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Magazin Mitbestimmung

Mitarbeiterbeteiligung: Über die Betriebsverfassung hinaus

Ausgabe 01+02/2013

Seit Jahrzehnten praktiziert das Autohaus Hoppmann sehr erfolgreich eine in Deutschland einmalige Form der Mitbestimmung. Der Eigentümer Klaus Hoppmann hat das Unternehmen 1974 an eine Stiftung übertragen – ein Geschenk an die Mitarbeiter. Von Stefan Scheytt

Auf einer Anhöhe über dem nordrhein-westfälischen Siegen steht der Betriebsratsvorsitzende Albert Janz und klopft gegen die Wand eines Gebäudes, das wegen seines geschwungenen Dachs und der in sich verdrehten Außenmauern als „schrägstes Haus Siegens“ gilt. „Ist doch mal was anderes, mir gefällt das sehr“, sagt gut gelaunt Betriebsrat Janz. Das „schrägste Haus von Siegen“ ist Teil eines jungen, auf viele Jahre angelegten Projekts für arbeitslose Jugendliche. „SCHÖNUNDGUT. Erfahrungsfeld Fischbachberg“ heißt die Anlage auf einem früheren Militärareal. Hier entsteht seit 2010 ein Gelände mit Werkstätte, Restaurant, Bühnen und Freizeitangeboten, das arbeitslosen Jugendlichen zahlreiche Qualifikations- und Beschäftigungsmöglichkeiten bietet. Albert Janz’ Arbeitgeber, das Siegener Autohaus Hoppmann, unterstützt das Projekt jährlich mit mehr als 100.000 Euro. In Zeiten schleppender Automobilkonjunktur ist das viel Geld für ein Autohaus in der deutschen Provinz, zumal für eines, das auch mit Modellen der Marke Opel handelt. Doch Albert Janz winkt ab: „Das Geld ist hier gut angelegt, aus Arbeitnehmersicht hab ich damit überhaupt kein Problem.“

Durchs Autohaus Hoppmann tippelt Klaus Hoppmann, ein kleiner, freundlicher Herr von 85 Jahren mit Gehstock, Baskenmütze und dünner Stimme. Zwei Wochen vor Weihnachten ist er auf einem seiner seltenen Besuche im Autohaus, das zwar noch seinen Namen trägt, in dem ihm aber nicht mal mehr der Schuhabstreifer am Eingang gehört. Hoppmann ist nicht nur ein von der evangelischen Sozialethik geprägter Mann, sondern auch einer, den die Aufbruchstimmung der 1960er und 1970er Jahre erfasste und der sich von den Ideen deutscher Reformer und dem Prager Frühling inspirieren ließ. Das 1972 novellierte Betriebsverfassungsgesetz ging ihm nicht weit genug, er suchte nach einem „dritten Weg“. Den fand er, indem er in seinem Autohaus sukzessive eine Erfolgsbeteiligung und erweiterte Mitbestimmungsrechte einführte – und schließlich 1974, nachdem er seine Familie abgefunden hatte, sein Unternehmen komplett der gemeinnützigen Hoppmann Stiftung „Demokratie im Alltag“ überschrieb.

Diese Stiftung vergibt nicht nur jährlich ein Prozent des Eigenkapitals des Autohauses an soziale Projekte wie jenes für arbeitslose Jugendliche; als alleinige Eigentümerin kontrolliert die Stiftung auch die Geschäftsführung und ist an allen strategischen Entscheidungen beteiligt. Für Klaus Hoppmann, der bis 1990 angestellter Geschäftsführer blieb, war die „Neutralisierung der Kapitalinteressen“ der letzte konsequente Schritt, den er bis heute nicht bereut: „Nein“, sagt er freundlich lächelnd beim Blick auf die vielen neuen Autos im Verkaufsraum, „der Gedanke ist mir fremd, dass mir oder meiner Familie das alles heute noch gehören könnte.“

