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Magazin Mitbestimmung

: Im Schatten der Telekom

Ausgabe 12/2006

Bei der Telekom sollen zehntausende Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut werden. Bis Ende 2008 schließt der Konzern betriebsbedingte Kündigungen aus - so ist es im Beschäftigungsbündnis mit ver.di festgeschrieben: eine Aufgabe für Vivento, die größte Beschäftigungsgesellschaft Europas.



Von Dominik Reinle
Der Autor ist Diplom-Soziologe und arbeitet als Journalist in Köln.


Am 1. Dezember 2006 feiert Vivento eine Premiere. Zum ersten Mal verkauft die Personal-Service-Agentur eine Reihe von Betrieben, die sie selbst fit für den Markt gemacht hat. Fünf Callcenter der Telekom-Tochter Vivento Customer Services GmbH (VCS) in Aachen, Dresden, Halle, Lübeck und Magdeburg werden an die Ettlinger Walter-Tele-Medien-Gruppe (WTM) übergeben. Mit dem Betriebsübergang wechseln rund 710 Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsplatz auch den Arbeitgeber.

Insgesamt sollen durch solche Verkäufe 7000 Beschäftigte Vivento verlassen - ein beträchtlicher Teil der 32 000 Telekom-Mitarbeiter, von denen sich der Konzern im Zeitraum von 2006 bis Ende 2008 trennen will. "Diese Personalanpassung erfolgt sozialverträglich", verspricht Heinz Klinkhammer, bis zum Dezember noch Personalvorstand der Telekom.

Vivento spielt dabei eine zentrale Rolle. Das von Klinkhammer entwickelte Personalinstrument basiert auf dem Haustarifvertrag "Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung" (TV Ratio), den die Telekom und ver.di im Juli 2002 abgeschlossen haben. Aufgabe von Vivento ist es, überflüssig gewordene Mitarbeiter auf neue Dauer-Arbeitsplätze inner- und außerhalb des Konzerns zu vermitteln. Bis dahin sind Leiharbeitseinsätze möglich.

Eingesetzt werden die Mitarbeiter zum Beispiel bei der Umsetzung der Hartz-IV-Reform in den Arbeitsagenturen. Zusätzlich werden Beschäftigte in Unternehmenseinheiten, so genannten Geschäftsmodellen, untergebracht, die eigenständig am Markt auftreten. Für die Zeit- und Leiharbeitseinsätze der Mitarbeiter erhält Vivento von den ausleihenden Behörden und Firmen einen Deckungsbeitrag. Das verbleibende Defizit wird vollständig von der Telekom übernommen. Pro Jahr kostet Vivento rund eine Milliarde Euro.

Auf dem freien Markt drohen Einkommensverluste

Beim Verkauf von Geschäftsmodellen läuten bei der Vivento-Betriebsratsvorsitzenden Gabi Weber allerdings die Alarmglocken. Denn in einem Brief vom Oktober 2006 schreibt Vivento-Chef Dietmar Welslau, nach dem Betriebsübergang gelte der Tarifvertrag der übernehmenden Firma, "der ein marktübliches, niedrigeres Entgelt vorsieht, als es für vergleichbare Tätigkeiten bei der VCS gezahlt wurde".

Für die Gewerkschafterin Weber klingt das nach Lohndumping: "Wenn Vivento-Mitarbeiter über den Verkauf von Geschäftsmodellen den Telekom-Konzern verlassen, bedeutet das mittelfristig einen existenzbedrohenden Verlust ihres Einkommens." Nach Telekom-Angaben liegen die marktüblichen Löhne im Service- und Callcenter-Geschäft 30 bis 50 Prozent unter den Telekom-Gehältern.

"Die Geschäftsmodelle sind grundsätzlich eine gute Idee", sagt Betriebsrätin Weber. Verkäufe seien ursprünglich aber nicht beabsichtigt gewesen. "Der Sinn war Beschäftigungssicherung, aber nicht das Rausdrängen von Mitarbeitern und das Einziehen einer zweiten und dritten Lohnebene." Für Vivento-Chef Welslau hingegen war der Verkauf "von Anfang an das erklärte und kommunizierte Ziel". Auch nach Meinung von Telekom-Personalvorstand Klinkhammer kann von Lohndumping "keine Rede" sein.

Vielmehr sei das Entgelt in den verkauften Callcentern bis Ende 2011 abgesichert - durch langfristige Telekom-Aufträge an den neuen Arbeitgeber WTM. Zusätzlich werde die Altersvorsorge der Mitarbeiter für fünf Jahre fortgeführt, für ältere Kollegen sogar für zehn Jahre. "Mehr Sicherheit kann man heutzutage kaum einem Arbeitnehmer geben", sagt Klinkhammer.

Dennoch: Das Gehalt der ehemaligen Vivento-Mitarbeiter soll bis 2011 stufenweise reduziert werden - darauf haben sich der neue Eigentümer WTM und ver.di geeinigt. Einen BenQ-Effekt schließt der promovierte Jurist aber nicht aus: "Wir haben für die Mitarbeiter so viele Sicherungen eingezogen, dass der Betriebsübergang kein Risiko darstellt. WTM hat als einziges Unternehmen in dem Sektor einen mit ver.di vereinbarten Tarifvertrag."

Streit ums Geld hat es bereits bei den Tarifverhandlungen 2006 gegeben. Das Vivento-Personal teilt sich in rund 700 so genannte "Stammkräfte", die als Arbeitsvermittler tätig sind, und in derzeit rund 14 100 "Transferkräfte", die die Zeit- und Leiharbeitseinsätze leisten. Während Vivento-Chef Welslau die Stammkräfte mit einer Einmalzahlung besser stellen wollte, sollten die Transferkräfte leer ausgehen.

"Mit der Einmalzahlung sollen die Mitarbeiter am Unternehmenserfolg partizipieren, die ihn erwirtschaftet haben", erklärte er. Die Transfermitarbeiter jedoch erwirtschaften nur einen Deckungsbeitrag, dem hohe Aufwendungen für den Personalüberhang entgegenständen. Daher sei eine Einmalzahlung "im Konzerninteresse nicht gerechtfertigt".

Die Betriebsratsvorsitzende Weber, die das als "reine Willkür" bezeichnet, wehrte sich erfolgreich: ver.di setzte die Einmalzahlung schließlich für die gesamte Vivento-Belegschaft durch. Ebenfalls im Juni 2006 hat die Telekom eine weitere Einschränkung beim Umgang mit einem Teil ihrer Beschäftigten hinnehmen müssen: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stoppte die Versetzung von Beamten zu Vivento.

Das Gericht erklärte die Versetzung für unzulässig, weil Vivento den Beamten keine amtsgemäße Beschäftigung bieten könne. Für die bereits versetzten Beamten ergeben sich aus dem Urteil allerdings keine Veränderungen. Sie verbleiben bei Vivento und bilden weiterhin eine Hälfte der Belegschaft. Die andere besteht aus Angestellten.

"Nur ein Mauseloch führt zurück zur Telekom"

Die dauerhafte Rückkehr auf einen Konzern-Arbeitsplatz ist für Vivento-Mitarbeiter zwar theoretisch möglich, aber praktisch unwahrscheinlich: "Der Zugang von der Telekom zu Vivento ist ein Scheunentor. Der Weg zurück ist ein Mauseloch", sagt die Betriebsratsvorsitzende Weber.

Obwohl im Tarifvertrag festgelegt sei, dass die Beschäftigten primär Anspruch auf eine Wiederbeschäftigung in der Telekom hätten, würden die Leute von Vivento vorwiegend nach draußen vermittelt. Das Handbuch für Transfermitarbeiter, das Neuankömmlingen bei Vivento in die Hand gedrückt wird, macht daraus keinen Hehl: "Erklärtes Ziel von Vivento ist es, … Sie schnellstmöglich in ein neues Arbeitsverhältnis - vorrangig außerhalb des Konzerns - zu vermitteln." Die Betriebsratsvorsitzende sieht darin einen klaren Verstoß gegen den Tarifvertrag, den die Telekom offenbar bewusst unterlaufe.

"Wo es intern möglich ist, einen Arbeitsplatz mit einem Transfermitarbeiter über Vivento zu besetzen, hat das natürlich immer Priorität", erklärt dagegen Personalvorstand Klinkhammer. Die Aussage von Vivento-Mitarbeitern, sie würden bei der internen Jobvergabe als Externe behandelt, weist er zurück: "Das kann ich absolut nicht bestätigen."

