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Magazin Mitbestimmung

Industrie: Dritter Versuch

Ausgabe 06/2015

Nach der „Konzentrierten Aktion“ und dem „Bündnis für Arbeit“ gibt es wieder ein korporatistisches Bündnis zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Staat – zum Thema Industrie. Von Joachim F. Tornau

Das neue Wirtschaftsbündnis ist prominent besetzt. Auf Arbeitgeberseite sind die Dachorganisationen BDI und BDA dabei, dazu sieben Branchenverbände. Die Arbeitnehmerseite vertreten die drei großen Industriegewerkschaften IG Metall, IG BCE und IG BAU sowie der DGB. Und das Gipfeltreffen komplett macht Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Im März hob der Vizekanzler mit den Chefs all dieser Organisationen das Bündnis „Zukunft der Industrie“ aus der Taufe.

Es geht um das, was in der Gründungserklärung des Bündnisses die „Megatrends“ der Gegenwart genannt wird. Um demografischen und gesellschaftlichen Wandel, um Globalisierung und Digitalisierung, um Energiewende und Investitionsstau. Und darum, wie darauf zu reagieren ist. Auf „konkrete Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für Politik, Unternehmen und Gewerkschaften“ wollen sich die 14 Bündnispartner verständigen. Einstimmig. Um dafür zu sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie trotz aller Herausforderungen erhalten bleibt. Und dass „wieder mehr und bessere Industriearbeitsplätze in Deutschland“ entstehen können. Ausgegangen war die Initiative vom IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel. 

Zusammen mit BDI-Präsident Ulrich Grillo und Wirtschaftsminister Gabriel hatte er im November 2014 zur Gründung des Bündnisses aufgerufen. „Es ist eine Schicksalsfrage“, sagte der Gewerkschafter. „Sichern wir die Zukunft der Industrie, so sichern wir die Zukunft Deutschlands.“ Allen Diskussionen über den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft zum Trotz hängen noch immer knapp 60 Prozent des Produktionswerts der deutschen Wirtschaft direkt oder indirekt von der Industrie ab. Rund acht Millionen Beschäftigte arbeiten in 100 000 Betrieben, von familiengeführten Unternehmen bis zum internationalen Großkonzern. Und derart umfassend ist das Firmenspektrum, dass die Wertschöpfungskette vollständig im Inland bleiben könnte – einzigartig in der Welt.

ANSPRUCHSVOLLE AGENDA

„Die Industrie spielt eine Schlüsselrolle für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“, erklärt Wolfgang Schroeder, Leiter der Grundsatzabteilung der IG Metall. Aber auch für gute Arbeitsbedingungen, für Tarifbindung und Mitbestimmung sei sie entscheidend. „Wenn man irgendwo von guter Arbeit sprechen kann, dann in der Industrie“, sagt Schroeder. Doch obwohl Deutschland vom Ausland für seine Industrie bewundert werde, lägen die letzten Großinvestitionen schon lange zurück. Nicht zuletzt, weil es an der gesellschaftlichen Akzeptanz mangele.

Das zu verändern steht auf der Agenda des Bündnisses ganz oben. Warum treffen industrienahe Bauvorhaben in der Bevölkerung auf so viel Widerstand? Und wie könnte, etwa mit Beteiligungsverfahren oder Ausgleichsmechanismen, ein größeres Verständnis für die Belange der Industrie erreicht werden? Fünf Arbeitsgruppen, geleitet von jeweils einem Arbeitgeber- und einem Gewerkschaftsvertreter, wurden eingerichtet. Die erste widmet sich der Akzeptanzfrage. Die Arbeitsaufträge der anderen Gruppen: Was ist nötig, um höhere Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur zu erreichen – privat, staatlich oder als Public Private Partnership? Wie muss sich Aus- und Weiterbildung verändern, um trotz demografischem Wandel und rasantem technischem Fortschritt den Fachkräftebedarf auch künftig zu sichern? Welche Chancen und Risiken ergeben sich für Unternehmen wie Beschäftigte aus der digitalisierten und vernetzten Produktion unter dem Stichwort Industrie 4.0? Und schließlich, ganz allgemein: Welche wirtschafts-, sozial-, energie-, klima- und umweltpolitischen Rahmenbedingungen braucht die Industrie, um international wettbewerbsfähig zu bleiben?

