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Magazin Mitbestimmung

: Erneuerung, nicht Krise

Ausgabe 01+02/2009

INDUSTRIELLE BEZIEHUNGEN Die Sozialpartnerschaft in der Chemieindustrie ist nicht beschädigt. Sie muss aber neu ausgerichtet werden.

Von HUBERTUS SCHMOLDT, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie

Sozialpartnerschafts-Debatte
"Einen unübersehbaren Bruch mit den Grundprinzipien des ­sozialpartnerschaftlichen Arrangements" attestiert Jürgen Kädtler der deutschen Chemieindustrie. In Heft 10/2008 hatte der Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts (SOFI) Göttingen "Bruchstellen der Sozialpartnerschaft", so die Überschrift, ausgemacht. "Dieser ­Beitrag fordert Widerspruch heraus", antwortet der Vorsitzende der IG BCE, Hubertus Schmoldt.

Den Artikel "Bruchstellen der Sozialpartnerschaft" habe ich in der Mitbestimmung mit Interesse gelesen. Allerdings hinterlässt die Lektüre einen ambivalenten Eindruck. Durchaus entsprechen einige Veränderungen, die Jürgen Kädtler in der Arena der Unternehmen und in der Tarifpolitik beobachtet, den Tatsachen. Seine Bewertung aber, dass die Sozialpartnerschaft in der Krise ist, teile ich nicht. Die Funktionsfähigkeit der Unternehmens- und Arbeitsverfassung und der Tarifpolitik ist nicht verloren gegangen. Ebenso wenig wie der Dialog mit den Arbeitgebern. Wir befinden uns vielmehr in einem Prozess der Neuausrichtung der Sozialpartnerschaft.
Um den Abschied von der Sozialpartnerschaft und der Gemeinwohlorientierung des Unternehmenshandelns zu illustrieren, wird der Umbau des Bayer-Konzerns als Paradebeispiel angeführt. Ich bin der Auffassung, dass hier die Sache anders liegt.

Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse sind an der Tagesordnung, weil sich die Unternehmen etwa durch Fusionen im globalen Wettbewerb dauerhaft behaupten wollen. Allein daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass Unternehmenspolitik vorrangig den Interessen von Aktionären folgt. So hat beispielsweise die Übernahme der Schering AG durch Bayer dem Pharmastandort Deutschland zweifelsohne neue Perspektiven eröffnet - auch wenn es für uns, für die IG BCE und ihre Betriebsräte, ein hartes Geschäft ist, dem dabei drohenden Verlust von Arbeitsplätzen zu begegnen.

Ohne Frage befindet sich die Unternehmenslandschaft im Umbruch. Das war auch im Jahr 2003 der Fall, als der Vorstand der Bayer AG die Abspaltung des Chemiegeschäfts beschloss. Dieser Beschluss erfolgte entgegen der bis dato verfolgten Absicht, die Vier-Säulen-Strategie des Konzerns aufrechtzuerhalten. Erst als mit der missglückten Einführung des Fettverbrenners Lipobay die Innovationsstrategie der Bayer AG gescheitert war, sah sich das Unternehmen zum Handeln gezwungen, da auf einmal die Existenz auf dem Spiel stand. Vor diesem brisanten Hintergrund beschloss der Vorstand Ende 2003 die Abspaltung der Chemiesparte, und IG BCE und Betriebsrat waren gut beraten, diese Entscheidung differenziert zu beurteilen und zu behandeln.

Wir waren zwar damals der Ansicht, dass neue Chancen und notwendige Veränderungen im Chemie-Bereich auch innerhalb des Bayer-Konzerns möglich sein müssten. Aber nach dem Lipobay-Skandal war die Lage von Grund auf verändert. Immerhin gelang es uns in einem nicht ganz leichten Prozess, die Arbeitnehmerrechte für die vielen tausend Beschäftigten abzusichern. Konkret: Wir haben die Standortvereinbarung verlängert, wir haben in der neuen Chemiefirma Lanxess Betriebsräte bis hin zu Gesamtbetriebsräten aufgebaut, und wir haben die Tarifbindung hergestellt, indem Lanxess in den Bundesarbeitgeberverband Chemie eintrat.

KONFLIKT EINGEHEN, LÖSUNGEN FINDEN_ Die IG BCE hat unternehmenspolitische Orientierungen, die sich vorrangig an Finanzmarktkriterien orientierten, immer wieder kritisiert. Dies hat uns nicht der Aufgabe enthoben, in harten und konfliktreichen Prozessen unternehmensbezogene Lösungen im Arbeitnehmerinteresse zu finden. Diese Prozesse verlangen uns Gewerkschaften und unseren Betriebsräten ein außerordentliches Maß an gestaltenden Ideen und Konfliktmanagement ab. Aber sie sind unerlässlich. Denn in diesen Verhandlungen mit uns wird den Kapitaleignern immer wieder vor Augen geführt, welche Folgen ihre unternehmenspolitischen Entscheidungen für die Arbeitnehmerseite haben. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass solche Prozesse auch nicht spurlos an den Kapitaleignern vorübergehen.

