zurück
David Gilmour Magazin Mitbestimmung

Das politische Lied: Der rote Schneeball

Ausgabe 06/2022

Kann schon mal passieren: Das Telefon klingelt, David Gilmour ist am Telefon und flugs ist man Teil des neuen Pink Floyd Songs. Von Martin Kaluza

Pink Floyd feat. Andriy Khlyvnyuk from BoomBox: Hey Hey Rise Up (2022)

Ach, auf der Wiese steht der rote Schneeball tief geneigt.
Unsere ruhmreiche Ukraine ist betrübt.
Und wir werden diesen roten Schneeball wieder aufrichten,
Und wir werden unsere ruhmreiche Ukraine, hey, hey, aufmuntern!

Als das Telefon klingelt, ist Andriy Khlyvnyuk vorsichtig. Der Anrufer gibt sich als David Gilmour aus, Gitarrist und Sänger der legendären Rockband Pink Floyd. Khlyvnyuk hat selbst eine Band, er ist Sänger bei BoomBox, einer der bekanntesten Gruppen der Ukraine. Doch seit ein paar Tagen herrscht Krieg: Russland hat das Land angegriffen, während Khlyvnyuk in den USA war. Er hat die Tournee sofort abgebrochen und sich dem Militär angeschlossen. Khlyvnyuk hat eine lose Verbindung zu Gilmour. Seine Band hatte im Jahr 2015 einmal in London mit dem Gitarristen zusammen bei einem Benefizkonzert gespielt. BoomBox stand auf der Bühne, nur Khlyvnyuks Visum war nicht rechtzeitig gekommen. Die Band spielte damals mit Gilmour den Pink-Floyd-Song „Wish You Were Here“ – für ihn. Khlyvnyuk bittet den Anrufer, sich noch einmal per Videoanruf zu melden. Er will sichergehen, dass er keinem Scherz aufsitzt. Auf dem Handy erscheint der echte David Gilmour. Er bittet den Sänger um Erlaubnis, ein Instagram-Video zu nutzen, das Khlyvnyuk am 27. Februar aufgenommen hatte, kurz nach dem Überfall. Khlyvnyuk singt darin die erste Strophe des Volksliedes „Der rote Schneeball auf der Wiese“. Sie ist die Nationalpflanze der Ukraine, mit weißen Blüten und roten Früchten. Ihre Zweige mögen sich traurig nach unten biegen, sie werden aufgerichtet werden. Das Lied stammt aus dem Ersten Weltkrieg und erinnert an die Ukrainische Legion, einen Freiwilligenverband Österreich-Ungarns, der vom ukrainischen Hauptrat in Galizien gegründet wurde, noch bevor sich mit der Ukrainischen Volksrepublik erstmals ein ukrainischer Staat von Russland unabhängig machte. Gilmour hat das Video von seiner Schwiegertochter, sie ist Ukrainerin. Khlyvnyuks Gesang berührt ihn: „Er steht dort auf einem Platz in Kiew vor der Kirche mit dieser wundervollen goldenen Kuppel und singt in der Stille einer Stadt, in der Verkehr und Hintergrundgeräusche wegen des Krieges verstummt sind. Ich wollte Musik zu diesem kraftvollen Moment schreiben.“ Auch andere haben diesen Gedanken. Kurz nach Khlyvnyuks Instagram-Post hatte der südafrikanische Produzent The Kiffness den Song bereits mit einem Beat unterlegt und weltweit bekannt gemacht; das ukrainische Eistanzpaar Oleksandra Nazarova und Maksym Nikitin wählte die Version als Musik für seinen Auftritt bei der Weltmeisterschaft 2022 in Montpellier.

David Gilmour analysiert den A-cappella-Gesang, schreibt um die Stimme herum eine Begleitung. Er strickt noch einen Instrumentalteil daran, in dem er, wie er es ausdrückt, „der Rockgitarren-Gott“ sein kann. Als Intro sucht er eine Aufnahme des ukrainischen Chors Veryovka heraus. Drummer Nick Mason ist sofort einverstanden, den Song unter dem Namen der alten Band zu veröffentlichen – eine musikalische Sensation: der erste neue Pink-Floyd-Song seit 1994. „Wir haben diesen Namen, und wir haben unsere Plattform, und die wollten wir nutzen“, sagt Gilmour. „Wir wollen diese Friedensbotschaft verbreiten, und wir wollen die Moral der Menschen heben, die für ihre Heimat kämpfen.“Als Gilmour den Sänger Andriy Khlyvnyuk das nächste Mal kontaktiert, liegt dieser im Krankenhaus und zeigt ein Stück Schrapnell vor, das sich in seine Wange gebohrt hatte und das er nun in einer Plastiktüte aufbewahrt. 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen