zurück
Yasmin Fahimi Magazin Mitbestimmung

Interview: „Weil es um die Zukunft dieses Landes geht“

Ausgabe 06/2022

Im Mai übernahm Yasmin Fahimi den Vorsitz des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Ein Gespräch über den Ernst der Lage und darüber, warum Gewerkschaften gerade jetzt gefordert sind. Das Gespräch führten Kay Meiners und Fabienne Melzer

Gab es schon einmal schwierigere Zeiten für eine DGB-Vorsitzende?

Eine solch überkomplexe Herausforderung wie aktuell hat es sicherlich in der Geschichte der Gewerkschaften nicht allzu häufig gegeben. Wir müssen nicht nur Krisenmanagement betreiben, sondern gleichzeitig den Strukturwandel voranbringen und dabei die Weichen stellen für eine stabile und nachhaltige Wirtschaft mit guten Arbeitsplätzen.

Können Sie sich an etwas Vergleichbares erinnern?

Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen und braucht ihre eigenen Antworten. Unser großer Vorteil in Deutschland ist, dass wir immer noch enorme Potenziale haben. Wir müssen jetzt nur schauen, dass wir diese Potenziale richtig nutzen.

Auslöser des aktuellen Energiepreisschocks ist der russische Angriff auf die Ukraine. Unser Eindruck ist, dass die Gewerkschaftsmitglieder in sehr unterschiedliche Richtungen wollen. Wie geht der DBG damit um?

Wir sind uns völlig einig: Der russische Angriffskrieg ist ohne Einschränkungen zu verurteilen. Die weiteren politischen Schlussfolgerungen wollen aber genau geklärt sein. Wir haben auf dem ordentlichen DGB-Bundeskongress im Mai einen Antrag beschlossen, der die Ambivalenzen zwischen Friedenspolitik und Verteidigungsauftrag aufgreift. Damit ist die Debatte aber nicht abgeschlossen. Deswegen lehnen wir auch jegliche Form militärischer Konfrontation oder auch nur Bedrohung ab. Gleichzeitig sehen wir uns mit einem Aggressor konfrontiert, der mit militärischer Gewalt seine territorialen Interessen durchsetzen will. Und wir reden hier von einem Aggressor, der eine atomare Weltmacht darstellt.

Was bedeutet das konkret?

Wir können uns nicht vor der Frage drücken, wie man in einer solchen Welt für Sicherheit sorgen kann und wie wir uns für einen Verteidigungsfall aufstellen müssen. Doch aktuell gerät eine Frage in der Diskussion zu sehr ins Hintertreffen: Welche Art der Zusammenarbeit, welche Art der Friedensprävention, welche Initiative der Rüstungskontrolle braucht es jetzt trotz alledem, um nicht noch weitere Auseinandersetzungen in der Welt zu provozieren?

Wie groß ist Ihre Sorge, dass die aktuelle Krise die Basis unseres Wohlstands gefährdet?

Die hohen Energiekosten stellen die Wirtschaft und insbesondere die Industrie vor große He­rausforderungen. Die Gasbrücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien funktioniert so nicht mehr; der Umbau muss jetzt schneller erfolgen. Gleichzeitig bewegen wir uns auf eine Rezes­sion zu. Insofern ist die Lage schon bedrohlich. Und machen wir uns nichts vor: Die USA nutzen diese Zeit, um Investitionen und Kapital anzulocken. Insofern müssen wir uns schon anstrengen, um zu beweisen, dass Europa und Deutschland nach wie vor attraktive Industriestandorte sind – und zwar mit guten Arbeitsplätzen. Also wann, wenn nicht jetzt, sind ­Gewerkschaften gefragt, um genau das mitzugestalten?

Damit die Menschen sicher durch den Winter kommen, sind jetzt praktikable und schnell wirkende Lösungen wichtig.

Gibt es bereits Abwanderungen von Unternehmen oder Überlegungen dazu?

Die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie wird davon abhängen, ob und wann wir wettbewerbsfähige Strompreise sicherstellen können. Diese Konkurrenz gibt es schon länger. Sie spitzt sich nun aber zu. Daher ist es jetzt besonders wichtig, keinen weiteren Abwanderungsgrund etwa durch Fachkräftemangel zu schaffen. Es hat den Standort Deutschland immer stark gemacht, dass wir neben der akademischen eine duale Ausbildung haben. Ebenso ist eine funktionsfähige Infrastruktur wichtig. Diese Standortfaktoren dürfen wir nicht verlieren.

