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Heiderose Kilper in der Bibliothek ihres Instituts in Erkner: Einer Wissenschaft zum Wohle der Gemeinschaft verpflichtet Magazin Mitbestimmung

Altstipendiatin: Die Entschiedene

Ausgabe 01+02/2012

Einst promovierte Heiderose Kilper über die Wiedergründung der Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt leitet sie das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner.

Von Susanne Kailitz

Was für eine Idylle – das ist der erste Eindruck, den Besucher haben, wenn sie das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner erreichen. In der Kurve einer holprigen Pflasterstraße liegt das Gebäude, inmitten kleiner Einfamilienhäuser und umgeben von viel Grün. Doch vom Gefühl der Beschaulichkeit bleibt nicht allzu viel, wenn man das Institut betritt. Hier herrscht eine sachliche Atmosphäre. Das liegt auch an seiner Direktorin: Heiderose Kilper, 59 Jahre alt, Politikwissenschaftlerin. Sie führt ihr Haus bestimmt und entschieden, der Verantwortung sehr bewusst, die es heißt, eine der 86 Forschungseinrichtungen der Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft zu leiten, die nach dem deutschen Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz benannt ist, der im 17. Jahrhundert gelebt hat. Laut Satzung werden hier „wissenschaftliche Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung“ untersucht; ganz nach dem Motto des Namensgebers der Gemeinschaft „Theoria cum praxi“ wird hier Wissenschaft zum Wohle der Gemeinschaft betrieben.

Das geschieht nach strengen Vorgaben: „Wer in der Evaluation, die alle sieben Jahre stattfindet, nicht besteht, wird aufgelöst“, sagt Heiderose Kilper. Das heißt: Immer wieder müssen die Teams gute, neue Projekte entwickeln und Drittmittel einwerben; immer wieder heißt es, Forschungsergebnisse so aufzubereiten, dass sie Anwendung finden können. Für Kilper bedeutet das neben der Arbeit an eigenen Projekten, der Betreuung von Doktoranden und der Lehre an der Brandenburgischen Technischen Universität, mit der das IRS kooperiert, jede Menge Management-Aufgaben: „Wer, wenn nicht die Direktorin, soll das große Ganze im Blick haben?“, fragt sie – und lässt keinen Zweifel daran, dass ihr diese Herausforderung großen Spaß macht. Wo andere über allzu viele Aufgaben stöhnen, scheint Kilper es zu genießen, auch drei Baustellen gleichzeitig zu koordinieren. Dieses Geradlinige, Entschlossene ist nichts, das Kilper erst in Erkner lernen musste. Ihre Karriere hat sie von jeher entschlossen verfolgt. Nach dem Studium – Politikwissenschaft, Geschichte, Germanistik und Pädagogik in Marburg – folgte die Promotion. Zur „Frage der Wiedergründung der Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg“ schrieb sie damals. Das Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung half dabei, „aber ich hätte das sicher auch ohne diese Unterstützung durchgezogen“, sagt sie. Bis heute ist Kilper IG-Metall-Mitglied. Thematisch hat sie sich von der Arbeit Anfang der 1980er Jahre inzwischen weit entfernt. Nach der Promotion schob sie ein Referendariat im Schuldienst ein, weil sie es „selbstverständlich“ fand, ihre Ausbildung zum Abschluss zu bringen. „Und es war von Vorteil, eine sichere Berufsperspektive zu haben.“

Doch es kam ganz anders. Nach sechs Jahren in verschiedenen Funktionen in der nordrhein-westfälischen Landesregierung setzte Kilper auf das Risiko einer akademischen Karriere. „Mir war immer bewusst, dass die Wissenschaft ein höchst unsicheres Berufsfeld ist“, betont sie, „da gibt es keine Karriereplanung. Alles, was man tun kann, ist, sich immer wieder um die eigene Qualifikation zu kümmern.“ Was folgte, war die übliche Wissenschaftler-Tour: eine Stelle als Privatdozentin an der Ruhr-Universität Bochum, eine Vertretung an der Universität Konstanz und schließlich der Ruf an die Universität Hannover. Seit 2005 leitet sie das IRS in Erkner.

Hier widmet sie sich der sozialwissenschaftlichen Raumforschung – und ist bemüht, mit gängigen Klischees über Ostdeutschland abzurechnen. Dass die Diskussion um den demografischen Wandel meist mit Hilflosigkeit einhergehe und immer wieder das Schreckgespenst sozialer Verödung zeichne, hält die Politikwissenschaftlerin für „wenig zielführend“. Länder wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern seien historisch immer schon dünn besiedelt gewesen: „So what?“ Wer darüber klage, dass es in den vergangenen 20 Jahren dort Abwanderung gegeben habe, verkenne, „dass die Siedlungsstruktur in der DDR künstlich hervorgerufen war und die Bevölkerungsströme nach dem Interesse der großen Kombinate gelenkt wurden. Dass das auf Dauer nicht haltbar sein konnte, ist doch ganz logisch.“ Wie es schrumpfenden Regionen und Quartieren dennoch gelingen kann, sich für die Zukunft gut aufzustellen, untersucht Kilpers Institut in verschiedenen Projekten. In einem werden sogenannte „Raumpioniere“ ausfindig gemacht: Menschen, die mit Engagement und Kreativität Netzwerke bilden und so öffentliches Leben organisieren. Es nütze nichts, so Kilper, „zu jammern und auf den großen Investor von außerhalb zu warten, der 1000 Arbeitsplätze bringt; es geht darum, das endogene, innere Potenzial zu aktivieren“. Denn, da ist sich die Wissenschaftlerin sicher: „Da, wo Menschen sind, ist immer auch eine Perspektive.“

Foto: Juliane Scherz

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