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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Vor Gericht zählen nur harte Fakten'

Ausgabe 10+11/2007

Fachanwalt Sebastian Rohrbach über Arbeitskonflikte vor Gericht, gefährliche Knoblauchbrote und die Grenzen des Rechts

Das Gespräch führten KAY MEINERS und Christoph Mulitze.

Herr Rohrbach, Sie vertreten überwiegend Arbeitnehmer und Betriebsräte - dabei arbeiten Sie eng mit der Gewerkschaft NGG zusammen. Wo werden Sie am häufigsten gerufen?
Derzeit habe ich viel mit Fast-Food-Ketten und Steakhäusern zu tun - alles das, was wir Systemgastronomie nennen. Diese Unternehmen bringen oft eine amerikanisch geprägte Kultur mit und sind nicht gerade betriebsratsfreundlich. Wenn Sie NGG-Mitglied sind und versuchen, einen Betriebsrat zu gründen, kann es passieren, dass der Arbeitgeber versucht, Sie loszuwerden.

Aber Gründer und Mitglieder von Betriebsräten genießen doch einen besonderen Kündigungsschutz.
So steht es im Gesetz. Aber wenn der Arbeitgeber nicht ordentlich kündigen kann, versucht er es außerordentlich - zum Beispiel wegen Diebstahls, wegen Beleidigung oder wegen einer falschen Reisekostenabrechnung. Im normalen Arbeitsverhältnis wird ja einiges toleriert - aber jetzt schaut der Arbeitgeber genau hin, ob er Ihnen was anhängen kann. Hat er etwas entdeckt, kündigt er. Und wenn das Betriebsratsgremium der Kündigung nicht zustimmt, beantragt er beim Arbeitsgericht, die Zustimmung zur Kündigung zu ersetzen.

Kommt so etwas häufiger vor?
Ich habe aktuell drei solcher Verfahren, übrigens alle aus der Systemgastronomie. In einem Fall streiten wir uns mit dem Arbeitgeber darüber, ob zwei Knoblauchbrote, die eine Betriebsratsvorsitzende verzehrt hat, für den Verkauf oder zum Wegwerfen bestimmt waren. Die erste Variante ist juristisch eindeutig ein Diebstahl - im zweiten Fall ist die Kündigung schwieriger durchzusetzen. Wir haben die erste Instanz gewonnen, aber der Arbeitgeber hat Beschwerde eingelegt. Wir sind in der zweiten Instanz.

Sieht denn das Gericht nicht, dass die zwei Brote nur ein Vorwand sind?
Das Gericht prüft nur den formalen Kündigungsgrund. Der Hintergrund spielt keine große Rolle. Täuschen Sie sich nicht - die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei Eigentumsdelikten extrem streng. Das gilt auch für den Diebstahl geringwertiger Sachen.

Mal ehrlich - selbst wenn man so einen Prozess gewinnt - wer will unter solchen Umständen noch zurück an den alten Arbeitsplatz?
Unter Umständen ist es extrem schwer, in den Betrieb zurückzukehren, wobei es Betriebsräte vielleicht noch etwas leichter haben als einfache Arbeitnehmer. Es ist daher auch extrem selten, dass im Kündigungsschutzverfahren die Weiterbeschäftigung durchgesetzt wird - meist kommt ein Vergleich heraus.

Was raten Sie Personen oder Betriebsräten, die von Ihren Vorgesetzen bereits eine oder mehrere Abmahnungen kassiert haben?
Ganz einfach: Pass peinlich genau auf, achte auch auf Kleinigkeiten und lass dich nicht provozieren - die Arbeitgeber warten nur darauf! Manchmal kann es auch helfen, sich aus der Schusslinie zu nehmen und etwas Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Der Betroffene soll extrem wachsam sein und gleichzeitig Ruhe bewahren?
In der Tat, das sind fast paradoxe Anforderungen. Er soll sehr korrekt und sorgfältig sein, aber er soll nicht überängstlich sein und sich nicht lähmen lassen. Das ist natürlich leicht gesagt - es erklärt, warum die Leute so unter Spannung stehen.

Können Sie Faktoren nennen, die besonders häufig zu Konflikten führen?
Hoch konfrontativ sind oft Neugründungen von Betriebsräten in Unternehmen, in denen zuvor kein solches Gremium existiert hat und wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad niedrig ist. Da müssen sich beide Parteien aneinander abkämpfen, oft fehlt auch einfach das Wissen über das Betriebsverfassungsrecht. In alteingesessenen und in größeren Unternehmen, etwa in der Süßwarenindustrie, gibt es eher eine sozialpartnerschaftliche Tradition - da streitet man eher um Sachfragen wie zum Beispiel Arbeitszeiten.

Und weiter?
Ein gewisses Risiko besteht auch dann, wenn ein neuer Arbeitgeber in den Betrieb kommt. Im Hotelgewerbe ist es nicht unüblich, dass alle zwei bis drei Jahre die Direktoren turnusmäßig wechseln. Es kommt aber auch vor, dass sie ausgewechselt werden, wenn sie mit dem Betriebsrat nicht klarkommen. Daneben gibt es immer auch Leute, die jegliche Mitsprache als Angriff auf ihre Autorität und ihre unternehmerische Freiheit werten. 

