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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW „Tochterfirmen zu einem Aktivposten machen“

Ausgabe 03/2012

STUDIE Christoph Dörrenbächer hat das Verhalten ausländischer Konzernzentralen gegenüber der Mitbestimmung untersucht. Er rät Betriebsräten und Gewerkschaften, die Kompetenzen der Tochtergesellschaften aktiv weiterzuentwickeln – das schützt vor Personalabbau und bringt Respekt ein.

Christoph Dörrenbächer ist Professor für internationale Unternehmensorganisation an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin. Die Fragen stellte Redakteurin Cornelia Girndt/Foto: privat

Herr Dörrenbächer, wir sind Exportland. Haben ausländische Unternehmen und Investoren überhaupt eine nennenswerte Bedeutung?
Sehr wohl. Deutschland ist weltweit das fünftgrößte Anlegerland für ausländische Investitionen – nach den USA, Frankreich, Großbritannien und Belgien. Dies spiegelt sich in einer stattlichen Zahl von rund 13 000 Unternehmen mit ausländischer Beteiligung – mit seit 20 Jahren steigender Tendenz und ungerührt der kritischen Debatten um den Standort Deutschland. 2,5 Millionen Arbeitnehmer sind bei ausländischen Unternehmen beschäftigt, allein die beiden US-amerikanischen Bulettenbrater McDonald’s und Burger King haben zusammen knapp 100 000 Mitarbeiter in Deutschland.

Was treibt die ausländischen Investoren?
Zentrales Motiv, im Dienstleistungssektor tätig zu werden, ist ein Markt mit 80 Millionen relativ zahlungskräftigen Kunden. Dagegen spielen im verarbeitenden Gewerbe die technologische Leistungsfähigkeit und die hohe Arbeitsproduktivität eine wichtige Rolle. Genau das, was viele deutsche Industrieunternehmen zu Exportweltmeistern macht, motiviert ausländische Unternehmen, in Deutschland zu investieren – vor allem in den traditionell wettbewerbsstarken Branchen im Maschinenbau, in der Kraftfahrzeug- und der Chemieindustrie. Das internationale Management spricht hier von „Asset-Seeking“-Strategien, das sind Strategien, die auf den Erwerb von Wettbewerbsvorteilen zielen.

Betriebsräte in ausländisch geführten Tochterunternehmen erleben vielfach einen Druck auf Mitbestimmung und betriebliche Sozialsysteme, manche berichten von Unverständnis des Managements gegenüber Kriseninstrumenten wie der Kurzarbeit. Woran mag das liegen?
Multinationale Unternehmen bewegen sich in einem Spannungsverhältnis von grenzüberschreitender Integration und lokaler Anpassung. Mittels Standardisierung können sich die Konzerne Größenvorteile erschließen. Im Extremfall wird der gesamte Weltmarkt mit einem identischen Produkt beliefert, das aus wenigen zentralen Fabriken stammt. Ein Beispiel sind Computerchips.

Gilt die grenzüberschreitende Standardisierung auch für Unternehmensprozesse wie das Personalmanagement?
Ja. Auch dadurch lassen sich Wettbewerbsvorteile erzielen. So ist man bestrebt, das Personalmanagement zu standardisieren, angesichts der großen nationalen Unterschiede im Bereich des Arbeitsrechts und in den industriellen Beziehungen. Nach wie vor gilt die Personalfunktion als die lokalste Funktion in multinationalen Unternehmen. Das weckt den Wunsch nach Standardisierung und bremst das Verlangen, sich intensiv mit nationalen Spezifika etwa im Bereich der Mitbestimmung auseinanderzusetzen.

Gibt es empirische Befunde über das Mitbestimmungsverhalten ausländischer Konzerne?
Immer mal wieder gibt und gab es Fälle, in denen ausländische Konzerne negativ auffielen. Von einer „beschäftigungspolitischen Brandspur“ war die Rede, als der französische Elektro-Konzern Thomson-Brandt in den 1970er und 1980er Jahren deutsche Traditionsunternehmen der Unterhaltungselektronik wie Nordmende, Dual, Telefunken oder Saba übernahm und bis auf den Markennamen liquidierte. Eine Behinderung elementarer Mitbestimmungsrechte wurde in den 1990er Jahren dem koreanischen Mischkonzern Samsung vorgeworfen. Hier versuchte die Geschäftsleitung der deutschen Handels- und Vertriebsgesellschaft mit massiven Einschüchterungsversuchen, die Gründung eines unabhängigen Betriebsrates zu verhindern. Sie scheiterte jedoch, nachdem die damals zuständige Gewerkschaft hbv beim Arbeitsgericht die Einsetzung eines unabhängigen Wahlvorstands durchgesetzt hatte. Auch aktuell gibt es Problemfälle, wie etwa die gerichtlichen Auseinandersetzungen um Betriebsratsrechte bei der schwedischen Modekette Hennes und Mauritz (H & M).

