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Porträt von Axel Winterwerber, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats bei Eon Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Modernere Regeln für alle

Ausgabe 06/2025

Der Betriebsrat des Energieriesen Eon nutzte die Fusion mit Innogy, um alle Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Jetzt gibt es mehr Fairness – und mehr Wahlmöglichkeiten für die Beschäftigten. Von Maren Knödl

Es war eine der größten Umstrukturierungen, die die europäische Energiebranche je erlebte: zwischen 2018 und 2020 wickelten die zwei Energieriesen Eon und RWE, eigentlich Konkurrenten, ein kompliziertes Tauschgeschäft ab. Das Ziel: Eon sollte sich auf die Netze und den Vertrieb konzentrieren, RWE auf die Stromerzeugung aus regenerativen Energien. Beim Asset-Tausch wechselten Zehntausende ihren Arbeitgeber: Eon behielt rund 40.000 und erhielt durch die Übernahme der Innogy SE, einem Tochterunternehmen von RWE, rund 36.5000 Beschäftigte hinzu.

Für den Eon-Betriebsrat war diese Verschmelzung zweier gleich großer Belegschaften in diesen Dimensionen eine Riesenaufgabe, aber auch eine Riesenchance: der Asset-Tausch wurde genutzt, um die tariflichen und betrieblichen Regeln zu vereinheitlichen und auf eine neue Grundlage zu stellen, und die Integration von Innogy wurde zur Nagelprobe für die Gestaltung moderner Beschäftigungsbedingungen.

Beachtliches Arbeitstempo

Der klassische Weg, das zu bewältigen, wären lange Verhandlungen gewesen. Daher wählten Axel Winterwerber, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats, und seine Mitstreiter eine andere Strategie: „Wir wollten nicht nur einzelne Streitpunkte verhandeln, sondern gemeinsam einen Rahmen schaffen, der moderne Arbeitsbedingungen für die Zukunft sichert.“ So setzten die Sozialpartner auf „ko-kreative Sprints” – eine Arbeits- und Managementmethode, die das Prinzip der Mitgestaltung auf Augenhöhe in den Mittelpunkt stellt und oft zu schnellen Ergebnissen führt.  

Der Prozess startete mit einer Beschäftigtenbefragung im Sommer 2023. Tausende Kolleginnen und Kollegen erklärten, was ihnen bei der Arbeit am wichtigsten war: mehr Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort, gerechtere Entgeltstrukturen und zeitgemäßere Nebenleistungen, jenseits der Klassiker Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Diese Themen wurden dann in Projektgruppen bearbeitet – paritätisch besetzt mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern und begleitet von den Gewerkschaften.

Ziel war es, in mehren, intensiven Runden konkrete Vorschläge auszuarbeiten. „Das war für alle Beteiligten Neuland“, erzählt Axel Winterwerber, „aber es hat gezeigt, dass Mitbestimmung auch in einem partnerschaftlichen, kreativen Prozess sehr produktiv sein kann.“ Schon nach wenigen Monaten lagen Entwürfe für Rahmenvereinbarungen auf dem Tisch. „Durch die neue Arbeitsweise gelang es, in weniger als einem Jahr erste Ergebnisse vorzulegen“, sagt der KBR-Vorsitzende Winterwerber.

Im März 2025 beschlossen die Bundestarifkommission und der Konzernbetriebsrat schließlich ein umfassendes Paket. Es enthält 25 konkrete Zusagen des Unternehmens an die Belegschaft – so genannte „Mitarbeiterversprechen”. Sie reichen von flexibleren Arbeitszeiten über neue Entgeltregeln bis zu zusätzlichen Nebenleistungen. Mit diesem Instrument will Eon verbindlich dokumentieren, welche Verbesserungen für alle Beschäftigten gelten – und damit auch Vertrauen schaffen.

Mehr Spielräume als früher

Wichtige Themen waren Arbeitszeit und Urlaub. Künftig haben die Beschäftigten deutlich mehr Spielraum – etwa durch neue Modelle für die Wochenarbeitszeit oder zusätzliche freie Tage. Besonders hebt der Konzernbetriebsrat die „Familienstartzeit” hervor. Viele Beschäftigte hatten sich in der Befragung eine bezahlte „Vaterzeit“ gewünscht – also vier Wochen Freistellung nach der Geburt eines Kindes bei fortlaufender Bezahlung. Bisher war ein solcher Anspruch nur für Mütter vorgesehen. Ab 2026 können nun alle Eon-Beschäftigten diese Familienstartzeit nutzen: Mütter und Väter ebenso wie gleichgeschlechtliche Paare.

Auch die Entgeltstrukturen wurden neu gedacht. Künftig zählt stärker, was Beschäftigte individuell leisten, welche Kompetenzen sie aufbauen und wie sie zum Erfolg im Team und im Konzern beitragen. Starre Systeme werden dadurch abgelöst. Durch die Modernisierung sollen Beschäftigte längerfristig bessere Entwicklungsperspektiven haben – ein zentraler Baustein für die Sicherung von Arbeitsplätzen.

Bei den Nebenleistungen setzt Eon auf mehr Wahlmöglichkeiten. Künftig können Beschäftigte stärker selbst entscheiden, welche Angebote zu ihrer Lebenssituation passen: Notebook- oder Auto-Leasing über den Betrieb, zusätzliche freie Tage oder neue Formen der finanziellen Unterstützung. Regionale Unterschiede werden berücksichtigt, sodass die Angebote vor Ort jeweils angepasst werden können. Ziel ist es, ein Baukastensystem zu schaffen, das zu unterschiedlichen Bedürfnissen passt.

Der Weg, den Eon gegangen ist, könnte eine Signalwirkung über das eigene Unternehmen hinaus haben. Das Projekt hat nicht nur die Arbeitsbedingungen attraktiver gemacht, sondern auch den Konzern besser für die Zukunft aufgestellt. Die Resonanz in der Belegschaft ist ermutigend. Viele Beschäftigte schätzen die neuen Spielräume und die konkrete Unterstützung in verschiedenen Lebensphasen. Winterwerber kann sich jedenfalls vorstellen, die Erfahrungen mit anderen Betriebsräten zu teilen: „Es ist wichtig, gute Beispiele weiterzugeben. Am Ende profitieren alle davon.“

 

Mehr zum Thema:

Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Von mehr als 60 Bewerbungen wurden zwölf Projekte nominiert, darunter  das Projekt des Konzernbetriebsrats beim Energieunternehmen Eon, das beim Betriebsrätetag am 6. November in Bonn die Auszeichnung in Bronze erhielt. 

Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsrätepreis 2025.

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.

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