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Magazin Mitbestimmung

: Gespaltene Belegschaften

Ausgabe 10+11/2007

ARBEITSBEDINGUNGEN Längst dient Leiharbeit nicht mehr nur der Flexibilität der Unternehmen - sie wird auch eingesetzt, um Standards zu drücken. So werden aus Kollegen Konkurrenten.

Von NATALIE GRIMM und BERTOLD VOGEL. Die Autoren arbeiten am Hamburger Institut für Sozialforschung zu Fragen der Veränderung der Arbeitswelt und des Sozialstaates. Für das Projekt "Prekarisierte Erwerbsbiografien" haben sie biografische Interviews mit Leiharbeitnehmern geführt.

Wie fühlen sich eigentlich Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit verrichten, dafür aber unterschiedlich bezahlt werden, unterschiedlich gut abgesichert sind und unterschiedliche Urlaubsanssprüche haben? Während die Folgen des Leiharbeits-Booms für den Arbeitsmarkt heiß diskutiert werden, hat sich über die sozialen und psychischen Konsequenzen kaum jemand Gedanken gemacht.

"Man hat das Gefühl, dass man nicht so viel wert ist, wie die anderen, weil man von einer Leihfirma kommt." Leiharbeiter, 30 Jahre

Oft beginnt das Leiharbeitsverhältnis bereits mit einem Gefühl der Abwertung der eigenen Qualifikation. Ganz gleich, welchen Beruf die Leihkräfte erlernt haben, sie werden vom Verleiher in der Regel ohne Rücksicht auf ihre Berufserfahrung und häufig zu schlechteren Konditionen als die Stammkräfte eingesetzt. Im Entleihbetrieb sind sie meist Hilfskräfte, die alles das machen müssen, was das Stammpersonal nur mit spitzen Fingern anfasst.

Als solche werden sie von ihren Vorgesetzten und Kollegen häufig wahrgenommen und behandelt. Interessant ist, dass gerade die Bereitschaft zur Flexibilität und Mobilität, die sonst allenthalben eingefordert wird, viel zur Abwertung beiträgt - es scheint ganz so, als schade ein Zuviel vom neuen Geist des Kapitalismus offensichtlich dem Ansehen.

Hinter der häufig abwertenden Haltung der Stammkräfte verbirgt sich freilich auch die eigene Angst davor, dass hochmobile und flexible Leihkräfte die eigene Position und die Stabilität im Betrieb unterlaufen. Im Angesicht einer stets präsenten Randbelegschaft können Forderungen nach längeren Arbeitszeiten, Überstunden ohne Lohnausgleich und nach höherer Mobilität möglicherweise leichter durchgesetzt werden.

Neben die faktische Entwertung beruflicher Fertigkeiten tritt auch die Erfahrung sozialer Missachtung. Anerkennung und Respekt werden von den Leiharbeitnehmern oft bitter vermisst. Sich mit der eigenen Arbeit zu identifizieren scheint für Leiharbeiter schwieriger zu sein als für Festangestellte. Denn sie haben nicht das Gefühl, als eigenständige Personen mit bestimmten Fähigkeiten und Qualifikationen geschätzt zu werden.

"Die Festangestellten bilden eine eingeschworene Gemeinschaft, die die Leiharbeiter nur beobachtet."            Leiharbeiterin, 42 Jahre

Viele Leiharbeitnehmer machen die Erfahrung starker symbolischer Abgrenzungen. Sie finden sich mitten im Betrieb wieder, aber dennoch gehören sie nicht dazu. Die Gräben verlaufen heute nicht mehr nur zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen, sondern auch inmitten der Betriebe - zwischen einer zunehmend verunsicherten Stammbelegschaft und einer in dauerhafter Ungewissheit gehaltenen Randbelegschaft.

Im Unterschied zur alten Spaltungslinie zwischen den Kernen stabiler Beschäftigung und den peripheren Zonen der Instabilität verwischen heute die Grenzen. Zwar gibt es durch die unterschiedlich gestalteten Arbeitsverträge gewissermaßen Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse, doch beide Gruppen - Stamm- und Randbelegschaft - sehen sich in einer Situation potenzieller oder faktischer Unsicherheit.

Prekarität scheint überall zu sein - hier als Forderung, dort als Androhung. Doch Gefühle der Unsicherheit machen nicht solidarisch - sie spalten. Die Entgrenzung der Unsicherheit schafft neue Grenzen, sie führt zur demonstrativen Geringschätzung der Arbeitsleistung von Leihkräften, zu Beschimpfungen als "Leasing-Neger" oder "Leihlampe" und zu einer demonstrativen Cliquenbildung.