Sind diese Behinderungen von Mitbestimmung in ausländischen Konzerntöchtern eher die Ausnahme oder die Spitze des Eisberges?
Auch dieser Frage gehen wir derzeit in unserer Befragung von ausländischen Tochtergesellschaften nach; 270 haben bisher geantwortet. Unsere Ergebnisse bestätigen frühere Untersuchungen, die eher Entwarnung geben: Die ausländischen Tochtergesellschaften weichen in ihrem Mitbestimmungsverhalten nicht negativ ab. So verfügen knapp die Hälfte der ausländisch kontrollierten Unternehmen in unserer Untersuchung über einen Betriebsrat; etwa 40 Prozent gaben an, einem Branchentarifvertrag zu unterliegen. Ähnlich wie im Gesamttrend aller Unternehmen in Deutschland war die Tarifbindung und die betriebliche Mitbestimmung in größeren ausländischen Tochtergesellschaften (mit mehr als 100 Beschäftigten) die Regel, in kleinen und insbesondere in Kleinstunternehmen eher die Ausnahme.

Wie sieht es aus mit unmittelbarer Mitarbeiterbeteiligung?
Teambesprechungen und Informationsgespräche fanden in nahezu allen ausländischen Tochtergesellschaften statt. Aber nur in größeren ausländischen Tochtergesellschaften trafen wir das gesamte Arsenal direkter Partizipations- und Kommunikationspraktiken an – von Gruppenarbeit über Qualitätszirkel bis hin zu regelmäßigen Betriebsversammlungen und Mitarbeiterbefragungen. Mehr als die Hälfte dieser Unternehmen gab auch an, den Betriebsrat bei Fragen direkter Mitarbeiterbeteiligung über das im Betriebsverfassungsgesetz geforderte Maß einzubinden. Das lässt vermuten, dass die Größe der ausländischen Tochtergesellschaft einen dominanten Einfluss auf das Mitbestimmungsverhalten hat und insgesamt wichtiger ist als etwa das Alter der Tochtergesellschaft oder die nationale Herkunft der Muttergesellschaft. Um das Mitbestimmungsverhalten ausländischer Konzerntöchter in Deutschland genauer zu erkunden, wären jedoch weiter gehende Untersuchungsschritte notwendig.

Wie beurteilen Sie die Handlungsspielräume der Konzerntöchter?Vielfach erleben Betriebsräte die Manager als Vollzugsorgane einer stark zentralisierten und anonymen Auslandszentrale. Nicht selten verweisen die lokalen Manager selbst auf mangelnde Verhandlungsspielräume. Ist das ein Trick, um Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite auszubremsen?
Natürlich gibt es ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Konzernzentrale und Tochtergesellschaft. Und sicherlich haben die Konzernzentralen aufgrund ihrer hierarchischen Stellung Macht über Tochtergesellschaften – das steht außer Zweifel. Diese Macht kann sich jedoch als stumpfes Schwert erweisen. Immer dann, wenn die Tochtergesellschaften strategisch wichtige Ressourcen kontrollieren, sind Konzernzentralen an kooperativen Beziehungen interessiert. Solch strategisch wichtige Ressourcen können exklusive Kundenbeziehungen sein, die auf persönlichen Netzwerken lokaler Manager basieren. Es kann der Zugang zu einer bestimmten Technologie sein. Auch eine funktionierende Sozialpartnerschaft kann eine strategische Ressource der Tochtergesellschaft sein. So entstehen Handlungsspielräume.

Und wenn diese Assets nicht vorhanden sind?
Betrachtet die Konzernzentrale die Tätigkeit der lokalen Tochtergesellschaft als Randaktivität oder als ersetzbar, dann haben Tochtergesellschaftsmanager einen schweren Stand. Was nicht heißt, dass sie völlig machtlos sind. Sie könnten in dieser Lage proaktiv an der Entwicklung von strategischen Ressourcen arbeiten. So haben einige osteuropäische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen in den 1990er Jahren Fähigkeiten im Bereich FuE aufgebaut, was sie später vor einer Weiterverlagerung ihrer Produktion nach Asien geschützt hat.
Es besteht auch die Möglichkeit, Informationsasymmetrien zu nutzen, um das Bild der Mutter von der Tochtergesellschaft positiv zu beeinflussen. Aber deren Manager müssen ihre Spielräume auch nutzen wollen. Das funktioniert nur, wenn sich das lokale Management dem Standort verpflichtet fühlt. Gibt es kein „Standortcommitment“, dann kann der Verweis auf mangelnde Spielräume auch ein Trick sein, Forderungen der Arbeitnehmerseite abzubügeln, ohne Nein sagen zu müssen.

