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Porträt von Sophia Schönborn, Aufsichtsrätin beim Papierhersteller Essity auf Außengelände Magazin Mitbestimmung

Aufsichtsratsporträt: Streiterin für die Transformation

Ausgabe 03/2025

Sophia Schönborn vertritt die IGBCE im Aufsichtsrat des Papierherstellers Essity. Der Sprung zur Chemiegewerkschaft gelang ihr als Klimalobbyistin. Von Andreas Schulte

Sophia Schönborn hat hautnah erlebt, wie Politik das eigene Schicksal bestimmt. Ihre Eltern harrten mit ihr Ende September 1989 in der Prager Botschaft der Bundesrepublik aus, um gemeinsam mit 4000 DDR-Flüchtlingen die Ausreise aus der DDR in den Westen zu erzwingen. „Das war abenteuerlich“, erinnert sich die Aufsichtsrätin des Hygienepapierherstellers Essity heute an die Nächte im Zelt. Deren Ende markiert die berühmte Rede von Hans-Dietrich Genscher: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise möglich geworden ist!“, rief der damalige Bundesaußenminister vom Botschaftsbalkon. Nur 40 Tage später fiel die Mauer.

Schönborn war damals fünf. Als Initialzündung für politisches Engagement will das SPD-Mitglied die Tage von Prag nicht verstanden wissen. „Meine Eltern waren immer politisch. Das hat mich geprägt“, sagt sie. Seit der Wende lebt sie im Sauerland und im Ruhrgebiet. Ihr Vater ist Ingenieur für Stahlformung. „Der Stahl hat unsere Familie dorthin gezogen.“

Nach dem Abitur studiert sie Politikmanagement an der Universität Duisburg-Essen, untersucht Zusammenhänge von gesellschaftlichem Wohlstand, ökologischer Gerechtigkeit und der Transformation. „Mich interessieren Themen wie ökologische Gerechtigkeit, die aus der Gesellschaft heraus entstehen.“

Schönborn versteht sich als Vermittlerin. Im politischen Diskurs vereint sie harte Kontraste. Als Referentin für Klima- und Energiepolitik der Nichtregierungsorganisation (NGO) KlimaDiskurs.NRW kommt sie ab 2016 oft in Kontakt mit der IGBCE. „Die Gewerkschaft stand bei vielen NGO in der Kritik, aber man kann eine gemeinsame Gesprächsebene herstellen, und plötzlich bemerken beide Seiten: Es geht doch.“

Ob gewollt oder nicht, Schönborn überzeugt die IGBCE von sich. Als die Gewerkschaft ihr 2021 eine Stelle als Politische Sekretärin anbietet, zögert sie. Die Kluft zwischen einer NGO und der Chemiegewerkschaft scheint zu groß. „Der Schritt war nicht vorprogrammiert. Aber Gesprächskanäle zu öffnen und die häufig fehlende Perspektive der Beschäftigten in die Klimadebatte einzubringen, das hat mich gereizt.“ Die IGBCE lässt nicht locker und erklärt die Causa Schönborn zur Chefsache. Ein persönliches Gespräch mit Michael Vassiliadis überzeugt sie.

In der IGBCE versteht sie sich als „Agendasetterin für Nachhaltigkeit“. Sie macht sich für eine Transformation stark, die Mitbestimmung mitdenkt und Arbeitsplätze sichert. Ihr Ansatz: „Wir müssen die Hauptbestandteile der Transformation, Technik und soziale Gerechtigkeit, auf eine gemeinsame Ebene hieven.“

Dafür steht sie auch bei Essity ein. Seit 2023 sitzt sie im Aufsichtsrat beim Hersteller der Marken Tempo und Zewa. Der Betriebsrat habe sich für den freien Sitz eine Transformationsexpertin gewünscht. Die Wahl fiel auf sie.

Anfang Juni hat das Branchennetzwerk Chemie mit ihrer Unterstützung einen Praxisleitfaden herausgegeben. Nach neuem EU-Recht sollen Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen mit den Arbeitnehmervertretern abgestimmt werden. Der Leitfaden hilft den Gremien, die entscheidenden Themen der Beschäftigten zu platzieren – von den Arbeitsplatzbedingungen bis zur Transformation. „Wenn wir das nicht machen“, sagt Schönborn, „dann gestalten die Arbeitgeber die Transformation ohne uns.“

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