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Eingang zur Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2024 Service aktuell

Tagungsbericht Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2024: Mitbestimmung und Demokratie nach vorne bringen

In der Welt jagt eine Krise die nächste, die sozial-ökologische Transformation wird immer drängender und die Gesellschaft rückt nach rechts: Für die Gewerkschaften sind das gewaltige Herausforderungen. Die Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2024 zeigte, dass sie engagiert angenommen werden.

[19.06.2024]

Von Joachim F. Tornau

Wenn es mit der Transformation doch immer so reibungslos ginge wie mit der Verwandlung des Stadtbads Prenzlauer Berg in einen Veranstaltungssaal. Ein Zeitrafferfilm zeigte den Teilnehmenden der diesjährigen Böckler Konferenz für Aufsichtsräte, dass sich dort, wo sie gerade saßen, vor kurzem noch ein Schwimmbecken befand. Ins Stadtbad Prenzlauer Berg in Berlin hatten Hans-Böckler-Stiftung und DGB geladen – die Neorenaissance-Schwimmhalle lässt sich bei Bedarf trockenlegen und in einen Veranstaltungssaal verwandeln. Ausgefuchste Technik und ein eingespieltes Team machen es möglich. 

Worauf es ankommt, damit die Transformation auch im Großen funktioniert, beim sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft, war eines der Leitthemen der Tagung, zu der 227 Arbeitnehmervertreter*innen in Aufsichtsräten Mitte Juni nach Berlin gekommen waren. Weitere 230 Menschen verfolgten die Veranstaltung im Livestream.  

Unter dem Titel „Mitbestimmte Unternehmen – starke Demokratie“ spannte die Konferenz einen weiten Bogen: von der Bewältigung der multiplen Krisen über den politischen und gesellschaftlichen Rechtsruck, bis zur Aufsichtsratsarbeit. Und das mit viel Prominenz: Von der Elefantenrunde aller Elefantenrunden sprach Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung, in ihrer Begrüßung. Mit Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall, dem Vorsitzenden der IG BCE Michael Vassiliadis und der stellvertretenden Verdi-Vorsitzenden Andrea Kocsis saßen am Ende des ersten Tages die Spitzen der drei größten Einzelgewerkschaften auf dem Podium. 

Es braucht offensive Veränderung 

Den ersten Aufschlag aber machten die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi und der New Yorker Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Allzu viel Optimismus hatte der Professor von der Columbia University allerdings nicht mitgebracht. „Die Krise ist da“, sagte Tooze. Statt zu versuchen, China als Lieferant von Technik für die Energiewende und die USA als Tech-Vorreiter einzuholen, empfiehlt er der deutschen Wirtschaft „kluge und taktische Anpassung“. Zum Beispiel durch eine Konzentration auf Nischenstrategien oder auf die Verknüpfung von Industrieprodukten mit hochwertigen Dienstleistungen. Wobei sogar eine relative Deindustrialisierung hinnehmbar wäre.  

Auf jeden Fall, sagte Tooze, brauche es offensive Veränderung. Und kein defensives Festhalten am Ist-Zustand, wie es die AfD mit ihren Sündenbock-Ideologien verspreche, um die Verunsicherung der Menschen auszunutzen.

Zwar betonte auch Fahimi: „Die Wirtschaftsstruktur wird nicht bleiben, wie sie ist. Wir sind schon mitten in der Transformation.“ Sie widersprach aber dem Abgesang auf die Industrie in Deutschland. Es gehe darum, neue Industriearbeitsplätze zu schaffen, bevor die alten verschwinden. „Unsere industrielle Basis ist eine so große Stärke, dass wir uns davon nicht verabschieden dürfen.“ Zumal im industriellen Sektor große Potenziale lägen, die Mitbestimmung nach vorne zu bringen – und damit auch die Demokratie in Deutschland zu stärken. Wie dringend notwendig das ist, hatten die Europawahlen kurz vor der Konferenz noch einmal gezeigt. „Es gibt nur einen Weg nach vorne“, sagte die DGB-Vorsitzende. „Wir brauchen mehr soziale Absicherung, mehr Europa und eine klare Fokussierung auf die Aufgabe der Transformation.“ 

  • Yasmin Fahimi und Adam Tooze im Gespräch

„Noch viel Luft nach oben“ 

Und welche Rolle sollten Aufsichtsräte spielen, wenn es um den Weg in die Zukunft geht? Eine deutlich größere als bisher – darüber jedenfalls waren sich die Teilnehmenden eines heterogen besetzten Podiums zum Wandel der Aufsichtsratsarbeit einig.  

„Ein Aufsichtsrat muss heute zu jedem Zeitpunkt strategiefähig sein“, sagte Clara Streit, Vorsitzende der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK). Müsse sich frühzeitig in Strategiediskussionen einschalten und dem Vorstand beispielsweise Fragen mit auf den Weg geben, die durch eine neue Strategie beantwortet werden sollen. Hasan Allak, Aufsichtsratsmitglied und Konzernbetriebsratsvorsitzender bei Continental, formulierte es so: „Ein Vorstand braucht permanente Betreuung aus dem Aufsichtsrat, was Strategie und Strategieanpassung angeht.“ Dennoch hätten erst wenige Aufsichtsräte einen Transformations- oder Strategieausschuss: „Da ist noch viel Luft nach oben.“  

Bei alledem, warnte Sebastian Sick, Jurist am Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung und Mitglied der Kodex-Kommission, dürfe jedoch nicht unter den Tisch fallen, dass die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats die Kontrolle des Vorstands bleibe. Und die Aufgabe der Arbeitnehmerbank, dabei die Interessen der Beschäftigten zu vertreten.  

Fünf Workshops mit Fachleuten aus Gewerkschaften und Hans-Böckler-Stiftung ermöglichten den Teilnehmenden, sich mit aktuellen Themen wie dem EU-Lieferkettengesetz, der unternehmerischen Verantwortung für Demokratie und Menschenrechte oder auch der mitbestimmten Gestaltung des Einsatzes von künstlicher Intelligenz im Detail auseinanderzusetzen. I.M.U.-Direktor Daniel Hay und I.M.U.-Ökonom Sebastian Campagna stellten ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt vor, das betriebswirtschaftlich nach einem Zusammenhang zwischen unternehmerischer Mitbestimmung und digitaler Transformation fragte. "Mitbestimmung ist für Unternehmen auch ökonomisch von Vorteil. Das wissenschaftlich fundiert nachzuweisen, leistet dieses Forschungsprojekt“, sagte Hay. Ergebnis: Es gibt einen signifikant positiven Zusammenhang, besonders ausgeprägt in paritätisch mitbestimmten Unternehmen. Mitbestimmung als Treiber der Digitalisierung also – ein weiteres Argument für den Wert und die Bedeutung der Mitbestimmung.  

  • Podium Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2024

Gewerkschaften haben Lösungen

In der zum Veranstaltungssaal transformierten Schwimmhalle musste davon wohl niemand mehr überzeugt werden. Draußen in der Welt aber sieht das anders aus. „Wir müssen uns warm anziehen“, sagte IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner in der gewerkschaftlichen Elefantenrunde. „Wir sind in einer kritischen Phase.“ Krisen und Sparpolitik ließen die Gegner von Gewerkschaften und Sozialstaat Morgenluft wittern. Hinzu kommt, was auch die Besucherinnen und Besucher der Konferenz bei einer schnellen Umfrage per Smartphone als die drei derzeit größten Herausforderungen für die Gewerkschaften benannten: Mitgliederentwicklung, Gestaltung der Transformation, Erhalt der Demokratie. 

Klar wurde in der engagiert geführten Diskussion der Gewerkschaftsspitzen: Die drei Großherausforderungen hängen eng miteinander zusammen und die Gewerkschaften haben Lösungen. Mit Organizing-Kampagnen, mit direkter Ansprache der Beschäftigten, mit einer Praxis von Mitbestimmung und Tarifpolitik, die viel stärker auf Beteiligung setzt als früher. „Wir müssen zeigen, dass man im Betrieb etwas bewegen kann“, sagte Benner. „Es ist unser Job, das immer mehr Menschen zu ermöglichen.“ So könne man zumindest teilweise kompensieren, was der Politik nicht gelinge: dem Verlust von Vertrauen in die Demokratie entgegenzuwirken. „Das ist Demokratie im Betrieb“, sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis. „Dahinter dürfen wir nicht mehr zurückfallen.“ 

Aufwendig, aber unverzichtbar – für die erfolgreiche Mitgliedergewinnung genauso wie für den Kampf gegen rechts. „Nur eine Brandmauer wird da nicht reichen“, erklärte IG BCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis. „Wir müssen in den Dialog, in die Regionen.“ Und: „Wir müssen aus der Transformation ein Versprechen auf Zukunft machen.“ Leichter gesagt als getan. Aber machbar, davon war die Runde überzeugt. „Die beste Erzählung gegen rechts“, sagte Benner, „ist es, wenn wir den Menschen zeigen, wie stark wir sind in diesem Land.“ Allen Untergangserzählungen zum Trotz: Deutschland habe alles, was es für die grüne Transformation brauche. 

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