„DAS GELD BLEIBT IM UNTERNEHMEN“

In seiner Besonderheit behauptet sich das Stiftungsunternehmen bislang bestens. Im Konzentrationsprozess der Autohändler gehört das Siegener Autohaus jedenfalls zu den Gewinnern: In den vergangenen 20 Jahren kaufte das Unternehmen, das 1936 als Opel-Vertragshändler startete, in der Region vier Konkurrenten auf und erweiterte so sein Markenspektrum um VW, Audi, Fiat, Alfa Romeo und Chevrolet. Dabei ist die finanzielle Potenz der Firma (fast 90 Millionen Euro Umsatz, 340 Mitarbeiter, davon 84 Auszubildende an acht Standorten) ein Resultat ihrer besonderen Verfassung: Während ein Prozent des Eigenkapitals jährlich an die Stiftung fließt, hat das Unternehmen Anspruch auf eine jährliche Eigenkapitalverzinsung von aktuell sechs Prozent. Von den Mitarbeitern wird dieser Umstand gern mit dem Satz umschrieben: „Bei uns geht das Geld nicht für eine Jacht für den Chef drauf, sondern bleibt im Unternehmen.“ Die Eigenkapitalausstattung bei Hoppmann ist deshalb phänomenal hoch: Wo andere Händler oft nur Quoten von fünf bis zehn Prozent aufweisen, erreicht Hoppmann 40 bis 50 Prozent – und nutzte die Liquidität, sich als eines von heute zwei großen familiengeführten Autohäusern im Großraum Siegen zu etablieren. Früher waren es fünf.
Im Besprechungszimmer des Autohauses sitzen Betriebsratschef Albert Janz und Geschäftsführer Bruno Kemper und reden sich mit „Bruno“ und „Albert“ an. Das ist keine zur Schau gestellte Kumpelhaftigkeit, sondern entspricht dem Umgangston – bei Hoppmann duzen sich fast alle. Das hat vor allem damit zu tun, dass die meisten Mitarbeiter schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. „Wer bei Hoppmann anfängt, bleibt meistens da, unsere durchschnittliche Betriebszugehörigkeit liegt bei 25 Jahren“, sagt Albert Janz stolz. Und Geschäftsführer Kemper erwähnt, dass sechs von zehn Führungskräften ihre Ausbildung im Unternehmen gemacht haben.

Wie Kemper selbst, der als 14-jähriger Kaufmannslehrling zu Hoppmann kam, nur ein paar Jahre vor Lackierer Albert Janz. Seither begegnen sich die beiden in den Rollen als Vorgesetzter und Mitarbeiter, als Geschäftsführer und Arbeitnehmervertreter, als Mitglieder im Wirtschaftsausschuss und Teilnehmer bei den Beratungen des Stiftungsvorstands; jahrzehntelang waren Kemper und Janz sogar Gewerkschaftskollegen. Spricht man in den Verkaufsräumen und Werkstätten Mitarbeiter an, hört man viel Zufriedenheit – darüber, dass es Tariflöhne, Weihnachts- und Urlaubsgeld gibt und auch alles pünktlich ausgezahlt werde, über die Erfolgsbeteiligung als nettes „Sahnehäubchen“, dass die Arbeitsplätze sicher und die Vorgesetzten sehr umgänglich seien. „In 36 Jahren bei Hoppmann habe ich noch keinen Fall vor dem Arbeitsgericht erlebt, wir sind hier fast wie eine Familie“, meint Albert Janz.

Beim Gespräch mit Mitarbeitern gewinnt man aber auch den Eindruck, dass ihnen das Außergewöhnliche ihres Arbeitsplatzes längst alltäglich geworden ist. Dazu passt, dass die 18 Arbeitsteams in den Abteilungen, die durch ihr substanzielles Beschwerde- und Initiativrecht eine zusätzliche Mitwirkungsmöglichkeit „von unten“ eröffnen sollten, heute teilweise vor sich hin dümpeln. Ist hier vielleicht etwas vom alten Geist eingeschlafen? „Die Arbeitsteams waren als ‚Gegenmacht‘ zu den teilweise autoritären Führungskräften der 1960er Jahre gedacht“, sagt die Essener Wissenschaftlerin Andrea Jochmann-Döll, die das Stiftungsunternehmen 2009 im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht hat.

„Der Leidensdruck fehlt heute, manche Teams treffen sich nur noch sporadisch oder sind ganz banale Arbeitsbesprechungen geworden“, so Jochmann-Döll. „Wenn Hoppmann den Anspruch einer stärkeren Mitbestimmung ‚von unten‘ hochhalten will, müssen sie die Arbeitsteams modernisieren.“ Doch für das Modell Hoppmann spricht, dass es solchen Ermüdungserscheinungen entgegenwirkt. Erst vor wenigen Monaten, berichtet Personalleiterin Iris Otterbach, trafen sich Vertreter aller relevanten Gruppen einschließlich der Stiftung zu einem Workshop. „Wir haben ja keinen Chef, der einfach alles bestimmt und damit fertig. Die Wege sind vielleicht ein bisschen länger als bei anderen, aber das halte ich eher für einen Vorteil“, urteilt Otterbach.