Warum ist es gerade dort so schwer, mehr Leute gewerkschaftlich zu organisieren, wo die Arbeitsbedingungen prekär sind?In einem Betrieb, mit dem ich zu tun habe, sind von den rund 50 Beschäftigten nur ein Drittel Vollzeitkräfte, ein Drittel Teilzeit, und ein weiteres Drittel ist geringfügig beschäftigt. Das macht es schwer und erzeugt ganz eigene Probleme. Der Vorsitzende des Betriebsrates und sein Stellvertreter sind dort geringfügig beschäftigt - wir streiten mit dem Arbeitgeber gerade darüber, was passiert, wenn sie wegen ihrer Betriebsratstätigkeit Überstunden machen und so über die Grenze von 400 Euro hinauskommen.

Was bekommen Sie als Anwalt von den real gezahlten Löhnen in der Branche mit?
Schon die Tarifgehälter sind nicht üppig - sie liegen teilweise unter dem Mindestlohn von 7,50 Euro, den die Gewerkschaften fordern. Einige Unternehmen wie McDonalds schließen Verträge mit Organisationen wie der Union Ganymed ab, die zum Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) gehören und die DGB-Tarife unterbieten. Ich weiß von einer Küchenhilfe bei einem großen Catering-Unternehmen, die Vollzeit arbeitet und dafür 838 Euro monatlich erhalten hat - das sind weniger als 5 Euro in der Stunde. Der Tariflohn läge bei 1339 Euro.

Das ist kaum mehr als die Miete plus Hartz IV. Wo ziehen die Gerichte die Notbremse?
Wenn weniger als zwei Drittel des Tariflohnes gezahlt werden, gehen die Gerichte davon aus, dass der Lohn sittenwidrig ist. In so einem Fall ist die Lohnabrede unwirksam. Wenn ein Gericht zu diesem Schluss kommt, muss der übliche Lohn gezahlt werden - und das ist in der Regel der Tariflohn.

Kommen Arbeitnehmer zu Ihnen, um gegen schlechte Gehälter oder überlange Arbeitszeiten vorzugehen?
Nein. Während des Arbeitsverhältnisses trauen sich einzelne Mitarbeiter praktisch nie, zum Anwalt zu gehen. Ausnahmen sind Versetzungen oder Vertragsänderungen. Die Leute kommen erst, wenn sie eine Kündigung erhalten haben. Aber dann ist es in der Regel zu spät, noch Überstunden geltend zu machen. Ebenso ist es schwer, gegen einen Dumpinglohn zu klagen, wenn der Arbeitnehmer die schlechten Bedingungen sehr lange akzeptiert hat. In Tarifverträgen gibt es häufig Ausschlussfristen. Sie besagen zum Beispiel, dass man Ansprüche innerhalb von drei Monaten beim Arbeitgeber schriftlich geltend machen muss.

Wie gehen die Mitarbeiter mit dem Gefühl um, schlecht oder ungerecht behandelt zu werden, und welche Konsequenzen ziehen sie daraus?
Der Einsatz von Leiharbeitern kann dazu führen, dass Personen, die exakt die gleiche Arbeit machen, unterschiedlich entlohnt werden oder andere Urlaubsansprüche haben. In Kliniken hat die Gründung von Untergesellschaften mit schlechteren Konditionen den gleichen Effekt. Die Bessergestellten nehmen die Schlechtergestellten als Bedrohung wahr. Umgekehrt gilt: Wer sich schlechter behandelt fühlt als andere, leidet darunter.

Was kann man dagegen tun?
Auch hier gilt: Obwohl solche Konstellationen hoch konfliktträchtig sind, werden einzelne Mitarbeiter kaum jemals klagen. Es ist sehr wichtig, dass es Betriebsräte gibt, die die Zuständigkeit für alle Mitarbeiter reklamieren. Ab und zu setzen einzelne Betriebsräte auch einmal gleiche Löhne für alle Beschäftigten durch.

Wie steht es um die klassischen Konflikte zwischen Arbeitnehmer und Vorgesetzen? Was ist noch ein normaler Streit und was ist Mobbing?
Es gibt eine Fülle von Katalogen und Definitionen, was Mobbing ist. Meine Faustregel: Wenn Sie darüber nachdenken, wegen der Schikanen den Arbeitsplatz aufzugeben, sollten Sie erwägen, einen Anwalt aufzusuchen. Doch Mobbing bleibt rechtlich schwer greifbar.

Die Sensibilität ist aber doch gestiegen. Geht das an den Gerichten vorbei?
Nein, so ist es nicht - aber oft haben die Mandanten Nachweisprobleme. Es ist ratsam, ein Mobbing-Tagebuch zu führen. Aber bei Situationen unter vier Augen löst selbst ein Tagebuch das Beweisproblem nicht. Oft kann man als Rechtsanwalt nur wenig unternehmen.