Als Dach dient ein im Mai gegründeter eingetragener Verein. Er soll die Ideen bündeln, soll Studien in Auftrag geben und Diskussionen anstoßen. „Wir wollen kein Anhängsel des Ministeriums sein“, sagt Schroeder. „Wir brauchen eine Plattform, um in die Gesellschaft hineinzuwirken.“ 

Das Bündnis ist erst der dritte Versuch einer institutionalisierten Zusammenarbeit von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Bundesregierung. Mit der „Konzertierten Aktion“ der späten 1960er und 70er Jahre wollte der damalige sozialdemokratische Wirtschaftsminister Karl Schiller seine Vorstellungen einer keynesianischen Globalsteuerung der Wirtschaft umsetzen; das korporatistische Arrangement blieb aber mäßig erfolgreich. Ebenso scheiterte das 1998 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) geschaffene „Bündnis für Arbeit“: Weil sich die Gewerkschaften nicht auf den Sozialabbau einlassen wollten, der von Arbeitgebern und rot-grüner Koalition für den Standort Deutschland gefordert wurde, ließ Schröder das Bündnis 2003 platzen und setzte seine Arbeitsmarkt- und Sozialreformen mit der Agenda 2010 im Alleingang durch. 

Trotz dieser Vorgeschichte glaubt IG-Metall-Chef Wetzel, dass es diesmal anders ausgehen kann. „Ich plädiere sehr dafür, dass kein Bündnispartner Themen einbringt, die die anderen in irgendeiner Weise überfordern“, sagte er. Für die „naturgemäßen Konfliktthemen“ gebe es andere, bessere Foren wie Tarifrunden oder parlamentarische Debatten. „Wir müssen uns auf die Themen konzentrieren, bei denen die Bündnispartner inhaltlich übereinstimmen“, forderte Wetzel.

GEMEINSAME VERANTWORTUNG

Ob das alle Beteiligten so sehen, bleibt abzuwarten. Aus Industriekreisen jedenfalls ist zu hören, dass man kein „Kaffeekränzchen“ zu veranstalten gedenke. Denn wenn man nur über das rede, wo man sich ohnehin einig sei, lohne sich der Aufwand nicht. Welche Begehrlichkeiten das Bündnis bei manchem Wirtschaftsvertreter weckt, zeigt die Wunschliste, die Hubertus Bardt, Geschäftsführer des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, kürzlich veröffentlichte: Nicht nur die Energiekosten, sondern auch Löhne, Abgaben und Steuern müssten gesenkt werden, verlangte Bardt. Die Mindestlohnregelungen geißelte er als bürokratisches Hindernis und forderte: „Auch weitere Restriktionen für Werkverträge oder Anti-Stress-Regelungen sollten den unternehmerischen Spielraum nicht zusätzlich beschränken.“

IG-Metall-Vordenker Wolfgang Schroeder sieht das gelassen. „In den Gesprächen wird der Spannungsbogen der Interessensgegensätze natürlich nicht ausgeschaltet sein“, sagt der Gewerkschafter. „Da muss man eben schauen, wie man sich einigen kann.“ Doch er ist optimistisch, dass der Versuch gelingt: „Dieses Bündnis hat einen ganz konkreten Auftrag“, erklärt Schroeder. „Die deutsche Indus­trie soll ihre wichtige Rolle auch im Zeitalter der Digitalisierung behalten.“ Und das, so meint er, sollte schließlich allen Beteiligten gleichermaßen am Herzen liegen.

MEHR INFORMATIONEN

Bericht auf der Webseite der IG Metall

Bericht beim Bundeswirtschaftsministerium

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