Die Kandidaten hätten bei internen Ausschreibungen die gleichen Chancen und Rechte wie alle anderen Mitarbeiter im Konzern auch. Klinkhammer weist außerdem daraufhin, dass die Telekom konzernweit Runde Tische gegründet habe, "die den internen Personalausgleich im Konzern gestalten". Weber hält davon wenig: "Diese runden Tische sind lediglich beratende Gremien, die keine Verpflichtungen aussprechen können." Es fehle eine übergeordnete Stelle "mit Durchgriff" auf die Personalentscheidungen der einzelnen Organisationseinheiten.

"Bei Vivento habe ich mit dem Arbeitgeber Erfahrungen gemacht, die ich als langjährige freigestellte Betriebsrätin im Telekom-Konzern so nicht erlebt habe", sagt ver.di-Mitglied Weber. "Früher haben wir mit den Arbeitgebern hart gestritten und hinterher ein Ergebnis gehabt." Bei Vivento habe sie hingegen oft den Eindruck, "dass man sich müde läuft und gegen eine Wand rennt".

Überhaupt Zahlen und Fakten über den Betrieb zu erhalten sei am Anfang sehr schwer gewesen. Ihr Gefühl ist, dass die Geschäftsleitung sich nicht in die Karten schauen lässt: Mit der Ausstattung gab es nie Probleme - wohl aber mit der Transparenz. "Bei den Themen Mitbestimmung und Umgang mit Beschäftigten würde ich mir noch ein Mehr wünschen", sagt sie. "Dass das auf Augenhöhe geschieht."

Fragil ist auch das Verhältnis zwischen Vivento- und Telekom-Beschäftigten. "Ganz am Anfang war Vivento ein Schreckgespenst in der Telekom", erzählt Betriebsrätin Weber. Transfermitarbeiter seien bedauert, Stammkräfte wären als Menschenschinder verdächtigt worden.

"Für uns als Betriebsrat war es schwer, mit den Telekom-Betriebsräten ein Netzwerk zu knüpfen, um zu erreichen, dass auch sie sich als Fürsprecher der Vivento-Beschäftigten sehen. Immerhin waren diese auch mal ihre Beschäftigten." Auch die Unterteilung der Vivento-Belegschaft in Stamm- und Transferkräfte ist für die Interessenvertretung schwierig: "Es kann passieren, dass der eine Kollege nicht auf den Arbeitsplatz will, den der andere ihm anbietet", sagt Weber. "Der Betriebsrat versucht dann zu vermitteln."

Zu Vivento gibt es keine Alternative

Trotz Differenzen im Detail sind sich Arbeitgeber und Betriebsrat einig: Als Personalinstrument ist der Telekom-Betrieb Vivento unter den aktuellen Umständen konkurrenzlos. "Die Tarifparteien haben ein Instrument geschaffen, zu dem es derzeit keine Alternative gibt", sagt die Betriebsratsvorsitzende Weber. Die Vivento-Mitarbeiter hätten durch die weitgehende Fortzahlung ihres alten Lohnes eine Daseinsabsicherung. Auch Telekom-Personalvorstand Klinkhammer hält Vivento für "ein geeignetes Instrument für den Personalab- und umbau.

Unsere Vermittlungszahlen und die Beschäftigungsquote geben uns da Recht." Vivento gestalte das freiwillige Ausscheiden aus dem Konzern sozialverträglich: "Die Kombination aus Individualvermittlung innerhalb und außerhalb des Konzerns, Gestaltung des Konzern-Arbeitsmarktes, Aufbau und Personalisierung eigener Business-Lines und Auf- sowie Ausbau eigener großer Beschäftigungsprojekte" funktioniere gut.

Ende 2008 läuft das Beschäftigungsbündnis mit ver.di aus. Danach sind bei der Telekom betriebsbedingte Kündigungen wieder möglich. Vivento-Betriebsrätin Weber befürchtet, dass eine Verlängerung des Kündigungsstopps ihren Preis für die Beschäftigten haben wird. Personalvorstand Klinkhammer bestätigt dies: "Die Deutsche Telekom kann diese Zusage verlängern, wenn im Gegenzug vom Sozialpartner ein entsprechender Beitrag eingebracht wird."