Auch kommt es vor, dass für Leihkräfte keine Arbeitskleidung vorhanden ist, dass man ihnen den Zutritt zu Pausenräumen und Gemeinschaftseinrichtungen verweigert oder sie von Betriebsfeiern fernhält. Es gibt viele Möglichkeiten, symbolische Grenzen zu ziehen.

"Man hat keine Rechte wie in anderen Betrieben. Man muss froh sein, dort arbeiten zu dürfen und muß tun, was gesagt wird." Leiharbeiter, 59 Jahre

Auch die Betriebsräte werden von den neuen Konkurrenzen und Konflikten im Betrieb berührt. Zwar sieht das Gesetz vor, dass sich Leiharbeiter bei Problemen an den Betriebsrat des Entleihbetriebes wenden können und dass sie sich an den Betriebsratswahlen des Entleihbetriebes beteiligen, wenn sie auch selbst nicht kandidieren können.

Die Wirklichkeit sieht allerdings häufig anders aus, denn die Betriebsräte sehen ihre Aufgabe eher darin, sich um die Belange der Stammarbeiter zu kümmern. Sie treten als Wächter über die Interessen der Stammbelegschaft auf, deren Rechte durch den Einsatz der Leihkräfte unter Druck stehen.

Die Leiharbeitskräfte wiederum wissen meist gar nicht, an wen sie sich wenden können. Häufig ist ihnen noch nicht einmal bekannt, ob es einen Betriebsrat in der eigenen Leiharbeitsfirma gibt. Am ehesten fühlen sie sich noch ihrem direkten Vorgesetzten in der Entleihfirma verbunden, etwa ihrem Meister oder Teamleiter. Allerdings sind sie in der Regel bestrebt, bei ihrem Vorgesetzten einen guten Eindruck zu hinterlassen und ihn nicht mit Beschwerden zu behelligen, damit er sich eventuell für eine Übernahme einsetzt, so dass sie ihre Probleme oft gar nicht ansprechen.

In ihrer prekären Situation erscheinen die Leiharbeitnehmer dem Stammpersonal als Menetekel. Denn sie repräsentieren den Verzicht auf Arbeitnehmerrechte, sie leisten Sonderschichten ohne Ausgleichszahlungen und sie wehren sich nicht gegen neue Zumutungen und Anforderungen, die mit den bisherigen betrieblichen Regeln brechen. Ein Konkurrenzkampf im Betrieb ist die Folge. So berichten Leihkräfte davon, dass gezielt Streitigkeiten provoziert werden, damit es Ärger gibt.

"Wenn einer auf seinem Posten sitzt und merkt, dass man als Leiharbeiter ein bisschen mehr auf dem Kasten hat, kriegt er Angst." Leiharbeiter 24 Jahre

Umgekehrt kommt es nicht selten vor, dass die Leihkräfte den Spieß im Kampf um betriebliche Selbstbehauptung herumdrehen. Auf Abgrenzungen und fehlende Anerkennung reagieren manche mit dem selbstbewussten Hinweis: Wir sind es, die frischen Wind in die Betriebe bringen, wir sind gut, und ihr habt Angst. So können auf beiden Seiten Selbstbilder entstehen, die den anderen zum Feind stilisieren. Die Spaltung zwischen Kern- und Randbelegschaft ist daher nicht nur ein Problem für die Sozialordnung im Betrieb, sie schafft auch beständig neue Konfliktherde.

Das Arbeitsklima verändert sich, Spannungen nehmen zu, wechselseitige Abschottungen und Ressentiments halten verstärkt Einzug in den Arbeitsalltag. Jeder kämpft gegen jeden - aber wenn es wirklich darauf ankommt, verläuft der Graben zwischen Leiharbeitern und Festangestellten. Mit der Förderung prekärer Arbeitsverhältnisse durch die Beschäftigungspolitik und die Personalwirtschaft ist die Wirklichkeit in den Betrieben vielschichtiger geworden - das Problem der segmentierten Arbeitsmärkte innerhalb der Unternehmen hat neue Aktualität bekommen.

Diese Situation fordert in besonderer Weise die Betriebsräte heraus, aber auch die Personalverantwortlichen. Es müssen Wege zu einer neuen Betriebskultur gefunden werden, die nicht mit Unsicherheit Politik macht und die nicht die Stärkeren gegen die Schwächeren ausspielt.

 

mehr informationen

Natalie Grimm:
FLEXIBILITÄT DURCH LEIHARBEIT: ZUMUTUNG ODER CHANCE?
In: SOFI-Mitteilungen, Heft 32, Göttingen 2004

Berthold Vogel:
ERWERBSBIOGRAPHISCHE WEGE IN LEIHARBEIT UND BEFRISTETE BESCHÄFTIGUNG IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE
In: Berthold Vogel (Hrsg.): Leiharbeit. Neue sozialwissenschaftliche Befunde zu einer prekären Beschäftigungsform. Hamburg, VSA-Verlag 2004

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