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Magazin Mitbestimmung

: Bekenntnis zum deutschen Entwicklungspfad

Ausgabe 01+02/2004

SPD-Generalsekretär Olaf Scholz weiß um die sorgfältig austarierte Balance der Institutionen in den deutschen Arbeitsbeziehungen: "Tarifautonomie, Unternehmensmitbestimmung und Kündigungsschutz gehören zum sozialen Modell der Bundesrepublik."

Herr Scholz, Im Vermittlungsausschuss haben Fraktion und Regierung die Angriffe auf die Tarifautonomie abgewehrt. Wie entscheidend war der diesbezügliche Parteitagsbeschluss im November für diese geschlossene Ablehnungsfront?
Die SPD steht zur Tarifautonomie. Das hat sich in einem Parteitagsbeschluss niedergeschlagen. Das ist die Haltung der Fraktion, das ist auch die Haltung der Regierung. Und es ist uns gelungen, trotz der sehr komplizierten Verhandlungssituation im Vermittlungsausschuss, dass die Tarifautonomie erhalten bleibt. Das war uns wichtig. An diesem wichtigen Kernthema der deutschen Sozialverfassung wurde nicht gerüttelt. Die Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen werden über die Regelungskompetenz der Tarifparteien geordnet. Das hat sich für unser Land bewährt und ist nicht nur eine gute demokratische Tradition, sondern steht auch für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands.

Lange Zeit war es Konsens, dass unsere institutionalisierten Arbeitsbeziehungen diesem Standort zum Erfolg verhelfen und nicht zuletzt zum sozialen Frieden beitragen. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Was erodiert da in dieser Gesellschaft?
Ich bin da ganz altmodisch: Tarifautonomie, Unternehmensmitbestimmung, Betriebsverfassung und Kündigungsschutz gehören zum sozialen Modell der Bundesrepublik. Sie sind Grundlagen unseres wirtschaftlichen Erfolges. Diejenigen, die jetzt meinen, dass Arbeitnehmerrechte das Wachstum beeinträchtigen, haben auch empirisch nicht Recht. Das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik hat stattgefunden mit diesen institutionellen Verankerungen der Sozialpartnerschaft. Deshalb müssen wir diese Institutionen verteidigen - und zugleich den veränderten Wirklichkeiten Rechnung tragen. Sie bleiben wichtig - und müssen immer wieder angepasst werden. Die Zeiten für sozialpartnerschaftliche Konzepte werden auch wieder besser, weil wir die Modernisierung unserer Gesellschaft zur Sache einer sozialdemokratischen Regierung gemacht haben. Wir müssen uns nicht wegducken, wenn diejenigen, die diese Institutionen bekämpfen, sich das Etikett der Modernisierung anheften.

Das Wort "modern" heftet sich die Gegenseite in der Tat gerne an. So wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedrich Merz, der nach wie vor Öffnungsklauseln und betriebliche Bündnisse für die Zukunft der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen hält.
Es war historisch eine bewusste Entscheidung, den sozialen Frieden im Betrieb dadurch zu wahren, dass Tarifkonflikte dort nicht stattfinden. Lohn und Gehalt sind nicht Sache der Betriebs-, sondern der Tarifparteien. Das ist in anderen Ländern anders. Die geringe Streikhäufigkeit in Deutschland hängt mit dieser Kernentscheidung zusammen. Ich kann nur davor warnen, daran zu rütteln: Wer wie CDU/CSU/FDP Gehaltssenkungen nun durch gesetzliche Aufkündigung dieses Dualismus erleichtern will, holt sich zwangsläufig schon bei einer leicht veränderten Konjunkturlage die Möglichkeit der Gehaltserhöhung über den betrieblichen Konflikt ins Haus. Deshalb sind die klugen Arbeitgeber und die klugen Verbandsvertreter auch strikt dagegen.

Die Meinungsführerschaft im Arbeitgeberlager konnten diese Kreise offensichtlich nicht behaupten. Wie erklärt sich das?
Ich will keine Mutmaßungen anstellen, sondern dafür werben, dass der alte Konsens der Sozialpartnerschaft in Deutschland sehr wohl auch für die Zukunft taugt. Wir haben die Bedingungen und Vorraussetzungen dafür zu schaffen, indem wir dafür sorgen, dass dieses Konsensmodell die notwendige Flexibilität in sich trägt, die wir heute benötigen. Wenn uns das gelingt, dann werden auch diejenigen bei den Arbeitgeberverbänden weniger Gehör finden, die den Konsens aufkündigen wollen.

Müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Vorbehalte wichtiger Teile der Wirtschaftselite gegenüber einer SPD-geführten Regierung unausrottbar sind, die auch handfeste Ergebnisse einer alles andere als wirtschaftsfeindlichen Politik nicht beeindrucken?
Wir machen uns keine Illusionen. Sozialdemokratische Parteien werden statistisch immer weniger Zustimmung bei Unternehmensverbänden finden als andere Parteien. Deshalb ist unsere Politik auch nicht darauf ausgerichtet, irgendjemandem zu gefallen, sondern das, was wir an Veränderungen - auch schmerzhaften Veränderungen - auf den Weg gebracht und durchgesetzt haben, haben wir aus eigener Einsicht auf den Weg gebracht. Wer den Sozialstaat erhalten will, muss ihn selber modernisieren, sonst machen ihn andere kaputt.

Verändert hat sich auch das Verhältnis zur Gewerkschaft, die traditionelle Partnerschaft hat Risse bekommen. Wie tief gehen sie - angesichts der Mitgliederverluste, die wiederum beide einen?
Dass wir angesichts der anstehenden sozialen Reformen im letzten Jahr viele Schwierigkeiten miteinander hatten, kann nicht geleugnet werden. Ich glaube aber, dass uns das nicht davon abhalten wird, weiter gut zusammenzuarbeiten. Der Gewerkschaftsrat der SPD funktioniert gut. Wir sind in einem vernünftigen Gespräch miteinander. Meine Prognose ist ohnehin: Über kurz oder lang wollen alle auf der Seite der Innovationen stehen. Auch die Gewerkschaften.

Hat es der Gewerkschaftsflügel innerhalb der Fraktion heute schwerer, sich inhaltlich durchzusetzen?
Was schwieriger geworden ist, ist die Wirklichkeit. Vor der dürfen wir nicht davonlaufen. Gerade wer möchte, dass unsere traditionellen Institutionen auch in modernen Zeiten weiter funktionieren, muss es sich zur Aufgabe machen, die notwendigen Reformen durchzusetzen, und die unvermeidlichen Kompromisse akzeptieren. Tatsächlich werben wir dafür zu verstehen, dass die Reformpolitik nicht deshalb von uns entwickelt wurde, um jemanden zu ärgern - schon gar nicht diejenigen, die uns besonders nahe stehen. Sondern weil nach drei Jahren wirtschaftlicher Stagnation und angesichts über 20-jähriger Untätigkeit notwendige Veränderungen unseres Landes überfällig waren.

Bleibt dennoch festzuhalten, dass ein Teil dieser notwendigen Reformen gegen den Widerstand der Gewerkschaften durchgesetzt wurden.
Gewünscht hätte ich mir natürlich Unterstützung für unsere Reformen. Ich möchte sogar behaupten: Die Agenda 2010 hätte auch in einer Gewerkschaftszentrale erdacht werden können. Das kann sich gegenwärtig vielleicht keiner vorstellen, ist aber in meinem Bild von moderner Politik aus Arbeitnehmersicht durchaus drin.

Auch ein Konzept wie die Mitbestimmung muss sich einer modernen Umgebung anpassen. Das fordern auch weite Teile der Gewerkschaften. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Wir haben mit der Reform der Betriebsverfassung einen großen Schritt gemacht. Sie hat mehr Betriebsräte hervorgebracht. Das ist ein guter Erfolg. Denn die Betriebsverfassung ist nicht nur eine Basis für Sozialpartnerschaft und Sozialkonsens, sondern auch ein ganz wichtiger Bestandteil der Stärke unserer Gewerkschaften. Und die wollen wir. Ein bemerkenswerter Fortschritt dieser Reform ist das Initiativrecht für Betriebsräte, die Weiterqualifikation der Beschäftigten bei technischen Neuerungen im Betrieb anzuregen. Das kann ein großes Erfolgsmodell werden, das dazu beiträgt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer sich schnell wandelnden Wirtschaft mitkommen.