Er geht jedenfalls davon aus, dass die Telekom "auch nach 2008 Vivento benötigt, um ein professionelles Personalüberhang-Management zu gewährleisten." Presseberichte, wonach zwischen 2008 und 2010 weitere 23 000 Jobs gestrichen werden, weist Klinkhammer zurück und erklärt, "aus heutiger Sicht" werde es kein weiteres Personalabbau-Programm geben. Aber "natürlich" müssten weiterhin Mitarbeiter das Unternehmen verlassen.

Im Konzern-Halbjahresbericht 2006 heißt es denn auch: "Der notwendige Personalumbau wird unverändert fortgesetzt. Hierfür wird die Deutsche Telekom neben Instrumenten wie Abfindungen und Vorruhestand weiterhin auf das Vermittlungsmanagement von Vivento setzen."

 


Das Wichtigste über Vivento

Seit ihrer Privatisierung im Jahr 1995 hat die Telekom bisher rund 110 000 Stellen abgebaut. Zur Sicherung der Konkurrenzfähigkeit sollen auch weiterhin Jobs wegfallen. Zuständig für den Arbeitsplatz-Abbau ist Personalvorstand Heinz Klinkhammer. Zunächst setzte er auf die klassischen Personalinstrumente: Abfindungen, Vorruhestandsregelungen und Nichtbesetzung offener Stellen. Als sich der Personalabbau in der angestrebten Dimension nicht sozialverträglich bewältigen ließ, führte er im August 2002 ein neues Instrument ein: Vivento, damals noch unter dem Namen Personal-Service-Agentur Telekom. Seit der Gründung haben insgesamt rund 36 200 Telekom-Beschäftigte zu Vivento gewechselt und rund 21 500 den Betrieb wieder verlassen.

Welche Mitarbeiter zu Vivento wechseln müssen, wird in einem so genannten Clearing-Verfahren festgelegt. Zu den Auswahlkriterien gehören Leistung, Alter und soziale Gesichtspunkte. Zurzeit hat Vivento rund 14 800 Mitarbeiter. Davon sind rund 700 "Stammkräfte", die als Vermittler eingesetzt werden - von den rund 14 100 "Transferkräften" sind 8000 Beschäftigte in den "Business-Lines" VCS und VTS sowie in weiteren Geschäftsprojekten untergebracht. 100 Mitarbeiter absolvieren Trainings. Von den restlichen 6000 Transferkräften befinden sich 4100 in Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen, 1900 sind ohne Beschäftigung. Die Beschäftigungsquote der Transferkräfte beträgt damit ca. 86 Prozent.

 





Renate Brandstetter, 43, Beamtin, arbeitet bis Dezember 2006 in einem VCS-Callcenter in Frankfurt am Main.
Brandstetter fängt 1979 als Sekretärin im Fernmeldedienst an. Sie steigt auf, wird Teamsekretärin für 15 Leute, leitet ein Abteilungsbüro im Fernmeldetechnischen Zentralamt - damals der heilige Gral der Post. "Ich war die jüngste Sekretärin, die beim Präsidenten saß", lacht Renate Brandstetter. Sie arbeitet zehn Jahre, dann kommen die Kinder. Als Beamtin kann sie so genannten Urlaub ohne Bezüge einreichen. Sie lebt mit der Familie mehrere Jahre in Saudi-Arabien, spricht fließend Englisch, ist weltläufig und selbstbewusst.

2003 will sie wieder in den Beruf einsteigen. Doch sie erlebt eine Überraschung: "Mir wurde geschrieben, ich gehöre nun zu Vivento." Zu diesem Zeitpunkt sucht T-Mobile International Sekretärinnen, die Englisch können. Sie bekommt den Job und arbeitet zweieinhalb Jahre in der T-Mobile-Abteilung in Darmstadt. Sie soll übernommen werden, doch dann wird ihre Abteilung aufgelöst. Schluss. Drei Monate zu-Hause-sitzen. Dann ein Anruf ihrer Vermittlerin. Sie soll in der Darmstädter Störungsstelle Kundenbeschwerden entgegennehmen.

