Betriebsrätepreis: Null Toleranz für Gewalt
Zunehmend werden Beschäftigte in Krankenhäusern angegriffen. In den Hamburger Asklepios-Kliniken sorgt der Konzernbetriebsrat mit einem neuen Konzept für mehr Sicherheit. Von Joachim F. Tornau
Das Problem drängt. Allein in der Hamburger Asklepios-Klinik St. Georg stellte die Krankenhaus-Security im vergangenen Jahr mehr als 300 Messer sicher. In der Klinik in Altona wurde ein Kollege in der Notaufnahme brutal zusammengeschlagen. Und in Wandsbek musste sich eine Mitarbeiterin der Patientenaufnahme eines Angriffs erwehren. Die Hamburger Kliniken stehen mit dem Gewaltproblem nicht allein da. Laut einer Online-Umfrage der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) im vergangenen Jahr gaben 87 Prozent der Befragten aus Notaufnahmen an, in den zwölf Monaten zuvor von Patienten körperlich attackiert worden zu sein. Bedrohungen oder Beleidigungen hatten sogar 97 Prozent erlebt.
Der zunehmenden Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe auf Klinikbeschäftigte wollte der Betriebsrat der Asklepios-Kliniken in Hamburg nicht mehr tatenlos zusehen. Sonja Guder, stellvertretende Konzernbetriebsratsvorsitzende, initiierte gemeinsam mit Rebecca Stüdemann, Gesundheits- und Krankenpflegerin und seit zwei Jahren für den Gesamtbetriebsrat freigestellt, das Projekt „#HaltzuGewalt“. Dafür erhielt das Gremium den Deutschen Betriebsrätepreis des Bund-Verlags in Gold, der im November im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags in Bonn vergeben wurde. Wie besonders dieses Klinikprojekt ist, zeigt ein Foto. Darauf ist der Vorstand des Konzerns Asklepios Hamburg zusammen mit der Führung des Konzernbetriebsrats (KBR) zu sehen. „Das war historisch“, sagt Sonja Guder. Das habe es bis dahin noch nie gegeben.
Bisher wurde mit Gewalt eher beiläufig umgegangen. „Wenn etwas passiert ist, ging man meist einen Kaffee trinken, rauchte eine Zigarette, redete vielleicht mit Kollegen darüber – und arbeitete dann einfach weiter“, sagt Guder. Keine Konsequenzen, keine Aufarbeitung durch die Stationsleitung, keine Meldung an die Berufsgenossenschaft, obwohl auch Beleidigungen als Arbeitsunfall gelten können. „Das wird oft nicht erkannt“, erklärt die 61-Jährige. „Die Kolleginnen und Kollegen haben sich ja nicht das Bein gebrochen, sondern sind dreimal als Nazi beschimpft oder wegen eines Kopftuchs abgelehnt worden.“ Was langfristig sogar mehr belasten könne. „Das kann ein Grund dafür sein, den Beruf zu verlassen.“
In der Notaufnahme wurde ein Kollege brutal zusammengeschlagen.“
Angesichts des Fachkräftemangels sei es nicht schwierig gewesen, den Vorstand zu überzeugen, das Problem gemeinsam und systematisch anzugehen, erinnert sich KBR-Vorsitzender Thomas Haul. „Eine ständig wiederholte Maxime des Vorstands lautet: ‚Wer das Personal hat, hat die Leistung‘“, sagt er. „Das ist rein wirtschaftlich gedacht, aber gut für uns: Es ermöglicht uns manches, was früher nicht möglich war.“ Bei einer Begehung aller Notaufnahmen in den Hamburger Asklepios-Kliniken ermittelte die Projektgruppe, woran es hakt – von mangelndem Informationsmaterial, das den Patientinnen und Patienten sowie den Angehörigen die Abläufe und die Wartezeiten in einer Notaufnahme erläutert, bis zu baulichen Defiziten wie dem Fehlen von „Panic Rooms“, in die sich das Personal im Fall etwa eines Messerangriffs zurückziehen kann. Das Ziel: die Dinge wirklich zu verändern. „Es sollte nicht wieder nur eine bunte Posterkampagne werden“, sagt Guder.
Plakate gibt es nun zwar auch. Sie vermitteln die unmissverständliche Botschaft, dass Gewalt nicht geduldet wird und ein Krankenhaus kein rechtsfreier Raum ist. Doch das ist nur ein Teil der Kampagne. Aushänge und Bildschirme klären darüber auf, dass in einer Notaufnahme nach Dringlichkeit behandelt wird und nicht danach, wer zuerst da war. Für alle Klinikbeschäftigten wurde eine verpflichtende Online-Schulung eingeführt, die bei der Reaktion auf Gewalt hilft. „Viele Kolleginnen und Kollegen wussten gar nicht, dass sie das Hausrecht haben und auch ausüben können, ohne Konsequenzen zu befürchten“, sagt Stüdemann. „Sie dachten, das darf nur der Oberarzt.“
Über eine zentrale Telefonnummer können sich Betroffene beraten lassen, wenn sie attackiert wurden. Zudem werden Pflegekräfte zu Deeskalationstrainern ausgebildet, wie in der Psychiatrie bereits üblich. Um sich sicherer zu fühlen, können alle Beschäftigten zudem einen Schrillalarm erhalten. Das Gerät lenkt die Aufmerksamkeit auf die Notlage und soll Angreiferinnen oder Angreifer mithilfe optischer und akustischer Signale in die Flucht schlagen.
„Wenn wir auf Betriebsversammlungen über #HaltzuGewalt sprechen, reagieren viele positiv“, sagt Gesamtbetriebsrätin Stüdemann. „Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich die Meldenummer gleich eingespeichert.“ Wichtig ist dem Betriebsrat: Nichts wird den einzelnen Kliniken aufgezwungen. Welche Maßnahmen sinnvoll und nötig sind, wird vor Ort entschieden. Einmal im Jahr will die Projektgruppe sich bei neuerlichen Begehungen anschauen, was sich verändert hat, und ob vielleicht mehr zu tun ist. „Es ist ein kontinuierliches Projekt, das sich entwickelt“, sagt Guder. Nach und nach soll es jetzt auch über Hamburg hinaus in allen Krankenhäusern des Asklepios-Konzerns ausgerollt werden.
Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Von mehr als 60 Bewerbungen wurden 2025 zwölf Projekte nominiert, darunter die Kampagne des Betriebsrats der Hamburger Asklepios-Kliniken, der im Rahmen des Betriebsrätetags am 6. November in Bonn mit dem Betriebsrätepreis in Gold ausgezeichnet wurde.
Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsrätepreis 2025.
Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.