Im Fokus der Kritiker der Mitbestimmung steht derzeit weniger die Betriebsverfassung, sondern die Unternehmensmitbestimmung. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gelten als rentabilitätsmindernd und nachteilig für die Fusionschancen.
Ich teile diese Auffassung nicht. Empirische Untersuchungen belegen auch eher das Gegenteil. Wer mit der Mitbestimmung in Berührung gekommen ist, weiß eher ihre Vorteile zu schätzen als über Nachteile zu berichten. Das ist auch mein persönlicher Eindruck, den ich über viele Jahre der beruflichen Beschäftigung mit dem Arbeitsrecht gewonnen habe. Wir müssen in einer Welt, die sich globalisiert, die Unternehmensmitbestimmung gut organisieren. Warum sollte das nicht gelingen?

Anders als bei der Tarifautonomie bedarf es bei der Mitbestimmung nur einer einfachen Gesetzesänderung. Die Vorschläge reichen von einer Verkleinerung bis zur Zerschlagung.
Wir stehen zur Unternehmensmitbestimmung. Es gibt einen Unterschied zwischen einem sozialdemokratischen Konzept und anderen Konzepten über die Sozialverfassung dieses Landes.

Was bleibt von den Argumenten der Gegner?
Ich halte sie für pure Ideologie. In der Debatte um die Zukunft der Sozialverfassung Europas angesichts der globalen Veränderungen müssen wir uns zu den Entwicklungspfaden bekennen, die wir eingeschlagen haben. Die Sozialmodelle in Europa müssen nicht gleich werden - sie müssen kompatibel sein. Wir haben keinen Anlass, den deutschen Pfad der Unternehmensmitbestimmung, der Betriebsverfassung, der Arbeitnehmerrechte in Frage zu stellen. Er ist überlebens- und konkurrenzfähig. Wir haben höchstens Anlass zu aktualisieren und zu prüfen, was neu gemacht werden muss.

Auf welche Veränderungen müssen wir uns einstellen?
Es geht uns nicht um eine Verkleinerung der Aufsichtsräte. Die meisten sind nicht wirklich zu groß. Vielmehr werden wir dafür sorgen, dass die deutsche Mitbestimmung im Rahmen der Europäischen Aktiengesellschaft nicht untergeht. Und wir werden im Einvernehmen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften dafür sorgen, dass die Wahlverfahren einfacher werden.

Das Gespräch führten Margarete Hasel und Birgit Böhret.


Zur Person

Olaf Scholz ist seit Dezember 2002 Generalsekretär der SPD. Der 45-jährige gebürtige Osnabrücker ist in Hamburg aufgewachsen, wo er noch heute Landesvorsitzender seiner Partei ist. Der frühere stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungsozialisten und Vizepräsident der "International Union of Socialist Youth" ist seit 1985 Rechtsanwalt für Arbeitsrecht in einer Hamburger Kanzlei.

In den Bundestag wurde er erstmals 1998 gewählt, gab sein Mandat jedoch im Mai 2001 auf, um Innensenator in Hamburg zu werden. Nach dem Verlust der Regierungsmehrheit in der Hansestadt kandidierte der Jurist erneut für den Bundestag und zog im September 2002 für den Wahlkreis Hamburg-Altona ins Parlament. Bundeskanzler Schröder holte den Norddeutschen 2002 ins Willy-Brandt-Haus, als Nachfolger von Franz Müntefering.

Scholz ist Mitglied von ver.di und der NGG. Trotz seiner festen Überzeugung, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zur "Wahrnehmung der eigenen Interessen" wichtig und empfehlenswert sei, mahnt er doch bei den Gewerkschaften an, dass "sie die veränderten Wirklichkeiten von Arbeitsverhältnissen immer rechtzeitig und eigentlich schneller zur Kenntnis nehmen" müssten, um Ansprechpartner für die Arbeitnehmer zu bleiben, die "letztlich nicht kraftvolle Rhetorik wünschen" sondern wollen, dass ihre Arbeitsbedingungen stimmen.

www.olafscholz.de


 

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