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Magazin Mitbestimmung

: Editorial

Ausgabe 12/2006

Ein neuer Heiliger



Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Er ist kein Kind der Kirche, sondern ein Produkt der Kommunikationsguerilla: San Precario, der jüngste Heilige aus Italien. Unter seinem Namen fanden in vielen Städten, zuerst in Mailand, Proteste gegen prekäre Arbeitsbedingungen und gegen die Spaltung der Gesellschaft statt (Seite 34). Um Urheberrechte kümmert sich die Szene wenig.

Die Erfinder San Precarios verwenden Teile aus einer Arbeit des kanadischen Künstlers Chris Woods. Bedenken unserer Grafiker und Layouter wegen der technischen Qualität wischen sie mit dem Hinweis beiseite: "It's not a work of art, but a work of cultural jamming! :)" Frei übersetzt: Es geht nicht um Kunst, sondern darum, die Kultur aufzumischen! Die neuen Heiligenverehrer zielen nicht auf den Kulturbetrieb, sondern auf reale politische Probleme.

In Italien wie in Deutschland erleben die Menschen, wie die Beschäftigungsbedingungen sich verändern. Leiharbeit und befristete Verträge breiten sich in vielen Branchen aus. Die alten Kernbelegschaften erledigen nur noch einen Teil der Arbeit. Um sie herum kreisen viele Satelliten: flexibel und allzeit verfügbar. Allzu oft sind damit heute auch unterschiedliche Grade von Sicherheit, von Verdienstmöglichkeiten und Mitspracherechten verbunden.

Darum geht es in diesem Heft. Berthold Vogel beschreibt in einem Essay (Seite 28) diese Veränderungen aus soziologischer Sicht. Detlef Wetzel, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, skizziert in seinem Beitrag, wo die Gewerkschaften ansetzen können, wenn sie sich um prekär Beschäftigte kümmern wollen (Seite 22).

Ganz eigene Randbelegschaften produziert der Telekom-Konzern, wo der Personalabbau - auch Dank der Mitbestimmung - mit viel Geld und einer Beschäftigungsgesellschaft aufgefangen wird. Dominik Reinle zeigt, dass es auch hier nicht ohne schmerzhafte Erfahrungen geht (Seite 10). Doch wir brauchen solche klugen Modelle, damit wir nicht allein auf die Fürbitte von San Precario angewiesen sind.

Kay Meiners
kay-meiners@boeckler.de

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