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Bernd-Georg Spies Stipendien

Altstipendiat: Der Headhunter

Ausgabe 05/2013

Vom Arbeitersohn zu einem der bekanntesten Headhunter Deutschlands: Bernd-Georg Spies kennt die verschiedenen Gesichter des Kapitalismus. Doch seine Wurzeln hat er nie vergessen. Von Daniel Seemann

Von seinem Büro in der Hamburger Innenstadt aus kann Bernd-Georg Spies sehen, wenn die Flutlichtmasten des Millerntor-Stadions ihre Strahlen in den Nachthimmel werfen. Dann schnappt er sich seinen Fanschal und macht sich zu Fuß auf zu seinem Lieblingsverein, dem FC St. Pauli. Heute ist er dessen Vizepräsident. Er weiß, was es bedeutet, die Seele des Clubs zu erhalten und gleichzeitig die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Denn Spies kennt beides, die Welt des professionellen Managements, aber auch den Kiez, das Arbeitermilieu. Seit 15 Jahren fahndet er hauptberuflich als Partner der globalen Personalberatung Russell Reynolds weltweit nach Spitzenmanagern. Vor allem im Energie- und Industriesektor zählt Spies zu den Top-Headhuntern in Deutschland. Wenn ihn ein Unternehmen beauftragt, schaut Spies zuerst in seine Datenbank und identifiziert interessante Profile. Oder er hört sich in seinem Netzwerk aus Unternehmensberatern, Managern, Bankern und Journalisten aus der Branche um. Die meisten Kandidaten, die Spies dann anruft, haben schon einmal von ihm gehört. „Sie werden in der deutschen Energiewirtschaft wenige Top-Manager finden, die meinen Namen nicht kennen“, sagt Spies selbstbewusst.

Was er sucht, seien neue Managerprofile, sagt Spies. Führungskräfte, die nicht nur den Wirtschafts-, sondern auch den Politikteil und das Feuilleton einer Zeitung lesen. Kandidaten, die auch ethisch knifflige Situationen lösen können. Die Sensibilität, dass es neben der betriebwirtschaftlichen auch noch eine andere Wirklichkeit gibt, so sagt er, sei für die Arbeit in den Führungsetagen essenziell. Spies hat mehrere Wirklichkeiten kennengelernt. Sein Vater war Betriebsrat in einem Chemieunternehmen, das zur BASF-Gruppe gehörte, seine Mutter Hausfrau. Nach der Realschule machte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und holte dann das Fachabitur nach. Er bekam einen Studienplatz an der Gesamthochschule Wuppertal, studierte Wirtschaftswissenschaften und wurde von der Hans-Böckler-Stiftung als Stipendiat angenommen. 470 Mark gab es im Monat. In den Semesterferien jobbte er zusätzlich in besagtem Chemieunternehmen, tauschte auf dem Betriebsbahnhof Schwellen aus. Harte, körperliche Arbeit. „Das Studium war keine ausgelassene Partyzeit, sondern eher eine intellektuelle Fortsetzung des industriellen Arbeitsprozesses“, sagt er.

Danach arbeitete er beim Institut für Sozialforschung in Saarbrücken, wurde Referent beim DGB-Bundesvorstand in Düsseldorf und ging Anfang der 1980er Jahre nach England, der Liebe wegen. Dort erlebte er den Niedergang der alten Industriezweige hautnah mit. Im Jahr 1986 spitzte sich in Hamburg die Werftenkrise zu. Der Senat suchte Leute mit frischen Ideen, und Spies erhielt einen Arbeitsvertrag. Die Frage, wie der Strukturwandel gestaltet werden kann, ließ ihn nicht mehr los. Spies entschloss sich, darüber zu promovieren, und schrieb in einem halben Jahr seine Doktorarbeit. Doch er war noch nicht angekommen.

Die Suche nach neuen Herausforderungen trieb ihn nach der Wende nach Ostdeutschland. Spies arbeitete an verschiedenen Werftstandorten, übernahm später im Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern die Abteilung Industrie- und Energiepolitik und war für das Land in mehreren Aufsichtsräten tätig. Mehr als einmal musste er den wirtschaftlichen Realitäten hart ins Auge sehen.

Dabei, sagt er, sei er eigentlich „von Natur aus ein Industrieromantiker“. Manche Erinnerungen haben sich tief in ihn eingeschrieben: Als er als Student mit dem Zug von Köln nach Wuppertal pendelte, da vibrierte dort der Bahnsteig vom Aufprall der Pressen einer nahen Maschinenfabrik, gesteuert von Menschenhand. Diese Vorstellung, sagt er, fasziniere ihn bis heute.

Heute habe die Arbeit ihr Gesicht verloren. Die Menschen sitzen nur noch vor ihren Bildschirmen in ihren Büros. „Das hat nichts Sinnliches mehr“, erklärt er. Sein eigener Arbeitsalltag sieht auch nicht anders aus. Manchmal, wenn er den Kopf freibekommen will, schwingt er sich auf sein Rennrad. Er fährt los und verliert sich in den Landschaften, die an ihm vorüberziehen. Oder er frönt seiner alten Leidenschaft, dem Fußball. Zwar ist Spies bei St. Pauli heute meist im VIP-Bereich zu finden. „Doch eigentlich“, sagt er wehmütig, „würde ich lieber wie früher bei den Fans sein.“

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