WELCHER ZINSSATZ PASST?

Das aktuelle Geschäftsjahr dürfte hart für die Branche werden. „2012 war kein gutes Jahr, und 2013 wird auch nicht besser“, sagt Geschäftsführer Bruno Kemper. Es sei noch nicht an der Zeit, über Personalabbau nachzudenken; doch selbst wenn der eines Tages notwendig werden könnte, wäre die Belegschaft einsichtig: „Der Betriebsrat kennt alle Zahlen, und er weiß, dass die Geschäftsleitung keine persönlichen Kapitalinteressen verfolgt, sondern das Interesse des Unternehmens nach Bestand.“ Es gäbe noch viele andere Möglichkeiten, der Krise zu begegnen. Nicht zur Disposition steht für Kemper die jährliche Abgabe an die Stiftung: „Einem Besitzer, der mit einer einprozentigen Rendite zufrieden ist und diese auch noch für gemeinnützige Zwecke ausgibt, greift man nicht in die Taschen.“ Eher müsse man sich überlegen, die garantierte sechsprozentige Verzinsung der als Darlehen im Unternehmen verbleibenden Mitarbeiter-Erfolgsbeteiligung zu reduzieren. „2013 wird wohl kein Gewinn und also auch keine Rendite für das Unternehmen abfallen. Die Frage wäre dann, ob die Arbeitnehmer-Darlehen dennoch so hoch verzinst werden müssen.“

Er würde den Vorschlag aber nur machen, wenn das Unternehmen in die Verlustzone geriete, sagt Bruno Kemper, der den neben ihm sitzenden Betriebsrat Albert Janz damit keineswegs überrascht: „Das träfe den Bruno übrigens wie jeden anderen auch“, bemerkt Janz. Wie der Geschäftsführer und der Betriebsratschef so am Tisch sitzen und sich duzen, im Hintergrund eine historische Opel-Nähmaschine, wirken sie wie ein vertrautes Ehepaar.

„Man muss lernen, sich als Arbeitnehmer in die Interessenlage des Unternehmens hineinzudenken – und umgekehrt“, sagt Kemper. Als Hoppmann seine Ideen vor 40 Jahren umsetzte, habe das mancher noch als Fantasterei oder sozialistisches Experiment belächelt, sagt er. „Das geht heute nicht mehr, weil wir seit Jahrzehnten beweisen, dass es gelingen kann.“ Zwar erfahren das Unternehmen und die Stiftung heute immer wieder staunendes Interesse, doch meist ist es nur kurzfristig. „Wir hätten gerne andere Unternehmen inspiriert, aber ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass es Nachahmer geben könnte“, meint Bruno Kemper. „Für Unternehmer ist das Problem nicht so sehr der Verzicht auf Verdienstmöglichkeiten. Viel mehr Angst haben sie vor dem Machtverlust durch die Demokratisierung. Das muss man über Jahre erlernen. Man kann das nicht einfach so übernehmen.“ Wo Hoppmann seinerseits Nachahmung guttäte, zeigt die Website des Autohauses. Dort stellt sich das Unternehmen mit dem Bild von neun Männern in Anzug und Krawatte vor. Die Autowelt ist noch immer eine Männerwelt. Aber in einem Unternehmen mit dem Anspruch von Hoppmann müsste mehr Platz für Frauen sein. „Vor vielen Jahren gab es mal eine Fraueninitiative“, erzählt Betriebsratschef Albert Janz. „Die Frauen wollten die Erfolgsbeteiligung reformieren und trugen das Thema so lange in den Betriebsrat und den Wirtschaftsausschuss, bis sie sich durchsetzten.“ Seitdem orientiert sich die Erfolgsbeteiligung nicht mehr am Gehalt, sondern wird jedem Vollzeitbeschäftigten in gleicher Höhe ausgezahlt. 

Mehr Informationen

Unternehmen: www.hoppmann-autowelt.de

Stiftung: www.demokratie-im-alltag.de

Sozialprojekt: www.erfahrungsfeld-schoen-und-gut.de

Arbeitspapier der Hans-Böckler-Stiftung von Hartmut Wächter und Andrea Jochmann-Döll (2009)

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