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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Was Europa für Arbeitnehmer tun muss

Ausgabe 09/2019

Die EU muss mehr tun, um Arbeitnehmerrechte zu stärken. Sonst ist die Mitbestimmung in Europa in Gefahr.

Die Interessen der Arbeitnehmer in Europa sind in den vergangenen Jahren oft zu kurz gekommen. Umso wichtiger ist es, dass sich dies in der nächsten Legislaturperiode der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments ändert. Wo die europäische Politik ansetzen muss, zeigt ein Report des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.). Die wichtigsten Forderungen der Experten:

Mitbestimmung europaweit absichern Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist in den einzelnen Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich geregelt. Aber in 18 von 28 EU-Ländern gibt es ein Recht auf Beteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichts- oder Verwaltungsrat. Je nach Land gelten andere Schwellenwerte, ab welcher Unternehmensgröße Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsrat sitzen. Beispielsweise unterliegen Kapitalgesellschaften in Deutschland der gesetzlichen Mitbestimmung, wenn sie mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Damit Unternehmenschefs die Mitbestimmung nicht einfach unterlaufen können, indem sie den rechtlichen Sitz in ein anderes Land mit niedrigen oder gar keinen Mitbestimmungsrechten verlegen, braucht es strengere Regeln bei der Anwendung von Instrumenten des europäischen Gesellschaftsrechts. Das gerade beschlossene Company Law Package schützt bestehende Mitbestimmungsrechte nur unzureichend, so die Experten. Eine Rahmenrichtlinie zur Mitbestimmung mit europaweit geltenden Mindeststandards und einem dynamischen Element könnte sicherstellen, dass Arbeitnehmer überall geschützt sind, wenn europäisches Gesellschaftsrecht angewandt wird. Es sollte außerdem festgeschrieben sein, dass der rechtliche Sitz eines Unternehmens dort zu sein hat, wo sich die Hauptverwaltung tatsächlich befindet. Reine Briefkastenfirmen sollten verboten werden. 

Missbrauch durch Europa-AG abschaffen Die Societas Europaea (SE) ist eine europäische Rechtsform, die in vielen Bereichen der klassischen Aktiengesellschaft entspricht. Häufig wird die Gründung einer SE dazu genutzt, die deutsche Mitbestimmung zu umgehen – etwa wenn sich ein Unternehmen in eine SE umwandelt, kurz bevor die Arbeitnehmerschaft einen Schwellenwert erreicht, ab dem ein mitbestimmter Aufsichtsrat oder die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat vorgeschrieben ist. Dies ermöglicht Unternehmen, ihren aktuellen Status „einzufrieren“. Sollte die Belegschaft anschließend über die deutschen Schwellenwerte hinaus anwachsen, löst dies derzeit keine Nachverhandlungen über die Mitbestimmungsrechte aus. Dieses Schlupfloch muss geschlossen werden: Wird ein Schwellenwert im Gründungsland überschritten, sollte die Besetzung des Aufsichtsrats in jedem Fall nachverhandelt werden.

Europäische Betriebsräte stärken Europäische Betriebsräte (EBR) vernetzen nicht nur Arbeitnehmer länderübergreifend, sondern auch Arbeitnehmer und Management in internationalen Konzernen. Im Kontext der Globalisierung wird diese Aufgabe immer wichtiger. Bei Entscheidungen der Unternehmensleitung werden die Europäischen Betriebsräte jedoch häufig zu spät informiert oder erhalten nicht alle nötigen Informationen. Das liegt daran, dass es der bestehenden EU-Richtlinie an Verbindlichkeit fehlt. Den Unternehmen, die sich nicht an die Regeln halten, müssen spürbare Sanktionen drohen. Dabei muss sichergestellt werden, dass auch die europäischen Gewerkschaften mit den Unternehmensleitungen verhandeln können und nicht betriebliche Mitbestimmung gegen gewerkschaftliche Interessenvertretung ausgespielt wird.

Investoren in Schranken weisen Die sogenannte Aktionärsrechterichtlinie, die aktuell in nationales Recht umgesetzt wird, stärkt die Position der Aktionäre. Entscheidungskompetenzen werden weg vom Aufsichtsrat hin zu den Investoren verlagert. Beispiel: Bisher entscheidet der mitbestimmte Aufsichtsrat über die Vergütung von Managern, künftig könnte bei dieser Frage die Hauptversammlung mehr Gewicht erhalten. Aktionäre und deren kurzfristiges Gewinnstreben zu bevorteilen, mag einem angelsächsischen Verständnis von Corporate Governance entsprechen. Auf europäischer Ebene wäre eine andere Unternehmensverfassung wünschenswert. Anstelle der Aktionärsrechterichtlinie sollte eine „Stakeholder-Richtlinie“ treten, die die Mitwirkung aller gesellschaftlichen Interessengruppen sicherstellt.

Konzerne auf soziale Ziele verpflichten Unternehmen haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Und sie sollten regelmäßig erklären, was sie tun, um dieser gerecht zu werden. Zwar veröffentlichen die großen kapitalmarktorientierten Unternehmen bereits Berichte zur sogenannten Corporate Social Responsibility. Diese lassen jedoch zu wünschen übrig. Was unter anderem fehlt, ist eine konkrete Berichterstattung über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im gesamten Unternehmen, über die Beteiligung der Arbeitnehmer, über die Förderung benachteiligter Personen und über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Betriebsräte sollten künftig bei der Erstellung der Berichte beteiligt sein. Außerdem braucht es verbindliche Berichte über die Einhaltung von Menschenrechten sowie Umweltstandards entlang der Lieferkette.

Grenzüberschreitende Mitarbeiterkapitalbeteiligung Beschäftigte sollten nicht nur im Unternehmen mitreden, sondern auch am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben können. Aktuell existieren viele Hindernisse, die grenzüberschreitende Beteiligungsmodelle erschweren. Es braucht ein europäisches Rahmenkonzept, das Gewinnbeteiligungen, Belegschaftsaktien oder vermögenswirksame Leistungen fördert und die Besteuerung vereinheitlicht. Eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung darf die bestehende Vergütung allerdings nur ergänzen und muss freiwillig sein.

  • In 18 von 28 EU-Ländern gibt es ein Recht auf Beteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichts- oder Verwaltungsrat. Zur Grafik

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