Jürgen Kädtlers Aussage, dass in den Unternehmen häufig die Finanzvorstände das Sagen haben und die Personaler eine nachrangige Rolle einnehmen, stimmt auch mit einigen meiner Beobachtungen überein. Die Tatsache allerdings, dass bei der BASF mit Eggert Voscherau ein politisch ausgerichteter Personalvorstand gleichzeitig auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender war und in der Unternehmenspolitik starke Akzente setzen konnte, war keine "krasse Ausnahme", sondern ein Beispiel für einen Arbeitsdirektor, der das Potenzial der Beschäftigten mit Unternehmenserfolg verknüpft und danach gehandelt hat. Wir sollten die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht idealisieren. Dennoch ist die relative Schwäche der Personaler eine Tatsache, und sie ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass viele Vorstände die Bedeutung von Wissen und Können der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eklatant unterschätzt haben. Wie auch nicht wenige Unternehmen den Beitrag qualifizierter Beschäftigter unterschätzen und es daher versäumen, entsprechend in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren.

STANDORT- STATT UMVERTEILUNGSPOLITIK_ In der Tat hat die Globalisierung die Tarifparteien der chemischen Industrie dazu gezwungen, neue Wege zu gehen. Die klassische Umverteilungspolitik wird mehr und mehr durch eine Standortpolitik in den Hintergrund gedrängt. Es gehört zu unserem Tagesgeschäft, diese Prozesse gemeinsam mit unseren Betriebsräten zu begleiten und alle Möglichkeiten und Instrumente der Beschäftigungssicherung zu nutzen. Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen stimmen wir nur dann zu, wenn Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Lage sind und Arbeitsplätze in Gefahr sind. Wenn Kädtler schreibt, dass sich Flächentarifverträge immer mehr zum "Rahmengerüst für Öffnungsklauseln" entwickeln, verkennt er zum einen, dass die IG BCE ihre Zustimmung dazu an strenge Bedingungen knüpft. Zum anderen beruht seine Rede von der Erosion des Flächentarifvertrags auf einem Bewertungsmaßstab, der aus der Entstehungszeit der Bundesrepublik stammt. Ihm entgeht deshalb, dass die Modernisierung der Tarifpolitik der IG BCE eine notwendige Antwort auf den grundlegenden Strukturwandel der Wirtschaft ist.

In unserer qualitativen Tarifpolitik sind wir mehr denn je aktiv und greifen immer neue Herausforderungen auf, wie derzeit den demografischen Wandel. Die IG BCE hat in diesem Jahr mit ihrem Tarifvertrag "Lebensarbeitszeit und Demografie" durchaus wegweisende Regelungen vereinbart - zur alterns- und altersgerechten Arbeitsorganisation, zur Qualifizierung älterer Beschäftigter, zur Gesundheitsförderung und zur Altersteilzeit. Dies alles, so mein Fazit, weist nicht auf Funktionsverluste und eine Krise der Sozialpartnerschaft hin, sondern auf eine neue Ausrichtung. Wir haben in den vergangenen Jahren unternehmens-, mitbestimmungs- und tarifpolitisch Ergebnisse erzielt, die sich sehen lassen können und die zeigen: Wir sind auf einem guten Weg, die Sozialpartnerschaft auf die Megatrends der Globalisierung und der demografischen Entwicklung einzustellen.

Die Finanzkrise liefert uns eine Menge an Argumenten, jetzt intensiv die Debatte um die zukünftige Entwicklung des Modells Deutschland und die dazugehörige Sozialpartnerschaft zu führen. Die IG BCE hat der Öffentlichkeit einen Stufenplan für einen Schutzschirm für Arbeit vorgestellt. Nachdem ungeregelte Finanzmärkte ihre Legitimation endgültig verloren haben, können wir das gesellschaftliche Umdenken nutzen, um die Sozialpartnerschaft wieder als die politische und wirtschaftliche Kraft, die sie ist, sichtbar zu machen. Auch die Zeit der Geschäftsphilosophie von Kernunternehmen dürfte, ebenso wie die Zeit der Investmentbanken, vorbei sein. Ein unternehmenspolitischer Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Unternehmensperspektive steht an.

Mit unserer Sicht der Dinge befinden wir uns in guter Gesellschaft. Die jüngst erschienene Denkschrift der EKD, "Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive", hat einer primär auf kurzfristige Gewinnsteigerung zielenden Unternehmensstrategie eine klare Absage erteilt. Außerdem hat die IG BCE gemeinsam mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie Vorstellungen über "verantwortliches Handeln in der Sozialen Marktwirtschaft" entwickelt, die in einer Sozialpartnervereinbarung mündeten. Diese haben wir im August 2008 in Berlin in Anwesenheit des Bundespräsidenten gemeinsam mit den Arbeitgebern unterzeichnet und uns dazu verpflichtet, die Grundsätze erneuerter Sozialpartnerschaft in die Unternehmen hineinzutragen.

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