Bei der Erhaltung der Infrastruktur gibt es allerdings seit Jahren einen riesigen Investitionsstau. Um diesen Standortfaktor zu erhalten, muss dringend investiert werden. Ist das alles gleichzeitig leistbar?

Es muss leistbar sein, weil es um die Zukunft dieses Landes geht. Wir müssen eine Wirtschaftsstruktur für zukünftige Generationen sicherstellen. Deutschland ist nach wie vor eines der kreditwürdigsten Länder der Welt. Wir haben auch nach wie vor im internationalen Vergleich eine akzeptable Haushaltsverschuldung. Insofern ist das Gerede um ein Festhalten an der Schuldenbremse nichts anderes als eine Bremse unserer Zukunftsfähigkeit.

Sind mehr Schulden die Lösung?

Nein, nicht zwangsläufig. Wir müssen auch das brach liegende Kapital in Deutschland besser mobilisieren, die Umverteilung von Vermögen sicherstellen und es für das Gemeinwohl einsetzen. Dazu gehört eine gerechte Erbschaftssteuer ebenso wie die Vermögenssteuer, die wieder eingeführt werden sollte. Und ich bin mir sicher, dass auch Superreiche mehr zum Gemeinwesen beitragen können – es ist Zeit für eine Vermögensabgabe. Die vor uns liegenden Aufgaben müssen mit Mut angepackt werden. Dazu sind wir bereit. Uns ist wichtig, dass nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg entschieden wird, sondern mit ihnen gemeinsam Vereinbarungen für Zukunftsinvestitionen, für Standortsicherung und für gute Löhne getroffen werden.

Sind Sie zuversichtlich, dass die Tarifpolitik diese hohe Inflation ausgleichen kann?

Das entscheiden unsere Mitgliedsgewerkschaften. Aber: Wir haben immer verantwortungsvolle Tarifpolitik gemacht. Warum sollte das jetzt anders sein? Etliche große Unternehmen haben in diesem Jahr Rekorddividenden ausgeschüttet. Es gibt also nicht unmittelbar einen Grund für Lohnzurückhaltung. Klar ist aber auch, dass die Tarif­politik die Kriegsfolgen, also die extremen Teuerungsraten und Belastungen, nicht allein schultern kann. Politische Maßnahmen und die Tarifpolitik müssen hier ineinandergreifen.

Welche politischen Maßnahmen sollen die Beschäftigten schützen? Immerhin plant jedes vierte Unternehmen laut einer ifo-Umfrage Entlassungen.

Das Kurzarbeitergeld ist sehr wichtig. Die Idee ist ja, dass vorübergehende Rückgänge bei der Auftragslage abgefedert werden und so Beschäftigung gesichert wird. Aber wenn Unternehmen die hohen Energiepreise nicht mehr weitergeben können oder dadurch Kunden wegbrechen und die Nachfrage zurückgeht, greift das bisherige Kurzarbeitergeld zu kurz. Daher tauschen wir uns gerade mit der Bundesregierung über neue Instrumente für solche Fälle aus. Aber natürlich darf es keine Mitnahmeeffekte geben. Deshalb müssen neue Hilfen für die Unternehmen an entsprechende Beschäftigungsvereinbarungen gebunden sein, die mit den Gewerkschaften zu treffen sind.

Sind die Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise sozial ausgewogen?

Damit die Menschen sicher durch den Winter kommen, sind jetzt praktikable und schnell wirkende Lösungen wichtig. Die Gassubventionierung, die jetzt kommt und die im Wesentlichen auf unserem Vorschlag basiert, ist so eine Lösung. Ich habe trotzdem große Sympathie dafür, Mindestabsicherungen gegen Mitnahmeeffekte und für soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Und die gibt es durchaus: Die Abschlagszahlung im Dezember muss ab einem Einkommen von 75.000 Euro versteuert werden. Es gibt einen sozialen Härtefallfonds und Hilfsfonds für soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeheime.

Hat der derzeitige Vorschlag der Gaskommission auch Fehler?

Leider wurde in der Gaskommission ein Vorschlag nicht verhindert: die Option des sogenannten Winterschlafs. Unternehmen können demnach nicht nur bis zu 70 Prozent ihres Gases subventioniert bekommen. Sie können auch die Produktion runterfahren, die Beschäftigten in Kurzarbeit schicken und das subventionierte Gas gewinnbringend am Markt weiterverkaufen. Das muss unbedingt verhindert werden. Sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern ist ein absolutes No-Go!

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen