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Magazin Mitbestimmung

Von CHRISTOF BALKENHOL: Starkes Buch über Managerstrategien

Ausgabe 04/2017

Rezension Es gibt Orientierung ohne zu übertreiben. Hans-Erich Müllers Buch zur Unternehmensführung erklärt Managementmethoden und Konzernstrategien im Zeitalter der digitalen Transformation.

Von CHRISTOF BALKENHOL

Als Hans-Erich Müller im Jahr 2010 die erste Auflage seiner „Unternehmensführung: Strategien – Konzepte – Praxisbeispiele“ veröffentlicht hatte, war das iPhone gerade einmal drei Jahre auf dem Markt. Die Warenhausgruppe Karstadt hoffte nach der Insolvenz des Arcandor-Konzerns auf einen zweiten Frühling unter dem neuen Eigentümer Nikolas Berggruen. Der Modehändler Zalando war auch erst drei Jahre alt und steckte noch in den Kinderschuhen, aber Amazon erwirtschaftete in Deutschland bereits fünf Milliarden Euro Umsatz. Heute ist Zalando ein börsennotiertes Unternehmen mit 3,6 Milliarden Euro Umsatz und über 10 000 Mitarbeitern. Amazon hat seinen Umsatz in Deutschland auf über 15 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Karstadt und Kaufhof haben neue Eigentümer und suchen dringend nach Strategien für ein Überleben des stationären Warenhauses im Zeitalter der Digitalisierung.

Digitale Technologien verändern nicht nur den Handel. Sie verändern die Arbeits- und Lebensverhältnisse so grundlegend, dass inzwischen von einer digitalen Revolution die Rede ist. Hans-Erich Müller – er ist Professor für Unternehmensführung und Organisation – gelingt es in der jüngst veröffentlichten 3. Auflage seines Buches mühelos, diese erheblichen Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Unternehmen in seine Überlegungen zur strategischen Ausrichtung, zur Gestaltung der Organisation und den Management- und Führungssystemen zu integrieren.

Er hält fest an einer klaren Struktur und setzt sich mit gängigen Managementtheorien, etwa von Michael Porter, Knut Bleicher und Henry Mintzberg, auseinander. Er bleibt seiner Grundüberzeugung treu und wirbt für einen integrierten Managementansatz. Statt radikaler Vereinfachung setzt er auf die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und die daraus erwachsenden Spannungen und Widersprüche nicht zu ignorieren. Die Stärke dieses Ansatzes wird gerade im Zeitalter der sogenannten „digitalen Transformation“ deutlich: Es geht nicht um Innovation versus Effizienz, um systematische Planung versus agile Methoden, Selbststeuerung versus Hierarchie. Die Kunst der Führung besteht vielmehr im „Und“: Gegensätzliche Perspektiven einnehmen zu können und situationsangemessene Antworten zu finden.

Müller bleibt nicht akademisch, sondern ist immer anschaulich durch viele Praxisbeispiele. So wird anhand der Unternehmen BASF und Hoechst die strategische Option „Konzentration auf ein Kerngeschäft“ an klassischen Beispielen illustriert. Die strategische Alternative „Diversifizierung und Konglomerat“ wird sehr aktuell am Holdingkonzept von Alphabet/Google erläutert.

Der Autor hat einen klaren Blick auf die wachsende Bedeutung der Einbeziehung von Mitarbeitern in die Gestaltung der durch Digitalisierung beschleunigten Veränderungsprozesse in Unternehmen. Dazu liefert er konkrete Anschauungsbeispiele zur gezielten Einflussnahme und Intervention der Arbeitnehmervertreter bei der Umsetzung von strategischen Entscheidungen. Auch deshalb lohnt sich die Lektüre gerade für Interessenvertreter.

Das Buch gibt klare Orientierung durch einen aktuellen, theoretisch fundierten und gleichzeitig praxistauglichen Überblick zum Thema Unternehmensführung. Der Autor versagt sich dabei der verbreiteten Neigung zur Übertreibung. Sehr hilfreich in turbulenten Zeiten.

Foto: Karsten Schöne

Hans-Erich Müller. Unternehmensführung: Strategie – Management – Praxis. Oldenbourg, De Gruyter, 412 Seiten, 29,95 Euro

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