Als Renate Brandstetter nach einem dreiwöchigen Lehrgang ihre Schicht antreten will, wird ihr eröffnet, dass sie ab sofort im Callcenter der Vivento Customer Services GmbH (VCS) in Frankfurt am Main eingesetzt werde. Als sie am nächsten Tag dort erscheint, weiß man von nichts. Sie beschwert sich bei ihrer Vermittlerin: "So kann man doch mit Leuten nicht verfahren!" In dem Callcenter beantwortet sie Kundenfragen zu Telefonrechnungen. Doch Brandstetter fühlt sich unterfordert: "Ich habe früher Büros hochgezogen und selbstständig gehandelt." Deshalb bewirbt sie sich regelmäßig bei den Geschäftseinheiten T-Com, T-Systems und T-Online.

Doch bisher ohne Erfolg: Dabei gibt es durchaus Interesse an ihrer Mitarbeit. "Mir wurde bei den Bewerbungsgesprächen gesagt, dass die Qualifikation und meine aufgeschlossene Art stimmen. Das Problem aber sei, dass ich von Vivento käme." Denn die Verwaltung der Telekom-Geschäftseinheit wollte lieber eigene Bewerber unterbringen. "Offiziell gelten Vivento-Mitarbeiter zwar als interne Mitarbeiter. Wir werden aber behandelt wie externe Bewerber", sagt sie entrüstet. "Ich fühle mich ausgegrenzt und an den Rand gedrückt." Sie hat den Betriebsrat eingeschaltet. Ihr Einsatz im Callcenter ist bis Dezember 2006 befristet. Sie will sich weiter nach einer passenden Arbeit umsehen: "Mein Wille zu arbeiten ist noch nicht gebrochen."



Ulrike Burgaß, 48, Beamtin, ist als Zeitarbeiterin bei T-Com eingesetzt - der Vertrag endet im Februar 2007.
Die Kielerin Burgaß kommt 1979 zur Post, arbeitet mal in der Hausverwaltung, mal im Immobilien-Management. Öffentlichkeits- und Stabsaufgaben folgen. Sie ist im Marketing tätig, als die Telekom entscheidet, bundesweit die Marketing-Niederlassungen zu schließen.

Im Frühjahr 2003 kommt sie zu Vivento. Nach 24 Jahren Betriebszugehörigkeit sitzt sie plötzlich zu Hause, was ihr nicht leicht fällt: "Das Selbstbewusstsein ist total weggebrochen." Ihre Erfahrungen, die sie täglich in die Geschäftsleiter-Runde einbrachte, zählen nicht mehr. Ein Vermittler kanzelt sie ab: "Alles, was Sie gemacht haben, interessiert nicht. Jetzt tun Sie mal das, was ich will."

Burgaß ärgert sich über Kollegen, die ebenfalls zu Vivento versetzt wurden und ihr nun als Vermittler gegenübersitzen. "Die Wertschätzung ist auf der Strecke geblieben", kritisiert sie. Dann besinnt sie sich auf ihr Motto: "Beweg dich selbst, bevor andere dich bewegen." Sie möchte ihr Können in der freien Wirtschaft beweisen, lässt ihre Kontakte spielen und organisiert sich selbst für zwei Jahre einen Job in der Marketing-Abteilung einer Software-Firma, wo sie über Vivento eine Elternvertretung macht. Ihr Selbstbewusstsein kehrt zurück: "Du kannst doch was, auch wenn die Telekom meint, du bist nicht mehr zu gebrauchen." Der zweijährige Vertrag der Vivento-Leiharbeiterin endet im Sommer 2006.

Wieder wird Ulrike Burgaß selbst aktiv und findet heraus, dass in der Bonner Wholesale-Niederlassung der T-Com eine Elternvertretung gesucht wird. Sie lässt nicht locker, ruft immer wieder an und bekommt den Job. Als sie bei Vivento Bescheid sagt, ist man dort erstaunt: "Ja, können Sie das selbst regeln?" Burgaß kann: "Ja, ich regele alles selbst, aber ich brauche von Ihnen Kostenstellen und so weiter." Sie ist mobil, pendelt von Kiel nach Bonn. Ihr Fazit: "Ohne Eigeninitiative geht man bei Vivento unter." Bei der T-Com stellt sie mit Erschrecken fest, was mit den Kollegen um sie herum passiert: "Wegen des Personalumbaus haben alle Angst um ihren Job und beschäftigten sich damit mehr als mit ihren eigentlichen Aufgaben."

