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Camille Logeay ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Brauchen wir mehr Kapitaldeckung in der Rente?

Ausgabe 01/2022

Nein - sagt Camille Logeay Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Ja - sagt Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum.

Camille Logeay, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin: Nein. Bei ihrer Einführung im Jahr 1889 war die gesetzliche Rentenversicherung zunächst als Kapitaldeckungsverfahren mit Reichszuschüssen konzipiert. Schon damals wurde die Frage, ob man die Rente über eine Umlage oder eine Kapitaldeckung finanzieren soll, intensiv diskutiert. Der aktu­elle Koalitionsvertrag knüpft also an eine lange Streitgeschichte an.

Ich nenne nur drei Argumente gegen die Wiedereinführung von Kapitaldeckungselementen: Erstens gilt die 1952 von Gerhard Mackenroth formulierte These noch, die besagt, dass die Sozialausgaben einer Volkswirtschaft immer aus dem laufenden Volkseinkommen bezahlt werden müssen, sodass das Umlage- und das Kapitaldeckungsverfahren der Sache nach gar nicht wesentlich verschieden sind. Zweitens konnte die Kapitaldeckung die zwei großen Vermögensentwertungen nach den Weltkriegen nicht überstehen. Sie war nicht nachhaltiger oder seriöser als das Umlageverfahren. Drittens muss man bedenken, dass die großen sozialpolitischen Aufgaben, wie die Aufnahme der ostdeutschen Versichertengemeinschaft, ohne Umlagefinanzierung nicht zu bewältigen gewesen wären.

Aus den Lehren der Vergangenheit sollte man lernen: Der demografische Wandel ist für beide Finanzierungsarten eine Herausforderung. Kapitaldeckung ist kein Allheilmittel. Wichtiger als die kurzfristige Renditeoptimierung ist es, sicherzustellen, dass nachhaltig gute Beschäftigung geschaffen wird.

Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum: Ja. Denn Deutschland steht vor einem Alterungsschub, der unser Rentensystem massiv unter Druck setzt. Unter dem geltenden Recht steigt der Beitragssatz zur Rentenversicherung nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums von derzeit 18,6 Prozent bis 2025 auf 19,7 Prozent und bis 2035 weiter auf 22,4 Prozent. Gleichzeitig sinkt das Sicherungsniveau von 49,4 Prozent auf 45,8 Prozent. Anschließend geht dieser Druck nicht wieder zurück. Er dürfte bis 2060 nur langsamer weiter steigen.

Zuwanderung und steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren sind in solchen Schätzungen schon unterstellt. Stärkere Trends dieser Art können die ungünstigen Entwicklungen dämpfen, aber nicht ausgleichen. Zum Teil verlagern sie den Druck bloß weiter in die Zukunft, weil zusätzliche Beiträge später zu höheren Rentenansprüchen führen. Wenn wir bei der Altersvorsorge allein auf eine Umlagefinanzierung setzen, werden wir jahrzehntelang ständig klagen, dass die Beiträge zu hoch und die Renten trotzdem zu niedrig sind.

Mehr Kapitaldeckung ist der einzige Weg, um Beiträge und Leistungen der Altersvorsorge über die Zeit zu glätten. Von der demographischen Alterung wird sie weniger stark beeinflusst, vor allem bei einer internationalen Anlagestrategie. Ob wir das nötige Kapital im gesetzlichen Rentensystem bilden oder außerhalb – verbindlicher, einfacher und rentierlicher als bisher –, darüber können wir ja noch nachdenken. 

  • Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum.
    Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum.

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