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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Beschäftigte wollen Fairness und Effizienz

Ausgabe 03/2016

Leistungsgerechtigkeit empfinden Beschäftigte als hohes Gut. Gleichzeitig ist ihnen wichtig, dass ihr Betrieb transparent und effektiv organisiert sowie am Markt erfolgreich ist.

Was Beschäftigte in ihrem Berufsleben als gerecht und ungerecht empfinden und welche Ansprüche sie an ihre Arbeit richten, haben Mitarbeiter des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung München und des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Dafür haben sie 320 Arbeitnehmer aus Industrie, Bauwirtschaft und Dienstleistungen befragt und zusätzlich Interviews mit 70 Experten aus Betriebsräten, Gewerkschaften und Management geführt.

Die Befragten erwarten in erster Linie Leistungsgerechtigkeit. Bei Löhnen, Arbeitsbedingungen und Belastungen solle es einen fairen Austausch mit dem Arbeitgeber geben. Zugleich ließen sie aber auch das Fürsorgeprinzip gelten, das die Besonderheiten bedürftiger Personen betont, so die Forscher. Selbstverwirklichung sei als Wunsch verbreitet, werde aber eher nicht als Anrecht formuliert. Beteiligung halten Arbeitnehmer der Studie zufolge für wichtig, allerdings sind die Ansprüche in der Regel auf das eigene betriebliche Tätigkeitsfeld begrenzt. Von einer grundlegenden Demokratisierung der Wirtschaft träume keiner der Befragten. Als gravierende Ungerechtigkeit würden Verletzungen der Menschenwürde empfunden, etwa durch Beleidigungen, Sexismus oder prekäre Beschäftigungsbedingungen.

Ebenso wichtig wie Gerechtigkeitsideale sind den Beschäftigten Ansprüche an die ökonomische Rationalität. Erwartet werden kompetente Vorgesetzte, transparente Regeln und ein effizienter Umgang mit Ressourcen. „Die Beschäftigten wollen einen gut funktionierenden, erfolgreichen Betrieb“, so die Autoren.

Über diese grundsätzlichen Überzeugungen hinaus haben die Forscher auch die konkreten Themen ermittelt, die den Befragten besonders am Herzen liegen. Ein dauerhaftes „Mega-Thema“ ist demnach die Anerkennung und Wertschätzung der Arbeitsleistung. Als Beispiele für problematische Entwicklungen wurden in diesem Zusammenhang ungleiche Löhne für die Arbeit von Kernbelegschaft und Randbeschäftigten in der Industrie und die unzureichende Bezahlung sozialer Dienstleistungen genannt. Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist der Untersuchung zufolge das Thema Belastungen: Viele Befragte berichteten von immer anspruchsvolleren Zielvorgaben, Arbeitsverdichtung und einer wachsenden Aufgabenvielfalt. Ein nicht unerheblicher Teil habe Erfahrungen mit massiver Überlastung und stressbedingten Krankheiten. Angesichts solcher Umstände überrascht es nicht, dass auch Fragen der Work-Life-Balance eine große Rolle spielen. Hier sehen die Soziologen das Problem, dass Beschäftigte sich in der Regel eher um individuelle Arrangements für mehr Vereinbarkeit bemühen, als politisch aktiv zu werden. Insofern bestehe ein „noch nicht ausgeschöpftes Aktivierungspotenzial“.

Wenn es um die Umsetzung von Ansprüchen geht, vertrauen die meisten Studienteilnehmer zum einen auf Gewerkschaften. Trotz Kritik im Detail sei die Unterstützung hier hoch, urteilen die Wissenschaftler. Zum anderen funktioniere die Interessenvertretung durch Betriebsräte insbesondere in den Großunternehmen der klassischen Industrien weiterhin gut. Ein hohes Maß an „Basisaktivität“ in Form von Betriebsgruppen oder kollektiven Protestformen sei vor allem bei Auseinandersetzungen um Standortschließungen oder Personalabbau zu beobachten.

Auffällig ist der Analyse zufolge, dass viele Befragte ihren Bewertungen einen „generellen Trend zur Verschlechterung“ zugrunde legen: Sie gehen allgemein von mehr sozialer Ungleichheit, weniger Sicherheit, stagnierenden Löhnen und steigenden beruflichen Anforderungen aus. Ihre persönliche Situation halten die meisten Arbeitnehmer vor diesem Hintergrund für vergleichsweise komfortabel. Selbst prekär Beschäftigten, die erhebliche Ungerechtigkeit erleben, erscheine ihre Lage in einem günstigen Licht, wenn sie sich mit den Bewohnern der südeuropäischen Krisenländern vergleichen, so die Sozialforscher. Es gebe allerdings Ausnahmen, bei denen ein Vergleich von unten nach oben stattfindet: Viele Mitarbeiter von Zulieferern nutzten die Arbeitsbedingungen bei den Endherstellern als Maßstab und leiteten daraus dezidierte Ansprüche ab. Und bei den befragten Erzieherinnen habe der Vergleich mit besser bezahlten Berufen eine „Gerechtigkeitslücke“ offenbart, die zu anhaltendem gewerkschaftlichem Engagement geführt hat.

Nick Kratzer, Wolfgang Menz, Knut Tullius, Harald Wolf: Beschäftigte wollen Gerechtig­­keit – und einen effektiv geführten Betrieb (pdf), Policy Brief der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung, Februar 2016

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