Mit ihrer Arbeit ist sie zufrieden, auch das menschliche Umfeld stimmt. Dennoch weiß sie, welches Verlierer-Image Vivento-Mitarbeiter innerhalb der Telekom oft haben. "Als trügen wir ein Schild auf der Stirn, auf dem steht: Das muss ein Loser sein." Der T-Com-Einsatz von Ulrike Burgaß endet im Februar 2007. Ihr Ziel: Sie will versuchen, in Bonn einen festen Arbeitsplatz innerhalb der Telekom zu bekommen: "Ich hoffe, ich habe noch lange die Energie, mich in diesen Telekom-Wogen neu zu finden."



Petra Messner, 51, Beamtin, ist als Zeitarbeiterin bei der Agentur für Arbeit in Villingen eingesetzt - der Vertrag läuft bis Dezember 2007.
Sie gehört seit 34 Jahren zur Belegschaft, war erst bei der Post, dann bei der Telekom. Messner beginnt ihre Laufbahn als Angestellte, studiert an der Fachhochschule, wird Diplom-Verwaltungswirtin und übernimmt verschiedene Leitungsfunktionen. Als der Börsengang ansteht, baut sie die Börsen-Hotline mit auf: "Die Volksaktie musste schließlich verkauft werden." Anschließend führt sie eine Rechtsabteilung und vertritt die Telekom bei Gericht gegen Schuldner. Als die Abteilung geschlossen wird, bearbeitet sie wichtige Kundenbeschwerden, die direkt an Ron Sommer oder Heinz Klinkhammer gerichtet sind.

Seit fünf Jahren ist sie schon Telekom-Betriebsrätin, als sie im Mai 2003 erfährt, dass sie auf der Vivento-Liste steht. "Ich wusste dadurch viel früher als andere Betroffene, dass ich auch dabei bin." Den besonderen Schutz für Betriebsräte, der sie vor einer Versetzung zu Vivento bewahren könnte, nimmt sie nicht in Anspruch: "Wenn ich nicht gegangen wäre, hätte eine andere Kollegin für mich gehen müssen. Das wollte ich nicht." Es ist, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Sie bekommt Depressionen, muss Medikamente nehmen. "Es war furchtbar", erinnert sich Messner. "Das Wissen, nicht mehr gebraucht zu werden, hat mir sehr zu schaffen gemacht."

Bis Dezember 2003 sitzt sie auf Abruf zu Hause: "Wenn bis um zehn Uhr das Telefon nicht klingelte, hatte man den Tag zur freien Verfügung." Ihren Vermittler lernt Messner nicht kennen. Dafür nimmt sie an einem Vivento-Workshop teil, auf dem ein junger Referent erklärt, die Anwesenden sollten sich gefälligst am Riemen reißen: "Ich habe ihn dann sehr eindringlich gebeten, aufzuhören, mit der Angst dieser Menschen zu spielen." Im Dezember 2003 kandidiert Petra Messner wieder als Arbeitnehmervertreterin und wird in den Vivento-Betriebsrat gewählt. "Die brauchen Power-Frauen in solchen Gremien. Ich lasse mich nicht kleinkriegen."

Seit Dezember 2004 arbeitet sie in Villingen als Vermittlerin bei der Agentur für Arbeit. Hier stammen 20 der insgesamt 200 Mitarbeiter von der Telekom. Petra Messner ist mit dem Job zufrieden und als Vermittlerin genauso erfolgreich wie die BA-Angestellten. Die Befristung der Abordnung zur Arbeitsagentur endet im Dezember 2007. Was dann kommt, weiß niemand. "Im Vergleich zu meinen Kunden, bin ich eine De-Luxe-Arbeitslose", meint Messner. "Wir sind genauso in die Hoffnungslosigkeit gekommen wie die anderen Arbeitslosen - aber mit vollem Gehalt."

 

 

Internet
So präsentiert Vivento sich potenziellen Kunden:
http://www.vivento.de/

ver.di-Informationen über Vivento findet man hier:
http://www.verdi-vivento.de/

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