworker das meiste nicht zu sehen bekommen. 

Crowdworker verfügen zwar über eine Art von Autonomie, die es in klassischen Beschäftigungsverhältnissen nicht gibt: Sie brauchen keinen Auftrag anzunehmen, den sie nicht wollen. Und eine technisch mögliche Permanentüberwachung durch Aufzeichnung der Tastenanschläge oder Bildschirmfotos kommt nur in Einzelfällen vor. Aber den Crowdworkern stehen auf der anderen Seite nur wenige Handlungsoptionen offen: nämlich die, die der Plattformbetreiber vorgegeben hat. Wenn Kritik nicht vorgesehen ist, gibt es keine Kritik. So beschränkt sich der Widerstand der Crowdworker gegen als unfair wahrgenommene Praktiken in der Regel auf Versuche, die Algorithmen auszutricksen. Etwa dadurch, dass sie Bewertungssysteme nutzen, um sich gegenseitig gute Arbeit zu bescheinigen, oder Aufträge unter der Hand weitergeben. Solche „Spielchen“ – Arbeitssoziologen sprechen von „work games“ – tragen jedoch eher zur „Stabilisierung der Macht- und Ausbeutungsverhältnisse“ bei, weil sie den Beschäftigten das Gefühl geben, den Vorgaben des Arbeitgebers nicht machtlos gegenüberzustehen.

Dennoch fallen die Wahrnehmungen der Crowdworker insgesamt recht positiv aus, so Gerber. Offenbar gelinge es den Plattformbetreibern, „die mobile und unabhängige Crowd in einer Kontrollbeziehung zu halten und ihre Ausbeutung durch Selbstdisziplinierung zu sichern“. Das „algorithmische Management“, für das die Plattformen ein Testfeld seien, habe sich als funktional herausgestellt. Digitale Reputationssysteme und automatisierte Aufgabenzuordnung könnten daher „auch in anderen Bereichen Fuß fassen und tun dies bereits“ – beispielsweise in Callcentern oder im Bereich Handel und Logistik.

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