Bitte nennen Sie uns ein Beispiel.
Einmal habe ich einen älteren Mitarbeiter einer Sparkasse vertreten, einen vom alten Schlag, der besonderen Kündigungsschutz genoss und massiv gemobbt wurde. Immer mehr Aufgaben sind ihm entzogen worden, streckenweise saß er in einem Kämmerchen ohne Telefon und hat Arbeiten weit unter seiner Qualifikation erledigt. Er hat irgendwann kapituliert, ist psychisch erkrankt und war am Ende erwerbsunfähig.

Was haben Sie vor Gericht erreicht?
Wir haben geklagt und sind bis zum Landesarbeitsgericht gezogen, wo wir für ein Schmerzensgeld und - viel wichtiger - für den Verdienstausfall bis zur Rente gestritten haben. Die Richter haben schon gemerkt, dass an unserer Schilderung etwas dran war. Aber es hat am Ende nicht gereicht - nur für einen eher bescheidenen Vergleich.

Das heißt, die Chancen für die Täter stehen gut? Damit kann doch ein Jurist nicht zufrieden sein.
Bis heute sind Mobbing-Fälle keine klassischen Fälle für ein Arbeitsgericht. Die Sensibilität bei den Gerichten ist aber gewachsen - wenn man sich zeitnah wehrt und gute Beweise hat, kann es auch anders ausgehen.

Wann wird es für den einzelnen Arbeitnehmer bedrohlich?
Riskant wird es, wenn der Arbeitgeber jemanden nicht mehr braucht, aber nicht kündigen kann. Oder dann, wenn er mit der Arbeitsleistung nicht mehr zufrieden ist. Da ist es fast egal, ob der Mensch sich tatsächlich verändert hat oder der Chef nur den subjektiven Eindruck hat. Es gibt Konflikte, die sich über Jahre aufschaukeln und immer weiter eskalieren. Am Ende legt der Chef dem Mitarbeiter oft die freiwillige Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag nahe.

Was raten Sie Arbeitnehmern in so einem Fall?
Bloß nichts unterschreiben! Auch wenn der Arbeitgeber eine Abfindung anbietet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er versucht, möglichst günstig davonzukommen. Da lohnt es sich schon, die Schmerzgrenze auszuloten. Andersherum rede ich auch mit dem Mandanten ein kritisches Wort, wenn er unverhältnismäßige Vorstellungen hat - etwa über die Höhe einer möglichen Abfindung. Viele Leute kommen leider erst, nachdem sie einen Aufhebungsvertrag unterschrieben haben. Aber dann ist es zu spät.

Was kann man tun, damit es gar nicht so weit kommt?
Die Betriebsräte sind als Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vorgesehen. Zusätzlich können sie Betriebsvereinbarungen gegen das Mobbing abschließen. Bei Ford gibt es so etwas und auch im öffentlichen Dienst. Sie haben oft zum Ziel, die Betroffenen wieder an einen Tisch zu bringen, oder sie sehen die Möglichkeit der Supervision vor.

Sie bieten, wie neuerdings immer mehr Arbeitsrechtler, auch Ihre Dienste als Mediator an. Kann man sich allein auf das Recht nicht verlassen?
Die Mediation ist noch nicht sehr verbreitet. Aber es gibt Situationen, gerade auch zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, die sich dafür eignen. Zum einen kann man Geld sparen, wenn man statt der Einigungsstelle einen Mediator einschaltet. Auf die Kosten wird ja immer mehr geachtet. Zum anderen gibt es tatsächlich Dauerkonflikte, bei denen das Arbeitsrecht an seine Grenzen stößt. Dann trifft man sich immer wieder vor Gericht. Damit ist schließlich auch keinem geholfen.

Was unterscheidet den Rechtsstreit von der Mediation?
Vor Gericht geht es immer darum, wer Recht und wer Unrecht hat. Bei der Mediation kommt es mehr darauf an, dass sich beide Konfliktparteien emphatisch in die Situation des anderen hineinversetzen. Das ist bei Konflikten sehr hilfreich. So etwas bedeutet nicht, Konflikte weichzuspülen - auch die Mediation kann auf eine Trennung hinauslaufen.

Man kann aber in einem Konflikt nicht Mediator und Anwalt zugleich sein?
Nein. Wenn ich eine Partei als Anwalt vertrete, kann ich nicht auch die Mediation machen. Ich verweise in solchen Fällen an einen Kollegen.

Sie arbeiten sehr eng mit Gewerkschaften wie der NGG zusammen - beraten Sie eigentlich auch Arbeitgeber?
In Ausnahmefällen schon - wenn es sich um eine andere Branche handelt als die, in der ich überwiegend die Arbeitnehmerseite vertrete. Manche Betriebsräte sehen das nicht so gern. Aber ich finde das nicht schlecht - für mich ist das eine Gelegenheit, die andere Seite kennen zu lernen. Ich bin überzeugt, dass meine Arbeit davon profitiert.


Zur Person

Sebastian Rohrbach, geboren 1966 in Köln, vertritt überwiegend Arbeitnehmer und Betriebsräte, zu einem großen Teil aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie der Ernährungsindustrie. Rohrbach war Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung, seit 1999 ist er Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Rohrbach und Partner.

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