Arbeitnehmervertreter in globalen Konzerntöchtern erleben, dass Manager alle zwei Jahre ausgetauscht werden. Sie beklagen, dass so keine Vertrauenskultur entstehen kann, die bekanntlich Voraussetzung ist für Mitbestimmung, gemeinsame Problemlösung, auch für innovatives Voranbringen des Unternehmens. Hat das System?
Vertrauen ist erfahrungsbedingt. Ein Manager kann nur dann Vertrauen in Belegschaft und Arbeitnehmervertretung finden, wenn er oder sie sich über einen längeren Zeitraum als integer, kompetent, verlässlich, offen und loyal erweist. Manchen Konzernzentralen ist gerade eine solche Entwicklung ein Dorn im Auge. Sie befürchten, dass sich Manager während längerer Auslandsentsendungen zu stark assimilieren und übergreifende Konzernziele aus den Augen verlieren. Probleme werden auch bei der „Repatriierung“ erwartet. Die Rückkehr zur Konzernzentrale wird von Managern nach längerem Auslandsaufenthalt häufiger abgelehnt als nach kürzeren Entsendungen. Konzernzentralen sehen sich dann in der misslichen Lage, dem Bleibewunsch zu entsprechen, andernfalls laufen sie Gefahr, dass ihr Manager mit sensiblem Konzernwissen zu einem lokalen Konkurrenten wechselt. Es gibt aber noch weitere Gründe: Konzernzentralen entsenden Mitarbeiter auch, um bestimmte Qualifikationen vor Ort zu bringen, oder aus Gründen der Personal- und Organisationsentwicklung.

Spielen auch interkulturelle Unverträglichkeiten eine Rolle? Dass etwa eine amerikanische CEO-Struktur mit der deutschen Mitbestimmung nicht zusammenpasst?
Kulturelle Unterschiede, die sich in unterschiedlichen Systemen der Unternehmensverfassung widerspiegeln, dürfen nicht überbetont werden. Das unterschätzt die Anpassungsfähigkeit multinationaler Unternehmen an das Notwendige und gesetzlich Vorgeschriebene. Verändert sich hingegen die ideologisch-politische Großwetterlage, etwa durch eine strikte Hinwendung zum Shareholder-Value-Konzept, dann werden Unterschiede, die einst respektiert wurden, plötzlich zu Unverträglichkeiten, die bekämpft werden.

Was wäre Ihr Rat an die Betriebsräte und Gewerkschafter in internationalen Konzerntöchtern?
Sie sollten sich weiterhin in der gesellschaftspolitischen Diskussion für das deutsche Modell der Mitbestimmung starkmachen. Und sie sollten kontinuierlich auf die Verbesserung der Kompetenzen und Fähigkeiten der Tochtergesellschaft hinwirken. Einen Schutz vor Personalabbau oder Schließung erreicht man in aller Regel nur, wenn man für die Konzernzentrale zu einem wichtigen Aktivposten wird. Natürliche Verbündete dabei können Kunden, Zulieferer, lokale Institutionen und das standortgebundene Mittelmanagement sein. Auch mit dem von der Konzernzentrale entsandten Management gibt es – Ausnahmen bestätigen die Regel – gemeinsame Interessen, die genutzt werden können.

Welche wären das?
Vom Stammhaus delegierte Manager stehen zu Beginn ihrer Entsendung unter verstärkter Beobachtung. Starke Konflikte mit der Arbeitnehmervertretung werden nicht gern gesehen, denn womöglich haben sie Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Tochtergesellschaft. Wichtig sind hier eine realistische Einschätzung der Lage und politisch sensibles Handeln. Wie man die Tochtergesellschaften am besten koordiniert und die entsandten Manager einschätzt, ist nicht zuletzt ein Thema für den Euro- oder Weltbetriebsrat.

Mehr Informationen

Christoph Dörrenbächer: Von der Macht der Schwächeren. Oder: Worauf sich Tochtergesellschaften in Auseinandersetzungen mit ihren Konzernzentralen stützen können. In: A. Sorge (Hrsg.): Internationalisierung: Gestaltungschancen statt Globalisierungsschicksal. Berlin, edition sigma 2009

Florian Becker-Ritterspach/Christoph Dörrenbächer: Konzerninterner Wettbewerb im Multinationalen Unternehmen: Eine organisationspolitische Skizze. In: S. Schmid (Hrsg.): Internationale Unternehmungen und das Management ausländischer Tochtergesellschaften. Wiesbaden, Gabler Verlag 2010

Christoph Dörrenbächer/Mike Geppert (Hrsg): Politics and Power in the Multinational Corporation. Cambridge 2011

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