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Magazin Mitbestimmung

: In dieser Zukunft wollen wir leben

Ausgabe 04/2009

GESELLSCHAFT Deutschland ist ein reiches, friedliches Land. Trotzdem gibt es vieles, was nicht bleiben kann, wie es ist. Gedanken von zwei Böckler-Stipendiaten.

Von Johannes Klenk, Esslingen, und Vera Grebe, Hamburg / Foto: Krishna Lahoti und Cordula Kropke

Johannes Klenk, geboren 1982 in Stuttgart. Stipendium: Grundförderung 2003 bis 2009. Studium: Erziehungswissenschaft und Politik
Berufswunsch: offen. Engagement: IG Metall

"Wir sind eigentlich ganz gut dran in Deutschland. Wir leben in einer der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt, in einer Gesellschaft, die uns allen weitreichende Freiheits- und Beteiligungsrechte gewährleistet. Im Vergleich zu anderen Staaten geht es uns damit sicher nicht übel. Trotzdem könnten eine Reihe von Dingen aus meiner Sicht verbessert werden. Ich will aber keinen Beitrag mit dem Tenor, ‚wenn ich nur könnte, würde ich …‘ schreiben. Lieber will ich an zwei Beispielen zeigen, was jeder Einzelne von uns im Alltag tun kann, um unser gemeinsames Leben in Deutschland und in Europa gerechter, nachhaltiger und besser zu machen.

Wir Deutschen sind im Vergleich zu anderen Europäern besonders begierig, möglichst niedrige Preise für Lebensmittel zu bezahlen. So machen billige Lebensmittel einen großen Teil des Erfolgs der verschiedenen Discounter aus. Der Preiskampf der Discounter hat Schattenseiten, insbesondere für deren Beschäftigte. Dies wurde zuletzt in der Spitzel-Affäre bei Lidl wieder deutlich. Jeder Euro, der beim Discounter ausgegeben wird, ist Zustimmung zu diesem ungerechten Geschäftsmodell. Für gerechte Arbeitsbedingungen eintreten und beim Discounter einkaufen - das passt für mich nicht zusammen.

Auch der Umgang mit Energie gibt mir zu denken. An uns wird appelliert, privat Energie einzusparen. Wenn es sich lohnen soll, bedeutet das den Verzicht auf lieb gewonnene Gewohnheiten, den Verlust von Komfort oder doch zumindest Aufwand - aber politisch ist es kaum wirksam. Da bringt es doch viel mehr, den Stromversorger zu wechseln. Unterschiedliche Firmen bieten inzwischen Strom und Gas aus regenerativen Quellen zu marktfähigen Preisen an. Dies ist zumeist verbunden mit der Selbstverpflichtung, weiterhin in den Ausbau regenerativer Energieerzeugung zu investieren. So trägt jeder Ökoenergie-Kunde über seinen Anbieter dazu bei, bestehende Kapazitäten auszubauen und die Zukunftsfähigkeit der regenerativen Energie-Erzeugung zu sichern - und er muss nicht mehr tun, als einmal ein Formular auszufüllen. Deutschland ist einer der wichtigsten Standorte für Anlagen zur regenerativen Energiegewinnung - und mehr Nachfrage bedeutet meist auch mehr Arbeitsplätze.

Diese Beispiele zeigen, dass wir als Verbraucher Einfluss nehmen können. Dazu muss man über den eigenen Tellerrand blicken und die Folgen seines Handelns erkennen. Wer versucht, sich dieser Verantwortung zu entziehen, der stimmt stillschweigend den momentanen Bedingungen zu."


Vera Grebe, geboren 1986 in Tschimkent/Kasachstan. Förderweg: Böckler-Aktion Bildung. Studium: Jura. Berufswunsch: Richterin. Engagement: Jusos. 

"Geld regiert die Welt - so sagt ein Sprichwort. Die richtige Regierung aber bilden Politiker, die vom Volk legitimiert sind. Sie müssen widerstreitenden Interessen gerecht werden, indem sie Kompromisse finden. Die Manager und Vorstände der Banken, die über viel Geld verfügen, sind dagegen allein ihren Aktionären verantwortlich und deren Interesse, hohe Renditen zu erwirtschaften. In einem solchem System entsteht kein Ausgleich zwischen widerstreitenden Kräften, der notwendig ist, um ein gesundes und freiheitliches System zu haben.

Deshalb brauchen wir nicht allein eine staatliche Kontrolle der Banken. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Entscheidungen innerhalb dieser Institutionen so zustande kommen, dass auch hier unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden und dass die Entscheidungsmacht verteilt ist. Sonst führt mehr Kontrolle nur dazu, dass die Entscheidungsträger ihre Energie darauf verwenden, wie sie sich der Kontrolle von außen entziehen können. Darum wünsche ich mir ein Wirtschaftssystem, in dem die Unternehmen nicht nur Kontrollen von außen unterworfen sind, sondern das Prinzip der Gewaltenteilung auch im Inneren stärker umsetzen. Ein solches System sorgt für ein Gleichgewicht der Interessen.

Ich wünsche mir, dass sich der Staat am Gemeinwohl orientiert, statt sich allein auf die Marktmechanik zu verlassen. Ich wünsche mir, dass es keinen Platz mehr gibt für die Ausbeutung der Menschen durch Leiharbeit und dass man mit seiner Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen und seine Zukunft planen kann. Ich wünsche mir ein System, in dem man erkannt hat, dass es nicht allein auf das günstigste Angebot ankommt, sondern auch auf die Nachfrage. Jeder soll am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können. Möglichst viele Leute sollen ihre Nachfrage aus regulärer Beschäftigung decken können, nicht aus den Sozialkassen.

Wenn Kinder die Zukunft sind, dann darf Familienfreundlichkeit kein Kostenfaktor mehr sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Denn neue Ideen können nur Menschen entwickeln, die von der Erfahrung noch nicht verblendet sind. Wenn das Alter ein Aussichtsturm ist, dann muss eine Gesellschaft auch die Weisheit der Älteren nutzen, statt sie abzuschieben. Dann wird erst im Zusammenspiel von Alt und Jung eine Idee optimal umgesetzt."

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